Montag, 2. September 2013

REVIEW: A HOLE IN MY HEART (Lukas Moodysson, 2004)







Rickard ist ein richtiger Versager. Seine Frau hat ihn verlassen, er hat keinen Job, und sein Sohn Erik, ein depressiv veranlagter Einzelgänger, hasst ihn bis aufs Blut. Rickard verbringt den Großteil seiner Zeit mit Rumhängen, Play Station spielen und saufen, Unterstützung bekommt er durch seinen Freund Gecko. Die beiden heruntergekommenen Verlierer bessern ihre Haushaltskasse ein wenig mit dem Drehen von Amateurpornos auf, wobei Rickard als Kameramann und Gecko als Hauptdarsteller fungiert. Zwecks Filmdreh haben sie auch eine junge Frau namens Tess engagiert, deren größter Traum es schon immer war, Pornodarstellerin zu werden. Diese Passion ging sogar so weit, dass sie sich die Schamlippen verkleinern ließ, um attraktiver zu wirken. Nun nimmt alles seinen Lauf...



Der schwedische Film “A Hole in my Heart“ ist wohl purer Nihilismus auf Celluloid gebannt. Lukas Moodyssons schmerzhaft realistisches Werk aus dem Jahre 2004 hat keinen Inhalt außer Kälte, Abstumpfung, Rohheit und Verzweifelung. 

 
 
Eine durchgehende Handlung gibt es nicht, man sieht einfach nur diese kaputten Gestalten in ihrem Alltag, welcher von Hilflosigkeit, Tristesse und Verbitterung dominiert wird. Man bekommt als Zuschauer das Gefühl, dass die Lage ausweglos scheint, was sie sicherlich auch ist. Die Protagonisten gammeln vor sich hin, schreien sich an, besaufen sich und sind größtenteils lethargisch. Es tut sich ein regelrechter Mikrokosmos auf, in dem es nur diese Menschen und ihr Schicksal gibt. Die vier Hauptcharaktere wirken wie eingesperrte Tiere, die Tag für Tag ein erbärmliches Dasein ohne eine Möglichkeit auf Entkommen oder Verbesserung fristen. Alles ist verwahrlost und dreckig, die Beziehungen zueinander sind dysfunktional und auch die Emotionen liegen brach. Anfänglich gibt Eric seinem Vater Rickard Toilettenwasser zu trinken und lehnt jede Form von körperlicher Nähe und Zuneigung ab. Die geheuchelten Annäherungsversuche von Tess unterbindet er, obwohl Gecko mutmaßt, dass er sehr darunter leidet noch nie etwas mit einem Mädchen gehabt zu haben. Überhaupt ist das Fehlen von Liebe bzw. die Unfähigkeit sich anderen Menschen zu nähern ein Motiv, welches uns durch den gesamten Film begleitet. Der Porno, Geckos Hasstiraden, Rickard, der in seiner Kindheit missbraucht wurde und Tess, die sich die Schamlippen operativ verkleinern lassen hat, um anerkannt zu werden. “A Hole in my Heart“ besteht so gut wie ausschließlich aus zwischenmenschlichen Beziehungen, jedoch laufen diese ohne echte Nähe und Wärme ab. Deshalb spielt Sex auch so eine große Rolle in dem Film. Etwas Natürliches wird zu etwas Plastischem (Verkleinerung der Schamlippen), Gewalttätigem (Geckos Gewaltausbruch) und Widerwärtigem (das Erbrechen in den Mund von Tess) pervertiert und steht somit metaphorisch für die gesamte Existenz aller Beteiligten.




Im Gegensatz zu Eric verkörpert Tess das Streben nach Anerkennung bis hin zur absoluten Selbstaufgabe. Hierfür steht zum Beispiel die Szene, in der Gecko Tess mit dem Baseballschläger droht und sie fast zusammenschlägt; sie flüchtet, doch man sieht sie ein wenig später komplett lethargisch im Supermarkt stehen. Dort kauft sie Alkohol, den sie dann zu ihren ehemaligen Peinigern bringt, quasi als Wiedergutmachung. Sie sagt, dass es ihr in der Welt zu kalt und einsam war, und dass sie deshalb zurückgekehrt wäre. Die Antihelden besaufen sich, Gecko, der an manchen Stellen sehr gewaltbereit und sadistisch wirkt, kotzt ihr in den Mund, Rickard randaliert in seiner eigenen Wohnung, und Gecko schläft im Vollrausch in einer Wiese ein, und träumt von einem großen, schönen Kornfeld. Genial ist hierbei, wie die Flucht in den Alkohol mit all ihren Höhen und Tiefen dargestellt wird. Geradezu beiläufig wechseln sich euphorische und gefühlschaotische Episoden ab, Rickards Wutausbruch und der Plan, seinen Vater zusammenzuschlagen wirken im Anbetracht der Umstände geradezu banal. Moodysson zeigt uns einen Charakter, der eigentlich aufgegeben hat und in seiner Resignation doch noch so etwas wie Auflehnung an den Tag legt. Doch es ist so unumstößlich klar, dass es aus dieser Situation kein Entkommen gibt, für niemanden und so verhallt Rickards Hass im Nichts. Jeder dieser Charaktere und alles, was mit ihm passiert, ist so absolut trivial und nichtssagend, aber genau dadurch gewinnt der Film so sehr an Aussage.


Um seine Botschaft zu vermitteln, verzichtet “A Hole in my Heart“ bewusst auf stringente Handlungsentwicklung und Sympathieträger, denn dies steht nicht im Vordergrund und wäre eventuell sogar kontraproduktiv gewesen. Es geht nämlich um weitaus existenziellere Themen. Unterdrückte Homosexualität, Einsamkeit, die Isolation des Individuums innerhalb der Großstadt, Kindheitstraumata, Missbrauch und die Sinnlosigkeit des Lebens. Alle diese Themen werden in diese Menschen hineingestopft und zur Schau gestellt, ohne dabei einen Lösungsansatz darzubieten oder moralisch wirken zu wollen. Es ist erstaunlich wie authentisch und organisch die Negativität des Filmes vermittelt wird. Hier wirkt rein gar nichts forciert oder gestellt. In Moodyssons Werk liegt keine Heilung und keine unterschwellige, positive Botschaft verborgen, es möchte nur verletzen, zerstören und niederschmettern, und das tut es definitiv.

Der Film bietet einige Zwischenschnitte und dokumentarische Aspekte, was den enorm hohen Grad
an Authentizität und Realismus erhöht. Trotzdem ist der Film kalt und traurig, da die geschilderte Gesamtsituation kalt und traurig ist. Moodysson hat es geschafft, den Mensch als solchen in seine Einzelteile zu zerlegen und sämtliche Triebe, Wünsche und Instinkte in Frage zu stellen und ins nichts verlaufen zu lassen. Ohne Wertung, ohne Sympathie, ohne Happy End,  ohne Höhepunkt. Es gibt nur die Charaktere, die, wenn sie wirklich leben würden, genauso weiter machen würden. Somit ist dieses Trauerspiel ein willkürlich herausgegriffener Abschnitt im Leben dieser Personen, der auf der einen Seite bedeutungstragend, auf der anderen Seite aber durch und durch wertlos ist. Man könnte meinen, dass man eine etwas verfremdete Big Brother Episode sieht. Natürlich ist der Film viel anspruchsvoller gemacht und geschnitten, dies soll sich nur auf den enormen Grad an Realismus beziehen. Die traurige Monotonie, die das Leben der Darsteller bestimmt, wurde perfekt eingefangen und rigoros dem Zuschauer präsentiert.

Fazit: Hyperreale, niederschmetternde Darstellung von absoluter Leere. Von vorne bis hinten existenziell und stark und doch nicht mehr als ein wertloser Haufen Nichts. Einer der intensivsten Filme, die jemals gedreht wurden und sicherlich einer der lebensverneinendsten. Um den Film wirklich vollends genießen zu können, sollte man sich bestenfalls schon einmal mit nihilistischen, negativen Gedanken befasst haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass reine Horrorfans den Film nicht mögen bzw. wertschätzen könnten. Menschen mit Depressionen sollten jedoch eventuell zwei Mal überlegen, ob sie den Film sehen sollten, denn die Wirkung von “A Hole in my Heart“  ist sehr stark und kann einen sehr herunterziehen. Ein Film, den man gesehen haben sollte, sofern man mit der Grundhaltung etwas anfangen kann.




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