Leonard war ein junger, ambitionierter Regisseur, der davon
träumte seinen eigenen Film zu drehen. Schade nur, dass er sich bei der Mafia
Geld geliehen hat und es nicht zurückzahlen konnte. Dies führte dazu, dass
Leonard in einem versifften Haus mit zwei heroinsüchtigen Ex-Prostituierten
wohnt und Tierpornos für die Mafia drehen muss, um seine Schulden abzubezahlen.
Als jedoch ein neuer Film mit einem
Schwein in Auftrag gegeben wird, kommen auf Leonard Probleme zu, mit denen er
nicht gerechnet hat…
"Als die meisten kleinen Mädchen noch mit Barbiepuppen spielten, war die arme Sissy gezwungen gewesen, gute Mine zum bösen Spiel zu machen, während ihr Vater sie zwei bis dreimal täglich anal missbrauchte, schlug, verbrannte und fast bis zur Pubertät in einer ungenutzten Speisekammer einsperrte."
Edward Lee ist wohl einer der Namen, welche Kenner
automatisch mit harter, obskurer Literatur verbinden. Der Autor von Büchern wie
„Bighead“, „Brain Cheese Buffet“ und „Bullet through your face“ schreibt in
einem Stil, der (zumindest auf diesem Niveau) geradezu einzigartig ist. In seinen
Büchern vermischt er oft traditionelle Horrorthemen mit groteskem Splatter, allen
Sorten von Ekelhaftigkeiten („The Dritiphilist“…), extrem pornographischen
Darstellungen und seinem ihm eigenen, überzeichneten Humor. Abgesehen von
diesem radikalen, anstößigen Stil, hat sich Lee auch an traditionellem Horror
ala Lovecraft und anderen Subgenres versucht. „Das Schwein“ zählt aber
definitiv zur ersten Kategorie und schafft es sogar, aus der widerwärtigen
Ursuppe deutlich herauszustechen. Dies ist, in diesem Fall, natürlich absolut
positiv zu werten! „Das Schwein“ ist ein ziemlich geschmacklos daherkommendes Schundwerk,
welches selbst für Lees Verhältnisse sehr drastisch und hart ausgefallen ist.
Umso löblicher ist es, dass es eine deutsche Veröffentlichung erfahren hat (dass
es sich dabei um einen astreinen Indizierungskandidat handelt, sollte ja klar
sein).
"Hundepornos, Eselpornos, Pferdepornos und Schweinepornos machten den Großteil von Leonards cineastischem Repertoire aus."
„Das Schwein“ fängt genauso geschmacklos an, wie es
weitergeht und zwar mit einer Schilderung der Dreharbeiten zu einem der Tierpornos.
Es wird lang und breit beschrieben, wie eine der beiden Prostituierten das
Sperma des Schweins aus einem Glas trinkt und sich direkt danach übergibt. Im
Laufe der nächsten Seiten lernen wir den „Regisseur“ Leonard und seine
Vorgeschichte kennen. Nach einigen Diebstählen, einer Inhaftierung, welche sehr
viel passiven Analverkehr nach sich zog, hat der junge Filmliebhaber sich nichtsahnend
bei einem Mafiaboss Geld geliehen, um endlich
seinen Film produzieren zu können. Dumm nur, dass dieser das Geld schneller
zurückhaben wollte, als angedacht. Nicht nur das, auch die Zinsen hatte Leonard
nicht bedacht. Kurz bevor zwei Schergen des Bosses ihn umbringen können,
zwingen sie ihn, für ein Jahr für sie Tierpornos und andere Abartigkeiten, wie
Snufffilme zu drehen. Als sich Leonard nach und nach an die Dreharbeiten
gewöhnt hat, verlangen seine „Auftraggeber“ einen Film mit einem Schwein. Was
dies für Folgen haben wird, hat jedoch keiner von ihnen bedacht.
"Mit einem Messer (...) sägte Rocco mit einer Unbekümmertheit, als würde er die Enden eines französischen Baguettes abschneiden, der jungen Frau ihre hübschen, kleinen Ohren ab. Knuckles fuhr mit dem heißen Ende einer Lötlampe an ihren Schienbeinen rauf und runter"
„Das Schwein“ wird, wie es bei Lee oft der Fall ist, von
seiner schieren Wahnsinnigkeit getragen. In kurzweiliger, teilweise episodenhafter
Weise wird Leonards Geschichte in mehreren Zeitsprüngen geschildert. Der junge
Mann ist ein absoluter Pechvogel, der klaut um seinen Film drehen zu können,
erwischt und danach im Gefängnis von mehreren Insassen täglich vergewaltigt
wird. Nachdem ihm ein Hoden entfernt wird, wird er dazu verurteilt, für die Mafia in
einer abgelegenen Hütte widerwärtige Pornos mit den beiden heroinsüchtigen
Ex-Prostituierten Snowdrop und Sissy zu drehen. Snowdrop und Sissy sind genauso
überzeichnet, wie es alle Charaktere in „Das Schwein“ sind. Ein homosexueller
Bordellbesitzer, die beiden Mafiosi Rocco und Knuckles und alle anderen
Nebencharaktere sind absolute Karikaturen und als solche sehr spaßig zu lesen.
Sicherlich schwingt in „Das Schwein“ sehr viel Humor mit, welcher zwar
pechschwarz, aber immer auch als solcher angelegt und zu erkennen ist. Vielleicht
werden wenige über die humoristische Darstellung von homosexueller
Vergewaltigung, Geschlechtsverkehr mit Tieren und sonstigen Anstößigkeiten
lachen können, jedoch zeichnet ein überspitzter Humor, welcher jedoch NICHT im
Troma-eskes Blödeln abdriftet, Lees obszönes Werk (Georges Batailles lässt
grüßen) aus und das „Das Schwein“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieser
funktionieren kann. Die eher minimalistische Handlung kann auch als eine reine
Aneinanderreihung von Szenen gesehen werden, in der einer abgedrehter als die
andere ist. Es ist schwer zu sagen, dass
das Schwein in seinen ersten beiden Dritteln Spannung im klassischen Sinn
aufbaut, jedoch wird es aufgrund der Spritzigkeit und dem wirklich konstant
aufrecht erhaltenen Anarchismus noch nicht mal für eine einzige Seite
langweilig. In den letzten beiden Dritteln führt Lee eine übernatürliche
Handlung ein, welche zwar einen sehr interessanten Unterschied zum homogenen
Anfang bietet, sich aber dennoch sehr gut in das Gesamtwerk einfügt.
"'Ich will keine Schweine ficken, ich will mir nen Schuss setzen!' brüllte Snowdrop."
Doch trotz des schrillen Humors, der gelungenen
Charakterzeichnung und den übernatürlichen Themen, spielen Sex und Gewalt die
absolute Hauptrolle in „Das Schwein“ und dürften für viele auch der primäre
Lesegrund sein. Schon am Anfang wird beschrieben, wie Leonard sein erstes Mal
mit einer Sau hatte, die Dreharbeiten werden in all ihren Einzelheiten, zum
Beispiel den Cumshots, dem Sperma trinken etc. dargestellt und jede andere Form
von graphischem Inhalt wird bis zum Äußersten ausgeschlachtet. Trotz des Humors
sind diese Darstellungen wirklich anstößig und bewahren einen sehr dreckigen,
sadistischen Unterton. Lee schafft es, Menschen als komplett wertlos
darzustellen und sich in ihrem Leid zu suhlen, was man zum Beispiel an den
Eskapaden der beiden „Darstellerinnen“ sehen kann, welche geschlagen, anal
vergewaltigt, voll-uriniert und bis zum Blutfluss beschlafen werden. Sex und Gewalt
treten vermehrt zusammen auf, was sich eindrucksvoll in einem Kapitel zeigt, in
dem Leonard filmen muss, wie Knuckles und Vinch eine junge Frau zu Tode quälen.
Geschlechtsverkehr mit offenen Wunden und genitale Verstümmelung gehören in
dieser Szene noch zu den harmloseren Foltern. Die 18er Freigabe und die
Tatsache, dass das Buch nicht für den Großhandel zugelassen wurde, sind kein
Gimmick, sondern absolut ernst gemeint und angebracht. Was Entschlossenheit
angeht, gehört „Das Schwein“ zweifelsohne zu oberen Drittel von Lees Schaffen,
für einige seiner Leser könnte das Buch, nicht zuletzt aufgrund der gewalt- und
tierpornographischen Aspekte, so etwas wie Lees Meisterwerk des schlechten Geschmacks
darstellen.
Fazit: „Das Schwein“ ist Edward Lee, durch und durch. Die
Handlung bietet dem Leser keine Verschnaufpause, die Charaktere sind
verschroben wie eh und je und die Anstößigkeiten prasseln im Sekundentakt auf
den Leser ein. Die Darstellungen von Sex und Gewalt sind so allgegenwärtig und
grenzüberschreitend, dass der normale Jack Ketchum oder Dean Koontz Freund
sicherlich nicht bis zum Ende durchhalten wird, auch wenn es sich bei „Das
Schwein“ natürlich mehr um Splattertrash, als um echte „Literatur“ handelt.
Dies ist aber auch absolut gewollt und ein Kennzeichen Lees. Wer mit der
Ästhetik des amerikanischen Autors etwas anfangen kann, wird in „Das Schwein“ eines
seiner Referenzwerke, wenn nicht sogar sein Referenzwerk, finden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen