Montag, 30. September 2013

REVIEW: DAS SCHWEIN (Edward Lee, Festa Verlag)





Leonard war ein junger, ambitionierter Regisseur, der davon träumte seinen eigenen Film zu drehen. Schade nur, dass er sich bei der Mafia Geld geliehen hat und es nicht zurückzahlen konnte. Dies führte dazu, dass Leonard in einem versifften Haus mit zwei heroinsüchtigen Ex-Prostituierten wohnt und Tierpornos für die Mafia drehen muss, um seine Schulden abzubezahlen. Als  jedoch ein neuer Film mit einem Schwein in Auftrag gegeben wird, kommen auf Leonard Probleme zu, mit denen er nicht gerechnet hat…

"Als die meisten kleinen Mädchen noch mit Barbiepuppen spielten, war die arme Sissy gezwungen gewesen, gute Mine zum bösen Spiel zu machen, während ihr Vater sie zwei bis dreimal täglich anal missbrauchte, schlug, verbrannte und fast bis zur Pubertät in einer ungenutzten Speisekammer einsperrte."



Edward Lee ist wohl einer der Namen, welche Kenner automatisch mit harter, obskurer Literatur verbinden. Der Autor von Büchern wie „Bighead“, „Brain Cheese Buffet“ und „Bullet through your face“ schreibt in einem Stil, der (zumindest auf diesem Niveau) geradezu einzigartig ist. In seinen Büchern vermischt er oft traditionelle Horrorthemen mit groteskem Splatter, allen Sorten von Ekelhaftigkeiten („The Dritiphilist“…), extrem pornographischen Darstellungen und seinem ihm eigenen, überzeichneten Humor. Abgesehen von diesem radikalen, anstößigen Stil, hat sich Lee auch an traditionellem Horror ala Lovecraft und anderen Subgenres versucht. „Das Schwein“ zählt aber definitiv zur ersten Kategorie und schafft es sogar, aus der widerwärtigen Ursuppe deutlich herauszustechen. Dies ist, in diesem Fall, natürlich absolut positiv zu werten! „Das Schwein“ ist ein ziemlich geschmacklos daherkommendes Schundwerk, welches selbst für Lees Verhältnisse sehr drastisch und hart ausgefallen ist. Umso löblicher ist es, dass es eine deutsche Veröffentlichung erfahren hat (dass es sich dabei um einen astreinen Indizierungskandidat handelt, sollte ja klar sein).

"Hundepornos, Eselpornos, Pferdepornos und Schweinepornos machten den Großteil von Leonards cineastischem Repertoire aus."




„Das Schwein“ fängt genauso geschmacklos an, wie es weitergeht und zwar mit einer Schilderung der Dreharbeiten zu einem der Tierpornos. Es wird lang und breit beschrieben, wie eine der beiden Prostituierten das Sperma des Schweins aus einem Glas trinkt und sich direkt danach übergibt. Im Laufe der nächsten Seiten lernen wir den „Regisseur“ Leonard und seine Vorgeschichte kennen. Nach einigen Diebstählen, einer Inhaftierung, welche sehr viel passiven Analverkehr nach sich zog, hat der junge Filmliebhaber sich nichtsahnend bei einem  Mafiaboss Geld geliehen, um endlich seinen Film produzieren zu können. Dumm nur, dass dieser das Geld schneller zurückhaben wollte, als angedacht. Nicht nur das, auch die Zinsen hatte Leonard nicht bedacht. Kurz bevor zwei Schergen des Bosses ihn umbringen können, zwingen sie ihn, für ein Jahr für sie Tierpornos und andere Abartigkeiten, wie Snufffilme zu drehen. Als sich Leonard nach und nach an die Dreharbeiten gewöhnt hat, verlangen seine „Auftraggeber“ einen Film mit einem Schwein. Was dies für Folgen haben wird, hat jedoch keiner von ihnen bedacht.

"Mit einem Messer (...) sägte Rocco mit einer Unbekümmertheit, als würde er die Enden eines französischen Baguettes abschneiden, der jungen Frau ihre hübschen, kleinen Ohren ab. Knuckles fuhr mit dem heißen Ende einer Lötlampe an ihren Schienbeinen rauf und runter"



„Das Schwein“ wird, wie es bei Lee oft der Fall ist, von seiner schieren Wahnsinnigkeit getragen. In kurzweiliger, teilweise episodenhafter Weise wird Leonards Geschichte in mehreren Zeitsprüngen geschildert. Der junge Mann ist ein absoluter Pechvogel, der klaut um seinen Film drehen zu können, erwischt und danach im Gefängnis von mehreren Insassen täglich vergewaltigt wird. Nachdem ihm ein Hoden entfernt wird,  wird er dazu verurteilt, für die Mafia in einer abgelegenen Hütte widerwärtige Pornos mit den beiden heroinsüchtigen Ex-Prostituierten Snowdrop und Sissy zu drehen. Snowdrop und Sissy sind genauso überzeichnet, wie es alle Charaktere in „Das Schwein“ sind. Ein homosexueller Bordellbesitzer, die beiden Mafiosi Rocco und Knuckles und alle anderen Nebencharaktere sind absolute Karikaturen und als solche sehr spaßig zu lesen. Sicherlich schwingt in „Das Schwein“ sehr viel Humor mit, welcher zwar pechschwarz, aber immer auch als solcher angelegt und zu erkennen ist. Vielleicht werden wenige über die humoristische Darstellung von homosexueller Vergewaltigung, Geschlechtsverkehr mit Tieren und sonstigen Anstößigkeiten lachen können, jedoch zeichnet ein überspitzter Humor, welcher jedoch NICHT im Troma-eskes Blödeln abdriftet, Lees obszönes Werk (Georges Batailles lässt grüßen) aus und das „Das Schwein“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieser funktionieren kann. Die eher minimalistische Handlung kann auch als eine reine Aneinanderreihung von Szenen gesehen werden, in der einer abgedrehter als die andere ist.  Es ist schwer zu sagen, dass das Schwein in seinen ersten beiden Dritteln Spannung im klassischen Sinn aufbaut, jedoch wird es aufgrund der Spritzigkeit und dem wirklich konstant aufrecht erhaltenen Anarchismus noch nicht mal für eine einzige Seite langweilig. In den letzten beiden Dritteln führt Lee eine übernatürliche Handlung ein, welche zwar einen sehr interessanten Unterschied zum homogenen Anfang bietet, sich aber dennoch sehr gut in das Gesamtwerk einfügt. 

"'Ich will keine Schweine ficken, ich will mir nen Schuss setzen!' brüllte Snowdrop."



Doch trotz des schrillen Humors, der gelungenen Charakterzeichnung und den übernatürlichen Themen, spielen Sex und Gewalt die absolute Hauptrolle in „Das Schwein“ und dürften für viele auch der primäre Lesegrund sein. Schon am Anfang wird beschrieben, wie Leonard sein erstes Mal mit einer Sau hatte, die Dreharbeiten werden in all ihren Einzelheiten, zum Beispiel den Cumshots, dem Sperma trinken etc. dargestellt und jede andere Form von graphischem Inhalt wird bis zum Äußersten ausgeschlachtet. Trotz des Humors sind diese Darstellungen wirklich anstößig und bewahren einen sehr dreckigen, sadistischen Unterton. Lee schafft es, Menschen als komplett wertlos darzustellen und sich in ihrem Leid zu suhlen, was man zum Beispiel an den Eskapaden der beiden „Darstellerinnen“ sehen kann, welche geschlagen, anal vergewaltigt, voll-uriniert und bis zum Blutfluss beschlafen werden. Sex und Gewalt treten vermehrt zusammen auf, was sich eindrucksvoll in einem Kapitel zeigt, in dem Leonard filmen muss, wie Knuckles und Vinch eine junge Frau zu Tode quälen. Geschlechtsverkehr mit offenen Wunden und genitale Verstümmelung gehören in dieser Szene noch zu den harmloseren Foltern. Die 18er Freigabe und die Tatsache, dass das Buch nicht für den Großhandel zugelassen wurde, sind kein Gimmick, sondern absolut ernst gemeint und angebracht. Was Entschlossenheit angeht, gehört „Das Schwein“ zweifelsohne zu oberen Drittel von Lees Schaffen, für einige seiner Leser könnte das Buch, nicht zuletzt aufgrund der gewalt- und tierpornographischen Aspekte, so etwas wie Lees Meisterwerk des schlechten Geschmacks darstellen.



Fazit: „Das Schwein“ ist Edward Lee, durch und durch. Die Handlung bietet dem Leser keine Verschnaufpause, die Charaktere sind verschroben wie eh und je und die Anstößigkeiten prasseln im Sekundentakt auf den Leser ein. Die Darstellungen von Sex und Gewalt sind so allgegenwärtig und grenzüberschreitend, dass der normale Jack Ketchum oder Dean Koontz Freund sicherlich nicht bis zum Ende durchhalten wird, auch wenn es sich bei „Das Schwein“ natürlich mehr um Splattertrash, als um echte „Literatur“ handelt. Dies ist aber auch absolut gewollt und ein Kennzeichen Lees. Wer mit der Ästhetik des amerikanischen Autors etwas anfangen kann, wird in „Das Schwein“ eines seiner Referenzwerke, wenn nicht sogar sein Referenzwerk, finden.

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