Sonntag, 8. September 2013

REVIEW: IM GLASKÄFIG (OT: Tras el Cristal, 1987)





Im zweiten Weltkrieg war Klaus ein sadistischer KZ Arzt, der kleine Jungen missbrauchte und sie dutzendfach mit Injektionen in den Brustkorb umbrachte. Heute wohnt Klaus mit seiner Frau und seiner Tochter im Exil, beide wissen nichts von seiner Vergangenheit. Seit einem Unfall liegt Klaus in der eisernen Lunge. Fällt sie aus, stirbt er. Der junge Angelo betritt eines Tages das Haus und bewirbt sich um den Posten des Krankenpflegers. Angelo weiß von Klaus‘ Vergangenheit und ist fasziniert von den Gräueltaten, die Klaus begangen hat. Gemeinsam begeben sich Klaus und Angelo in die tiefsten Abgründe menschlicher Begierde, doch Klaus ahnt nicht, wie weit Angelos Faszination für das Leid und den Tod Anderer geht und aus welchen Motiven er wirklich handelt…






Das spanische Drama “Tras el Cristal“, welches 1987 von Agusti Villaronga inszeniert wurde, ist zweifelsohne einer der unangenehmsten Filme über Sadismus, Macht und Perversion, welche jemals gedreht wurden. Die Geschichte um den pädophilen Lagerarzt Klaus und dem Machtspiel, das sein junger Pfleger mit ihm spielt, ist zum einen als beklemmendes Kammerspiel, zum anderen als Charakterdrama angelegt. Das Ergebnis ist ebenso mitreißend, wie es verstörend ist.






Die Handlung von “Im Glaskäfig“ ist wie ein Schraubstock, der sich nach und nach immer mehr zuzieht. Nachdem Angelo den Posten als Pfleger antritt, dauert es nicht lange, bis die gemeinsame Aufarbeitung von Klaus‘ Vergangenheit ihren Lauf nimmt. Immer detaillierter und lüsterner schildert er die perversen Gewaltakte, die er damals begangen hat. Zeitgleich offenbart Angelo nach und nach seine mörderischen Neigungen und sein gewalttätiges Wesen. Er erhängt Klaus‘ Frau an der Treppe, wütet in der Villa und fängt sogar selbst an, Kinder zu verschleppen und vor Klaus‘ Augen in der Art zu ermorden, wie er es damals im KZ tat. Je weiter der Film voranschreitet, desto triebhafter und chaotischer wird das Geschehen und desto mehr Intensität baut sich in der engen Villa, welche nahezu klaustrophobische Gefühle beim Betrachter hervorruft, auf. Dafür sind jedoch auch die geschickte Kameraführung und der subtil eingesetzte Score, der stellenweise nur mit dem Wort grandios beschrieben werden kann und die Szenen wundervoll einkleidet, verantwortlich.



Um seine Wirkung zu erzielen, setzt der Film weiterhin auf ein allgegenwärtiges Gefühl der Bedrohung, welches schon ab der ersten Sekunde spürbar ist. Wir sehen Klaus, wie er einen nackten, aufgehangenen Jungen in lasziver Weise umspielt und ihn kurz darauf mit einem Kantholz totschlägt. Danach folgen Bilder von Konzentrationslagern, abgemagerten Kindern und toten Insassen. Nach dem Vorspann wird direkt Klaus in der eisernen Lunge vorgestellt, die mechanische Beatmung ist ein immerwährender Begleiter der Szenen, die in Klaus‘ Zimmer spielen. Es ist interessant zu sehen, in welch meisterhafter Weise Villaronga von der ersten Sekunde an “Im Glaskäfig“ als ständiges Katz- und Mausspiel zwischen Gewalt und Unterwerfung aufzieht. War Klaus in der ersten Szene noch ein kindermordender, abartiger Gewalttäter, ist er nun in der Position eines absolut hilflosen Opfers. Angelo hingegen kann als das angesehen werden, was Klaus während des Krieges war: ein triebgesteuertes, psychotisches, todesverliebtes Monster. Der Großteil der Dynamik resultiert aus der wechselhaften Beziehung, die Angelo und Klaus führen. Eingeleitet wird diese durch eine grandiose Szene, in der Angelo nachts das Zimmer von Klaus betritt, seine eiserne Lunge öffnet, sich daraufhin auf ihn setzt und durch Mund-zu Mund Beatmung und Pressen des Brustkorbs den ehemaligen Lagerarzt vom Erstickungstod zu bewahren. Einerseits hat Angelo Klaus‘ Schicksal in der Hand, andererseits verehrt er ihn anfangs wie einen Gott. Diese Beziehung hat offen sexuelle Untertöne: in einer weiteren Szene zieht sich Angelo vor dem KZ Arzt nackt aus und masturbiert, während er darüber spricht, Klaus‘ Frau umzubringen und aus seinen Tagebüchern zitiert. Die Beziehung der beiden Männer strotzt zwar vor Hass und Abscheu, kann aber dennoch als eine Art Pakt angesehen werden, denn sie verbindet ein düsteres Geheimnis. Nicht nur die detaillierte, schonungslose Darstellung der Charaktere, sondern auch die Ambivalenz und schiere Unberechenbarkeit des Geschehens machen “Im Glaskäfig“ zu einem so einzigartigen und intensiven Film.






Das wohl wichtigste Leitmotiv des Filmes ist Sadismus. Gewalt, Tod, Begierde und Aggression sind allgegenwärtig. In geradezu unmenschlicher Genauigkeit schildert Klaus die Ermordung an kleinen Kindern und deren sexuellen Missbrauch. Er spricht über das injizieren von Benzin in die Lunge der Kinder, ihren Todeskampf und wie sehr es ihn sexuell erregte. Täter und Opfer könnten hierbei nicht extremer gezeichnet sein. Die Opfer sind wehrlose, unschuldige Kinder, die aus reiner Lust getötet werden, die Täter sind  empathielos und triebgesteuert. In “Tras el Cristal“ zählt nur die reine Begierde und der Akt selbst, die Opfer sind keinem der Protagonisten auch nur einen Hauch von Mitleid wert. In einer Schlüsselszene spricht Klaus im Off über die Ermordung eines Kindes, während Angelo Klaus‘ alten Mantel aus dem Schrank holt und ihn anzieht. Der ehemalige KZ Arzt Klaus steht sinnbildlich für absoluten Sadismus, Unterwerfung und sexuelle Macht. Die NS- bzw. Konzentrationslagerthematik tut sicherlich ihr übriges, ist aber mehr metaphorisch zu sehen, als alles andere, denn “Im Glaskäfig“ beschäftigt sich in erster Linie mit Urinstinkten und Trieben. Die Szenen, in denen Angelo Jungen mit in die Villa holt und sie vor den Augen des siechenden KZ Arztes tötet, stehen exemplarisch für die sadistische Lust am Töten Wehrloser. Diese Morde sind unheimlich packend inszeniert und an Härte kaum zu überbieten. Der Film zeigt z.B. in Nahaufnahme, wie eine Nadel in den Brustkorb eines Jungen eindringt und dieser dann qualvoll an dem Benzin erstickt. So widerwärtig und abstoßend das Gezeigte auch sein mag, die Choreographie dieser Szenen ist dennoch phänomenal. Dies gilt vor allem für die Szene, in der Angelo dem Chorknaben mit einem Küchenmesser die Kehle durchschneidet, während er am Singen ist. Für den Zuschauer werden Gewalt und Schönheit eins, so wie es auch bei den beiden Protagonisten der Fall ist. Villaronga zeigt die Gewalt nicht nur, er zwingt einem vielmehr die Sichtweise der sadistischen Protagonisten auf. Ein grandioser Schachzug!





Während viele ähnlich veranlagte Filme auf Gedeih und Verderb versuchen, die Täter als mehrschichtige Persönlichkeiten mit einem humanen Kern darzustellen, sind  Angelo und Klaus Bösewichte, für die man keine Sympathie empfinden kann, doch das macht sie noch lange nicht eindimensional. Das dramatische Kammerspiel schafft es durchgehend mit Täter- und Opferrollen zu spielen und sie stets unterschiedlich zu verlagern. Alle handlungstragenden Charaktere in “Im Glaskäfig“ sind dominant bis gewalttätig und werden dennoch unterworfen. Oft dreht Villaronga die Machtpositionen vom einen auf den anderen Moment um. Vor allem die eiserne Lunge ist ein Symbol für die Art, in der Macht und Schwäche vereint werden: der ehemalige Lagerarzt, Inbegriff von Macht und sein “Glaskäfig“, Sinnbild für Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens, vereint in einem. In einer Szene stolpert seine Frau über das Kabel, die eiserne Lunge fällt aus und Klaus ringt nach Luft, während sie gebannt auf sein Leiden schaut, bevor sie den Stecker wieder einsteckt. Der Sadist, der durch das bloße Ziehen eines Steckers umgebracht werden und die hörige Hausfrau, die sich an seinem Leiden ergötzt und in einer späteren Einstellung mit Absicht den Strom im ganzen Haus abschaltet, ihn aber daraufhin sofort wieder an macht. Interessant ist hierbei, dass Klaus beim Ersticken ebenso nach Luft ringt, wie die Kinder bei ihrer Ermordung. Das Opfer spiegelt sich im Täter wieder und umgekehrt. Das ständige Hin und Her zwischen Unterwerfung und unterworfen werden erreicht spätestens dann seinen Höhepunkt, wenn Angelo das gesamte Haus mit Stacheldraht auskleidet und es zu seinem eigenen KZ macht, in dem er als Kommandant mit Mantel und Reitgerte auftritt. Was als Huldigung beginnt, wird nach und nach zu einem vollkommenen Rollentausch, der sogar so weit geht, dass Klaus‘ Tochter Rena Angelo als Vater ansieht. Doch die Beziehung zwischen Klaus und Angelo ist nicht das extremste Beispiel von umgekehrter Viktimisierung, sie wirft auch eine interessante Schuldfrage auf. Klaus beobachtet Angelos Taten durch den Spiegel und ist somit Voyeur und Täter zugleich, denn ohne seine Ausschweifungen hätte auch Angelo nie angefangen in diese Welt abzutauchen.

Fazit: “Im Glaskäfig“ ist ein wahres Biest. Der Film gibt keine moralischen Antworten, er zeichnet eine Welt voller Perversion und Unterwerfung, aus der es keinen Ausweg gibt. Der Score ist ein reines Gedicht, die Inszenierung dicht und die Handlung erstrahlt in tausenden, intelligent zusammengefügten Nuancen. “Im Glaskäfig“ ist, ohne Übertreibung, einer der besten Filme über Gewalt und Sadismus, die es gibt. Ein niederschmetterndes, teilweise geradezu unerträglich böses Meisterwerk, welches man jedem Freund des kontroversen Films bedingungslos empfehlen kann.






Zur DVD: Das Label Bildstörung präsentiert “Im Glaskäfig“ in der Drop-Out Edition. Der Schuber ist sehr schön gestaltet, das in Blautönen gehaltene Design ist erstklassig und das Beiheft ist sehr informativ und bietet neben zahlreichen Informationen und Deutungen auch noch einen Bericht, den der Regisseur selbst verfasst hat. Die DVD selbst bietet den Film in einer sehr guten Bildqualität (viel besser als die ausländischen Alternativen) im O-Ton mit sehr gut übersetzen deutschen Untertiteln. Ein weiterer Hammer ist das knapp halbstündige Interview mit dem Regisseur, welches sehr informativ ist. Alles in allem eine wunderschöne Veröffentlichung, die einzige weltweit, welche diesem Klassiker würdig ist. Diese gibt es auch in einer billigen Budget Version, echte Fans brauchen aber natürlich die Drop-Out Fassung, welche ich jedem nochmal empfehlen kann. Die FSK Freigabe ist übrigens auf einen Zettel gedruckt, der entfernt werden kann. Der eigentliche Schuber ist flatschenfrei!







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen