“Heroin Kids“ ist ein Kunstprojekt von Corinna Engel und
Christian Kaiser, welches junge Frauen und Mädchen (auf das Alter wird nirgends
eingegangen) in ihrer Drogensucht, insbesondere der Heroinsucht zeigen soll.
Die Nähe zur Pornographie wird bewusst gesucht, herzzerreißende
Hintergrundinformationen und der gutbürgerliche Fingerzeig sind nicht zu finden
und auf eine gesellschaftskompatibele Ethik wird, laut Eigenangabe, keinerlei
Wert gelegt. Da verwundert es nicht, dass das Projekt seit seiner Geburtsstunde
unter heftiger Kritik stand (der Vorwurf der Ausbeutung gehörte noch zu den harmloseren
Beschuldigungen) und sogar ein Strafverfahren nach sich zog, welches jedoch
fallengelassen wurde. Viel Hype, viel Kontroverse. Letztere hat man in
Deutschland jedoch schnell. Auch nach Sichtung des TUMBLR Blogs und der
Webseite ist “Heroin Kids“ ein geheimnisvolles Projekt, von dem man nicht weiß,
was man davon zu halten hat. Um das Projekt wirklich zu verstehen, muss man den
Bildband erstehen, welcher hier besprochen wird.
Trotz der Kontroverse findet sich im Vorwort des Bildbandes
keine Rechtfertigung oder Erklärung. Lediglich auf die Probleme, mit denen das
Künstlerpärchen konfrontiert wurde, die Leute, die das Projekt unterstützt
haben und die Tatsache, dass viele Mädchen nicht namentlich erwähnt werden,
wird eingegangen. Danach gehört der Platz ausschließlich den “Heroin Kids“
höchstpersönlich. Die Bilder zeigen die jungen, oftmals hübschen Mädchen beim
Konsumieren, in Phasen der Bewusstlosigkeit, verwahrlost oder in offen
sexuellen Posen. Nahaufnahmen von rosa Disney Tangas, in denen Urin-, Kot- und
Blutflecken hängen. Nahaufnahmen von Geschlechtsteilen und nackten Brüsten,
oftmals wurden Wörter wie “Slut“ mit Lippenstift auf die nackten Körper
geschrieben. Die Mädchen und ihre Situation werden nicht umschrieben, sondern
erklären sich von alleine. Hier und da stehen Sprüche und kleine
Randinformationen bei den Bildern, die
Bilder selbst stehen aber absolut im Vordergrund.
Drogen und ihre Wirkung werden in diesem Buch so
dargestellt, wie sie wirklich sind, mit all ihren Höhen und Tiefen. Obwohl die
Darstellungen von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Verfall und Chaos ganz klar
überwiegen, liegt auch ein Gefühl von Freiheit und Euphorie in einigen Fotos.
Auch wenn für Nicht-Konsumenten der Konsum von harten Drogen prinzipiell immer
widerwärtig aussehen mag, so wird doch klar, warum die Mädchen konsumieren und
dass es für sie der Himmel auf Erden sein muss. Das Junkie-Dasein wird also
ungeschönt und un-verteufelt zugleich inszeniert. Jedoch besticht mehr die
Ästhetik als der dokumentarische Aspekt (welcher sicherlich auch gegeben ist).
Hyperrealismus war auch sicherlich nicht der Grundgedanke der Macher, wobei
“Heroin Kids“ aber definitiv in der dreckigen Realität verwurzelt ist.
Pornographische Qualitäten sind hierbei nicht als zufälliges
Nebenprodukt, sondern als gewolltes Stilmittel zu betrachten. Auch wenn sie
sich in einem Zustand der kompletten Selbstzerstörung finden, sind die Mädchen
dennoch hübsch (ein Fakt, welcher auch von Dr. Kötz im Nachwort erwähnt wird).
Ist es die Ästhetik der Selbstverachtung und des Rausches, welche die besondere
Schönheit dieser Bilder hervorruft? Sind die Mädchen trotz oder gerade wegen
ihrer Situation attraktiv? Sind die Auswirkungen von harten Drogen
Modeaccessoires, wie es für manche die Zigarette ist? Dies sind einige Fragen,
welche man sich womöglich stellen könnte, wenn man einige der Bilder sieht. Die
jungen Frauen setzen sich lasziv in Szene, spreizen ihre Beine für die Kamera,
räkeln sich splitterfasernackt im Rausch oder präsentieren ihre Brüste.
Je weiter man blättert, desto mehr wird einem klar, dass
sich nicht bloß zu der Darstellung von Drogen etwas Pornographie gesellt,
sondern dass Drogenkonsum auf eine pornographische Art gezeigt werden soll. Diese Darstellungen
driften teilweise fast schon ins fetischistische ab. Gerade die Rolle, die
Körperflüssigkeiten in den offen sexualisierten Bildern spielen, ist eines der
visuellen Steckenpferde des Fotobandes. Geschminkte Puppengesichter schwimmen
in Flüssen aus Erbrochenem, die Models spreizen ihre Hinterbacken und halten
ihre von Durchfall verschmierten After in die Kamera oder haben Unterhosen im
Gesicht hängen, in denen Urin, Kot und (Menstruations-)Blut hängt. Inwiefern
man hier die Koprophilie als optische Metonymie (zugehörige dritte Sache), der
Ästhetik willen oder als Fetischporno Attribut eingebaut wurden, kann nicht
gesagt werden. Doch in der Drastik der Bilder wird eh jeder eine einzelne
Erklärung suchen.
Die Gedichte, Randinformationen und co. werten den Bildband
sehr auf. In altbewährter Brainstorming bzw. Cut-Up Tradition bekommt man kleine
Texte bzw. Gedichte über “Fickfohlen“ und “klare Mädchenaugen“ zu lesen. Solche
Pläne hat man zwar schon sehr oft scheitern sehen, hier trägt es aber positiv
zur Gesamtwirkung bei. Selbiges gilt für die DVD, welche als Bonus im Buch
enthalten ist. Diese kann man quasi als “Making of“ sehen, welches die
Shootings beschreibt. Dennoch war es die richtige Entscheidung, die Bilder auf
Papier zu drucken und nicht als Film herauszubringen.
Die beiden Macher spielen mit ihren Bildern gekonnt mit
mehreren Motiven, vor allem jedoch dem Lolita-esquen Unschuld vs. Verdorbenheit
Thema. Vollgesaute Disney Schlüpfer, Zahnspangen und der Bezug auf Freier, die
junges Fleisch dem alten vorziehen. Allgegenwärtig ist auch die zuvor beschriebene
Vermischung von pornographisiertem Zerfall und die altbekannte Vermischung aus
Hässlichkeit und Schönheit, welche man in den Bildern mit den
Körperausscheidungen und z.B. den Ketten aus Spritzen, die einige der Mädchen
um den Hals tragen, ausmachen kann.
Dass “Heroin Kids“ eine enorme Aussagekraft hat, ist
unbestritten. Eine der schwersten Überlegungen ist jedoch, wer sich diese
Bilder anschauen könnte und vor allem warum. Worin liegt genau der Reiz? Der Drogenfreund
könnte darin eine gelungene Dokumentation des Drogen-Lifestyles sehen. Der
Drogengegner könnte darin das genaue Gegenteil sehen. Der Ästhet kann sich an
der Schönheit berauschen, der Verfechter des Degenerativen an der Hässlichkeit.
Sicherlich könnte auch jemand, mit sehr dunklen, obsessiven Absichten an dem
Buch Gefallen finden. Es soll nicht verschwiegen werden, dass der
fetischistische bzw. pornographische Aspekt vom Betrachter sehr weit in den
Vordergrund gerückt werden kann. Ein Maß an Voyeurismus, welches die meisten
Menschen wohl als ungesund einstufen könnten, spielt jedoch in allen
Betrachtungsweisen eine Rolle. Wie man “Heroin Kids“ wahrnimmt, hängt sehr
stark von einem selbst und der eigenen Weltsicht ab. Doch war moralische
Glitschigkeit schon von Anfang an eines der Eckpfeilerr dieses Projekts. Eine
allgemeine Antwort kann nicht gegeben werden, soll sie auch nicht. Die
subjektive Meinung, die einzig relevante in diesem Fall, lautet wie folgt:
“Heroin Kids“ ist ein unbeschreiblich schönes Monument des
Zerfalls, der Krankheit und der Perversion, welches gekonnt Pornographie,
Drogen und Ästhetik zu einem verbindet. In den Bildern spiegeln sich
unbeschreibliches Elend, dunkele Triebe und sehnsüchtiges Verlangen, aus dem
Projekt spricht ein Maß an Realismus und Weltenflucht, welches für die meisten
Menschen ungreifbar sein wird. Egal ob man es aus einer humanistischen, einer
anti-humanistischen oder rein subjektiven Sichtweise betrachtet, niemand wird
diesem Projekt seine Relevanz, seine Ehrlichkeit und seine Überzeugungskraft
absprechen können. Eine allgemeine Empfehlung kann man bei dieser Form von
Kunst nie aussprechen, jemand, der sich dafür interessiert, wird wissen warum. Dieser
wird den Superlativ dessen finden, was er erwartet hat. Wie er dies wahrnimmt,
hängt von seinem Moralempfinden und seiner Lebensphilosophie ab. Dieser
Reviewer wurde jedoch vollends überzeugt.
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