Im zweiten Weltkrieg war Klaus ein sadistischer KZ Arzt, der
kleine Jungen missbrauchte und sie dutzendfach mit Injektionen in den Brustkorb
umbrachte. Heute wohnt Klaus mit seiner Frau und seiner Tochter im Exil, beide
wissen nichts von seiner Vergangenheit. Seit einem Unfall liegt Klaus in der
eisernen Lunge. Fällt sie aus, stirbt er. Der junge Angelo betritt eines Tages
das Haus und bewirbt sich um den Posten des Krankenpflegers. Angelo weiß von
Klaus‘ Vergangenheit und ist fasziniert von den Gräueltaten, die Klaus begangen
hat. Gemeinsam begeben sich Klaus und Angelo in die tiefsten Abgründe
menschlicher Begierde, doch Klaus ahnt nicht, wie weit Angelos Faszination für
das Leid und den Tod Anderer geht und aus welchen Motiven er wirklich handelt…
Das spanische Drama “Tras el Cristal“, welches 1987 von
Agusti Villaronga inszeniert wurde, ist zweifelsohne einer der unangenehmsten Filme
über Sadismus, Macht und Perversion, welche jemals gedreht wurden. Die
Geschichte um den pädophilen Lagerarzt Klaus und dem Machtspiel, das sein
junger Pfleger mit ihm spielt, ist zum einen als beklemmendes Kammerspiel, zum
anderen als Charakterdrama angelegt. Das Ergebnis ist ebenso mitreißend, wie es
verstörend ist.
Die Handlung von “Im Glaskäfig“ ist wie ein Schraubstock,
der sich nach und nach immer mehr zuzieht. Nachdem Angelo den Posten als
Pfleger antritt, dauert es nicht lange, bis die gemeinsame Aufarbeitung von
Klaus‘ Vergangenheit ihren Lauf nimmt. Immer detaillierter und lüsterner
schildert er die perversen Gewaltakte, die er damals begangen hat. Zeitgleich
offenbart Angelo nach und nach seine mörderischen Neigungen und sein
gewalttätiges Wesen. Er erhängt Klaus‘ Frau an der Treppe, wütet in der Villa
und fängt sogar selbst an, Kinder zu verschleppen und vor Klaus‘ Augen in der
Art zu ermorden, wie er es damals im KZ tat. Je weiter der Film voranschreitet,
desto triebhafter und chaotischer wird das Geschehen und desto mehr Intensität
baut sich in der engen Villa, welche nahezu klaustrophobische Gefühle beim
Betrachter hervorruft, auf. Dafür sind jedoch auch die geschickte Kameraführung
und der subtil eingesetzte Score, der stellenweise nur mit dem Wort grandios
beschrieben werden kann und die Szenen wundervoll einkleidet, verantwortlich.
Um seine Wirkung zu erzielen, setzt der Film weiterhin auf ein
allgegenwärtiges Gefühl der Bedrohung, welches schon ab der ersten Sekunde
spürbar ist. Wir sehen Klaus, wie er einen nackten, aufgehangenen Jungen in
lasziver Weise umspielt und ihn kurz darauf mit einem Kantholz totschlägt.
Danach folgen Bilder von Konzentrationslagern, abgemagerten Kindern und toten
Insassen. Nach dem Vorspann wird direkt Klaus in der eisernen Lunge
vorgestellt, die mechanische Beatmung ist ein immerwährender Begleiter der
Szenen, die in Klaus‘ Zimmer spielen. Es ist interessant zu sehen, in welch
meisterhafter Weise Villaronga von der ersten Sekunde an “Im Glaskäfig“ als
ständiges Katz- und Mausspiel zwischen Gewalt und Unterwerfung aufzieht. War Klaus
in der ersten Szene noch ein kindermordender, abartiger Gewalttäter, ist er nun
in der Position eines absolut hilflosen Opfers. Angelo hingegen kann als das
angesehen werden, was Klaus während des Krieges war: ein triebgesteuertes,
psychotisches, todesverliebtes Monster. Der Großteil der Dynamik resultiert aus
der wechselhaften Beziehung, die Angelo und Klaus führen. Eingeleitet wird
diese durch eine grandiose Szene, in der Angelo nachts das Zimmer von Klaus
betritt, seine eiserne Lunge öffnet, sich daraufhin auf ihn setzt und durch
Mund-zu Mund Beatmung und Pressen des Brustkorbs den ehemaligen Lagerarzt vom
Erstickungstod zu bewahren. Einerseits hat Angelo Klaus‘ Schicksal in der Hand,
andererseits verehrt er ihn anfangs wie einen Gott. Diese Beziehung hat offen
sexuelle Untertöne: in einer weiteren Szene zieht sich Angelo vor dem KZ Arzt
nackt aus und masturbiert, während er darüber spricht, Klaus‘ Frau umzubringen
und aus seinen Tagebüchern zitiert. Die Beziehung der beiden Männer strotzt
zwar vor Hass und Abscheu, kann aber dennoch als eine Art Pakt angesehen
werden, denn sie verbindet ein düsteres Geheimnis. Nicht nur die detaillierte,
schonungslose Darstellung der Charaktere, sondern auch die Ambivalenz und
schiere Unberechenbarkeit des Geschehens machen “Im Glaskäfig“ zu einem so einzigartigen
und intensiven Film.
Das wohl wichtigste Leitmotiv des Filmes ist Sadismus.
Gewalt, Tod, Begierde und Aggression sind allgegenwärtig. In geradezu
unmenschlicher Genauigkeit schildert Klaus die Ermordung an kleinen Kindern und
deren sexuellen Missbrauch. Er spricht über das injizieren von Benzin in die
Lunge der Kinder, ihren Todeskampf und wie sehr es ihn sexuell erregte. Täter
und Opfer könnten hierbei nicht extremer gezeichnet sein. Die Opfer sind
wehrlose, unschuldige Kinder, die aus reiner Lust getötet werden, die Täter
sind empathielos und triebgesteuert. In
“Tras el Cristal“ zählt nur die reine Begierde und der Akt selbst, die Opfer
sind keinem der Protagonisten auch nur einen Hauch von Mitleid wert. In einer
Schlüsselszene spricht Klaus im Off über die Ermordung eines Kindes, während
Angelo Klaus‘ alten Mantel aus dem Schrank holt und ihn anzieht. Der ehemalige
KZ Arzt Klaus steht sinnbildlich für absoluten Sadismus, Unterwerfung und
sexuelle Macht. Die NS- bzw. Konzentrationslagerthematik tut sicherlich ihr
übriges, ist aber mehr metaphorisch zu sehen, als alles andere, denn “Im
Glaskäfig“ beschäftigt sich in erster Linie mit Urinstinkten und Trieben. Die
Szenen, in denen Angelo Jungen mit in die Villa holt und sie vor den Augen des
siechenden KZ Arztes tötet, stehen exemplarisch für die sadistische Lust am
Töten Wehrloser. Diese Morde sind unheimlich packend inszeniert und an Härte
kaum zu überbieten. Der Film zeigt z.B. in Nahaufnahme, wie eine Nadel in den
Brustkorb eines Jungen eindringt und dieser dann qualvoll an dem Benzin
erstickt. So widerwärtig und abstoßend das Gezeigte auch sein mag, die
Choreographie dieser Szenen ist dennoch phänomenal. Dies gilt vor allem für die
Szene, in der Angelo dem Chorknaben mit einem Küchenmesser die Kehle
durchschneidet, während er am Singen ist. Für den Zuschauer werden Gewalt und
Schönheit eins, so wie es auch bei den beiden Protagonisten der Fall ist.
Villaronga zeigt die Gewalt nicht nur, er zwingt einem vielmehr die Sichtweise
der sadistischen Protagonisten auf. Ein grandioser Schachzug!
Während viele ähnlich veranlagte Filme auf Gedeih und
Verderb versuchen, die Täter als mehrschichtige Persönlichkeiten mit einem
humanen Kern darzustellen, sind Angelo
und Klaus Bösewichte, für die man keine Sympathie empfinden kann, doch das
macht sie noch lange nicht eindimensional. Das dramatische Kammerspiel schafft
es durchgehend mit Täter- und Opferrollen zu spielen und sie stets
unterschiedlich zu verlagern. Alle handlungstragenden Charaktere in “Im
Glaskäfig“ sind dominant bis gewalttätig und werden dennoch unterworfen. Oft dreht
Villaronga die Machtpositionen vom einen auf den anderen Moment um. Vor allem die
eiserne Lunge ist ein Symbol für die Art, in der Macht und Schwäche vereint
werden: der ehemalige Lagerarzt, Inbegriff von Macht und sein “Glaskäfig“,
Sinnbild für Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens, vereint in einem. In
einer Szene stolpert seine Frau über das Kabel, die eiserne Lunge fällt aus und
Klaus ringt nach Luft, während sie gebannt auf sein Leiden schaut, bevor sie
den Stecker wieder einsteckt. Der Sadist, der durch das bloße Ziehen eines
Steckers umgebracht werden und die hörige Hausfrau, die sich an seinem Leiden
ergötzt und in einer späteren Einstellung mit Absicht den Strom im ganzen Haus
abschaltet, ihn aber daraufhin sofort wieder an macht. Interessant ist hierbei,
dass Klaus beim Ersticken ebenso nach Luft ringt, wie die Kinder bei ihrer
Ermordung. Das Opfer spiegelt sich im Täter wieder und umgekehrt. Das ständige
Hin und Her zwischen Unterwerfung und unterworfen werden erreicht spätestens
dann seinen Höhepunkt, wenn Angelo das gesamte Haus mit Stacheldraht auskleidet
und es zu seinem eigenen KZ macht, in dem er als Kommandant mit Mantel und
Reitgerte auftritt. Was als Huldigung beginnt, wird nach und nach zu einem
vollkommenen Rollentausch, der sogar so weit geht, dass Klaus‘ Tochter Rena
Angelo als Vater ansieht. Doch die Beziehung zwischen Klaus und Angelo ist
nicht das extremste Beispiel von umgekehrter Viktimisierung, sie wirft auch
eine interessante Schuldfrage auf. Klaus beobachtet Angelos Taten durch den
Spiegel und ist somit Voyeur und Täter zugleich, denn ohne seine
Ausschweifungen hätte auch Angelo nie angefangen in diese Welt abzutauchen.
Fazit: “Im Glaskäfig“ ist ein wahres Biest. Der Film gibt
keine moralischen Antworten, er zeichnet eine Welt voller Perversion und
Unterwerfung, aus der es keinen Ausweg gibt. Der Score ist ein reines Gedicht,
die Inszenierung dicht und die Handlung erstrahlt in tausenden, intelligent
zusammengefügten Nuancen. “Im Glaskäfig“ ist, ohne Übertreibung, einer der
besten Filme über Gewalt und Sadismus, die es gibt. Ein niederschmetterndes,
teilweise geradezu unerträglich böses Meisterwerk, welches man jedem Freund des
kontroversen Films bedingungslos empfehlen kann.
Zur DVD: Das Label Bildstörung präsentiert “Im Glaskäfig“ in
der Drop-Out Edition. Der Schuber ist sehr schön gestaltet, das in Blautönen
gehaltene Design ist erstklassig und das Beiheft ist sehr informativ und bietet
neben zahlreichen Informationen und Deutungen auch noch einen Bericht, den der
Regisseur selbst verfasst hat. Die DVD selbst bietet den Film in einer sehr
guten Bildqualität (viel besser als die ausländischen Alternativen) im O-Ton
mit sehr gut übersetzen deutschen Untertiteln. Ein weiterer Hammer ist das
knapp halbstündige Interview mit dem Regisseur, welches sehr informativ ist. Alles
in allem eine wunderschöne Veröffentlichung, die einzige weltweit, welche
diesem Klassiker würdig ist. Diese gibt es auch in einer billigen Budget
Version, echte Fans brauchen aber natürlich die Drop-Out Fassung, welche ich
jedem nochmal empfehlen kann. Die FSK Freigabe ist übrigens auf einen Zettel
gedruckt, der entfernt werden kann. Der eigentliche Schuber ist flatschenfrei!
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