Franz Kafka dürfte so ziemlich jedem ein Begriff sein, der
sich jemals in seinem Leben mit deutschsprachiger Literatur befasst hat. Zwar
sind “Der Prozess“ und andere Werke Kafkas nicht unbedingt beliebt bei Schülern
(und oftmals sogar Lehrern), doch sein Status als Visionär und großer Künstler ist
unangefochten. Kafkas Roman(fragment)e und Kurzgeschichten sind bizarr, nahezu
morbide, düster, kryptisch und surreal. Sein unverkennbarer Schreibstil lässt
seine Werke phantastisch und realistisch zugleich erscheinen, ein Stil, den man
nur mit einem Wort beschreiben kann: kafkaesk. Zahlreiche surreale Künstler im
Bereich Film, bildende Kunst und Musik nahmen sich Kafkas Themen an, oder
wurden zumindest von seiner Ästhetik mehr als merklich beeinflusst, doch
niemals hat jemand etwas geschaffen, das Kafkas Lebenswerk ebenbürtig wäre oder
es sogar übertreffen könnte.
Einer der Gründe für die Qualität und Eigenartigkeit von
Kafkas Lebenswerk ist die Art, in der er persönliche Neurosen, Ängste und
Erfahrungen in seine Geschichten hat einfließen lassen. Auch wenn Kafkas Werke
für sich betrachtet grandios sind, entfalten sie ihre wahre Wirkung erst dann,
wenn man die Person Franz Kafka kennt. Die Graphic Novel “Kafka“, die von David
Zane Mairowitz geschrieben und von Robert Crumb illustriert wurde, hat es
geschafft, Person und Werk auf geniale Weise zu verknüpfen. Halb als
Biographie, halb als Adaption seiner bekanntesten Geschichten angelegt, ist
“Kafka“ das Beste aus zwei Welten: die biographische Aspekt wurde auf das
Wesentliche reduziert und die Geschichten auf ihre aussagekräftigsten Szenen
verkürzt.
Es wird direkt klar, dass die Graphic Novel auf eine sehr
interessante und pfiffige Art die jeweiligen Themen zu behandeln weiß. Die
interessanten Texte und die Illustrationen arbeiten sehr schön zusammen, ohne
dass eines der beiden irgendwie untergeht oder die zweite Geige spielt. Die
Texte sind sehr aufschlussreich und schwanken zwischen lebendig gestalteten
Beschreibungen von Kafkas Privatleben, Erläuterungen der historischen Umstände
und dezenten Deutungen. Gerade in Bezug auf Letzteres muss man ein Lob
aussprechen. Kafkas Leben und Werk stehen immer im Vordergrund, die
Deutungsansätze sind zwar vorhanden, sind aber immer sehr neutral und
unaufdringlich. Der Stil der Illustrationen bzw. Comic Strips ist traumhaft.
Oftmals vom Design her expressionistisch anmutend (gerade was die Überschriften
und Raumgestaltungen angeht), comichaft, aber dennoch sehr düster. Nicht zu
realistisch, allerdings mit sehr lebensechten Gesichtern. Perfekt um Kafkas
Visionen auf Papier zu bringen.
Anfangs wird sehr stark auf Kafkas Beziehung zu seinem
Glauben, dem Judentum, und sein Umfeld eingegangen. Hierbei machen Crumb und
Mairowitz nicht den gängigen Fehler und reduzieren Kafka und sein Werk auf sein
schwieriges Verhältnis zu seiner Religion. Hervorzuheben ist ganz klar die
Form, in der der jüdische Mythos des “Golem“, sowie die Darstellungen der
antisemitischen Propaganda, welche zu dieser Zeit betrieben wurde. Gerade in
diesen “Zwischenschnitten“ funktioniert der Zeichenstil perfekt und trägt dazu
bei, dass diese “Exkursionen“ auch haften bleiben.
Ein weiteres Thema, welches sehr eindringlich geschildert
wird, ist Kafkas Beziehung zu seinem Vater Herrmann Kafka. Hierzu wird seine
sehr bekannte Kurzgeschichte “Das Urteil“ adaptiert. In dieser sehr
persönlichen Geschichte geht es um einen jungen Mann, der seinem Vater die
Nachricht seiner Verlobung bringt und daraufhin von ihm als Lügner bezichtigt
und zum Tode verurteilt wird. Die Geschichte endet damit, dass der Sohn aus der
Wohnung rennt und sich in einem Fluss ertränkt. Es gibt wohl keine Geschichte,
die Kafkas Verhältnis zu seinem Vater besser beschreibt. Auf dieses wird in
“Kafka“ mehrfach Bezug genommen. Hierbei wird Herrmann oft als verzerrte,
bestialische Gestalt dargestellt, wohingegen der verschüchterte Franz geradezu
mickrig wirkt. Ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Fakten aus Kafkas Leben, eine
seiner Geschichten, in der das jeweilige Thema aufgegriffen wird und aussagekräftige
Illustrationen einen Themenkomplex auf kurzweilige Art behandeln und dem Leser
näher bringen, ohne jedoch die nötige Tiefe vermissen zu lassen.
Kafkas gestörtes Selbstbild und seine
Minderwertigkeitskomplexe kommen vor allem in einer seiner bekanntesten
Geschichten sehr stark zur Geltung: “die Verwandlung“. Gregor Samsa wacht
morgens auf und hat sich in ein Insekt verwandelt. Nach mehreren Erniedrigungen,
stirbt er irgendwann alleine im Hinterzimmer. Diese Geschichte, welche viele
Leute als Kafkas Markenzeichen sehen, ist sehr ausführlich nacherzählt und in
grandioser Weise in “Kafka“ nachgezeichnet worden. Die groteske Natur dieser
Geschichte erstrahlt in den einzelnen Panels in einer Dynamik, welche für Kafka
fast schon befremdlich wirkt, gibt den Geist der Geschichte jedoch absolut
naturgetreu wieder. Der Text besteht zum Teil aus Zitaten, zum Teil aus
Zusammenfassungen, die Bilder tun ihr übriges. Es ist schön zu sehen, wie viel
Liebe und Sorgfalt in dem Konzept von “Kafka“ steckt. Gerade bei “die
Verwandlung“ merkt man, wie gut das von Crumb und Mairowitz gewählte Format zu
Kafkas Vorlage passt. Der Hauptgrund hierfür ist, neben der genialen Storyline,
das gelungene Design des Käfers selbst. Alle tierischen, bzw. anthropomorph
tierischen, Gestalten aus Kafkas Geschichten (u. A. Josephine, welche nur am
Rande kurz auftaucht) sind sehr interessant gezeichnet. Dies ist vor allem bei
der Adaption von Kafkas weniger bekannten, aber nicht minder wirkungsvollen
Geschichte “Der Bau“ spürbar. In dieser Geschichte huscht ein Tier durch einen
klaustrophobischen Irrgarten, den es sich selbst gebaut hat, um sich von der
Welt abzuschirmen. Die Parallelen zu Kafka selbst liegen auf der Hand.
Ein weiteres, wichtiges Thema in Kafkas Leben und Werk ist
seine Angst vor Autorität. “Die Strafkolonie“ ist ein perfektes Sinnbild dafür:
ein Soldat, der (wie so oft bei Kafka) nicht weiß, was er verbrochen hat, soll
von einer Maschine eine Satz auf den Rücken gehackt bekommen. K. wohnt soll
dieser Zeremonie als Beobachter beiwohnen. Als der ausführende Leutnant aus
nicht ganz klaren Gründen sich selbst auf die Maschine binden lässt, wird er von
ihr zu Tode gewalzt. In dieser Geschichte sind es vor allem die Gestik der Charaktere
und die Maschine selbst, die die Wirkung
ausmachen. Doch auch die Zerquetschung des Offiziers wurde sehr gut umgesetzt
und wirkt trotz einiger Comichaftigkeit doch sehr direkt. Ein minimal
humoristischer Zug ist ja auch Kafkas Werken keineswegs abzusprechen. Sein
Bezug zu Autorität bzw. Bürokratie ist aber wird aber noch deutlicher in den Roman(fragment)en
“Das Schloss“ und “Der Prozess“ deutlich, welche natürlich auch ihren Platz in “Kafka“
haben. “Der Prozess“ wurde sehr stark zusammengefasst, jedoch wurden einzelne
Passagen sehr ausführlich behandelt. Die Parabel von dem Mann, der vorm Tor des
Gesetzes um Einlass gebeten wird, ist in voller Länge auf gelungene Art
adaptiert worden, absolut grandios ist jedoch das Ende, in dem K. von den
beiden Schergen ermordet wird. Die expressionistische Ader des Zeichenstils
verleiht diesem Abschnitt extrem viel Kraft und Ästhetik, wundervoll. Die
Herausarbeitung dieser Szenen und die daraus folgende Kürzung des Inhalts ist
ein sehr guter Entschluss gewesen, eine getreue Adaption wäre wohl länger
geworden, als die gesamte graphische Novelle. Ähnlich wurde bei “Das Schloss“
verfahren, Kafkas wohl stärkstem Roman (in den Augen des Verfassers dieser
Rezension). Das ständige Verwirrspiel mit der Bürokratie des Schlosses
entfaltet zwar nur im Roman vollends seine zermürbende Wirkung, wurde jedoch
gut und verhältnismäßig ausführlich übertragen. Vor allem der im Buch
angesprochenen Märchenhaftigkeit des Fragments wurde Tribut gezollt, insofern kann
man die (ohnehin unausweichliche) Kürzungen absolut verstehen.
Ein weiteres, großes Thema ist Kafkas Beziehung zu Frauen
und Sexualität. Sein religiös bedingter Selbsthass, seine Neigung zum Kränkeln und
die Kränkungen, die er durch seinen Vater erlitten hat, können wohl als Gründe für
seine neurotische Einstellung gegenüber Frauen gesehen werden. Natürlich wird
der Briefbeziehung zu Felice und der für, seine Verhältnisse freizügigen,
Liaison mit Milena viel Platz eingeräumt, beide sind sehr ausführlich und mit
Hilfe von Originalzitaten aus Briefen Kafkas aufgearbeitet worden. Auch wenn
dieses Thema von einigen Episoden seiner Werke, z.B. dem Dienstmädchen aus “Der
Prozess“, unterlegt wird, widmet er sich doch so gut wie ausschließlich dem
echten Franz Kafka. Kafkas Siechtum wird auf sehr morbide Art in der Adaption
von “Der Hungerkünstler“ aufgegriffen, seine Träume der Weltflucht werden in
dem unterschätzten Romanfragment “Der Verschollene“ behandelt. Beide sind, wie
gewohnt, sehr gut zusammengefasst und gestaltet worden, vor allem der
Hungerkünstler selbst sieht beeindruckend aus. Das Nachwort ist interessant,
ausführlich und stellenweise sehr makaber. Nach Kafkas Tod erfahren wir von
Problem mit dem NS Regime, dem kommunistischen Russland und seiner Platz in der
Gegenwart. Eine sehr gute Art, den Mythos Kafka und sein Wirken zu beschreiben.
Fazit: “Kafka“ ist genial. Teils Biographie, teils Adaption
seiner wichtigsten Werke, ist die graphische Novelle kurzweilig, tiefgründig
und absolut stilsicher. Das Thema wird stets respektvoll behandelt, eigene
Interpretationen werden auf dezente Art eingebracht, ohne jedoch den Lesegenuss
zu trüben und die Geschichten Franz Kafkas funktionieren in der Comicform sehr
gut. Für Fans des morbiden Tschechen ist diese graphische Novelle fast schon
ein Muss, doch auch Leute, welche sich noch nie mit Kafka befasst haben, sollten
von diesem mitreißenden Band begeistert sein. Nicht zuletzt wegen den
grandiosen Illustrationen.
Reprodukt präsentiert die Novelle im kartonierten Einband in
deutscher Übersetzung. In diesem Falle ist die deutsche Übersetzung aufgrund der
Zitate allemal dem englischen Original vorzuziehen. Wenn man den Special
Interest Charakter des Comics bedenkt, sollte man bei den 17 € Neupreis nicht zwei
Mal überlegen.
KAFKA BEI REPRODUKT KAUFEN
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