Montag, 16. September 2013

REVIEW: DER LEICHENVERBRENNER (1968, Juraj Herz)





Tschechien zur Zeit der Besetzung durch die Nationalsozialisten: Karl Kopfrkringl ist Leiter eines Krematoriums und ein sauberer, moralischer Biedermann: er trinkt und raucht nicht, liebt seine Frau und seine beiden Kinder über alles auf der Welt und seine Arbeit erledigt er mit dem größtmöglichen Maß an Fleiß und Verantwortung. Doch in Karls biederer Welt findet etwas Neues, Böses Einzug, als die Nationalsozialisten anfangen, Karl für ihre Sache anzuwerben. Obwohl seine Frau Jüdin ist, lässt Karl sich von den Nazis beeinflussen und bekennt sich zu seinem angeblich deutschen Blut. Doch um die Welt besser machen zu können, muss er zuerst einige Menschen in seinem Umfeld von ihrem Leid erlösen.





“Der Leichenverbrenner“ des Tschechen Juraj Herz, welcher 1968 veröffentlicht wurde und in schwarz weiß gedreht wurde, ist ein meisterhaft in Szene gesetztes Kunstwerk, das auf so vielen Ebenen funktioniert, dass ein einmaliges Anschauen nicht einmal im Ansatz reicht, um alle Anspielungen und Motive zu verstehen. Der bitterböse Humor, die makabre, todesverliebte Optik und die immer groteskere Haken schlagende Geschichte, alles ist auf so eine durchdachte und überwältigende Art verwirklicht worden, dass man “The Cremator“ einfach nur als zeitloses Meisterwerk sehen muss. Doch was genau macht diesen Film so herausragend und aus welchem Grund hat sein kafkaeskes Feeling auch noch über 40 Jahre nach seiner Entstehung keinen Funken seiner Wirkung verloren? 






Die Handlung ist von “Der Leichenverbrenner“ besteht ausschließlich aus der Person Karl Kopfrkringl, seinem Weltbild, seiner Umgebung, seiner Weltanschauung und der Wandlung, die sie durchmacht. Seine Geschichte spielt im Jahre 1939 im besetzten Tschechien. Kopfrkringl leitet ein Krematorium und sieht in seiner Arbeit fast schon eine heilige Pflicht, welche er mit Liebe ausführt.  Er sieht in der Einäscherung der Toten etwas Humanistisches, Ehrwürdiges, eine Manifestation seines Moralverständnisses, das sein gesamtes Leben bestimmt: er trinkt und raucht nicht, ist offen gegenüber anderen Kulturen und interessiert sich für die Lehren des Buddhismus. Doch trotz seiner Tugendhaftigkeit, hat der Verfall längst Einzug in sein Leben gefunden.

Als er in einem Maleratelier auf christliche Symbole wie Marienbilder und Kruzifixe schaut, erscheinen ihm pornographische Bilder von nackten Frauen vor seinen Augen. Obwohl er bei seiner wöchentlichen Blutuntersuchung seine Treue gegenüber seiner Frau beteuert, sucht Karl einmal im Monat ein Bordell auf, in dem er die Liebesdienste von “Fräulein Dagmar“ in Anspruch nimmt. Dies steht in absolutem Kontrast zu seinem Drang nach Reinlichkeit, welcher symbolisch durch das blitzblanke, moderne Badezimmer der Familie Kopfrkringl dargestellt wird. Schon sehr früh wird etabliert, dass für Karl Tugendhaftes wie Reinlichkeit, finanzieller Erfolg und Entartetes wie Triebhaftigkeit und Zersetzung zwei Seiten der selben Medaille sind. Im Angesicht von Karls biedermännischem Spießertum, erstrahlen die entarteten Facetten Karls in einem noch helleren Licht und sowohl die bürgerliche Fassade, als auch die nekrophile, perverse Ader sind handlungstragende Pfeiler von “Der Leichenverbrenner“. Wie fließend die Grenzen zwischen diesen beiden Extremen sind, zeigt der Film auf unterschwellige, aber aussagekräftige Art. So werden zum Beispiel die Prostituierte (das Sinnbild von Krankheit und die Negation der familiären Treue) und Karls geliebte Frau Lakmé von ein und der selben Darstellerin verkörpert. Durch einen brillant gesetzten Schnitt hängt Karl zuerst im Bordell das Bild auf und schaut eine Sekunde später auf das Bild, das er soeben in seinem Wohnzimmer aufgehängt hat. Bordell und Familienhaus – für Karl offenbar das Gleiche.

Das stetigste und zugleich kryptischste Symbol für die dunklen Seiten Karls und seine bevorstehende Verwandlung ist jedoch ganz klar die immer wiederkehrende Frau in schwarz. Diese begleitet seine Metamorphose den ganzen Film über, taucht an willkürlichen Orten auf und ist kurz darauf wieder verschwunden. Sie und Karl sprechen nie miteinander (überhaupt scheint sie mehr Gespenst als Mensch und für alle sonstigen Charaktere nicht-existent zu sein), doch wird deutlich gemacht, dass Karl weiß, welche Bedeutung ihr Dasein hat. Inwiefern Karl sie, bzw. das, wofür sie steht, fürchtet oder willkommen heißt, liegt in den Augen des Betrachters. Das grauenhafte Ende seiner Verwandlung spricht jedoch gegen eine Ablehnung seinerseits.





Nicht zuletzt wird der Verfall in Karls Leben symbolisch durch seinen Arbeitsplatz ausgedrückt, das Krematorium. Der Tod ist eines der stärksten und eindringlichsten Motive von “Der Leichenverbrenner“ und maßgeblich an der späteren Entwicklung von Karls persönlicher Philosophie beteiligt. Die Todesverliebtheit Karls ist in seiner Arbeit allgegenwärtig. Er schwärmt von den hoch technisierten Öfen, der Sauberkeit des Verfahrens und seiner Schnelligkeit. Dies manifestiert sich auch im Film: alles was mit dem Thema Tod zusammenhängt, sei es das Krematorium selbst, die Aufmachung der Leichen oder spätere Mordszenen, ist wundervoll inszeniert und somit stellt die Morbidität den größten ästhetischen Vorzug dar. Stilvoll werden zum Beispiel Hieronymus Bosch Bilder eingeblendet, während Kopfrkringl über einen riesigen Verbrennungsofen mit dem Fassungsvermögen von mehreren hundert Menschen sinniert, das Urnenhaus ist in seiner Schönheit mit einem katholischen Gebeinshaus vergleichbar.

Der Ofen an sich ist nicht nur ein tragender Teil des Morbiditätskonstruktes in “Der Leichenverbrenner“, sondern ist auch ein Symbol für die Art, in der der Tod in Bezug auf das menschliche Leben von Kopfrkringl wahgenommen wird. Der Erlösungsgedanke steht hierbei im Vordergrund. Nach bester Memento Mori Tradition scheint für Karl das Leben eine Ansammlung von Leid zu sein, von der der Tod (gefolgt von einer humanen Verbrennung) Abhilfe schafft. Hierbei ist die religiöse Aufladung sehr interessant: für ihn ist die Einäscherung gottgewollt und soll die Aufnahme ins Paradies beschleunigen, weiterhin bezieht er sich auf sein Buch über Tibet und den (buddhistischen?) Glauben an die Wiedergeburt. Eine geniale Szene zeigt die Familie Kopfrkringl auf einem Jahrmarkt. Vater Karl begutachtet die Karussells auf stoische, freudlose Weise und sieht vor seinen Augen wieder üppige Nymphen auf und ab reiten (ein erneuter Beweis für die triebhafte Färbung seines Weltbilds). Wenig später ergötzt er sich an einer grausamen Show im Gruselkabinett, in der missgestaltete, tote Babys und Embryos in Einmachgläsern ausgestellt werden. Ebenso wie der Rest von “Der Leichenverbrenner“ ist diese Szene so dicht und voll von morbider Schönheit, dass man meinen könnte, Franz Kafka wäre von den Toten auferstanden und hätte bei dem Film Regie geführt.





Ebenso wie bei Karl persönlich, spielt in dem Film Faschismus, bzw. faschistische Ästhetik angereichert mit Darstellungen von Tod, eine sehr große Rolle. Karl verinnerlicht die Dogmen der Nationalsozialisten und ihre Blut und Boden Theorie. Er fängt an, sich als Deutschen zu sehen (obwohl er sich anfangs noch als Tscheche wahrnimmt) und wird mehr und mehr besessen von der Rassenideologie und der Ausmerzung von vermeintlicher Schwäche, die seine Parteigenossen predigen.

Auf interessante Weise verknüpft Juraj Herz die Art, in der er Faschismus zeigt (und kritisiert) mit der treibenden Kraft hinter dem Film und seiner Ästhetik: dem Tod. Ebenso, wie bei Tugend und Triebhaftigkeit, lässt Herz die Grenzen auf durchdachte Art verschwimmen. Der Todestempel ist hierbei eine der subtilsten Verbindungen. Er erinnert stark an die prunkvollen Bauten, welche man aus faschistischen Diktaturen kennt, ist aber dennoch ein Hort des Todes, aus dem kein Leben entspringen kann. Das Motiv des Todestempels ist ein gutes Beispiel für die Art, in der die Thematik in “Der Leichenverbrenner“ verarbeitet wird: anstatt dem Zuschauer oberflächliche Faschismuskritik mit dem Holzhammer einzutrichtern (fühlen Sie sich ruhig angesprochen, Herr Pasolini), entlarvt er den niederträchtigen Geist des Faschismus dadurch, dass er anfänglich etablierte Leitmotive mit ihm vermengt. Durch die Beeinflussung des Hauptcharakters und seiner Ansichten, entsteht ein groteskes und erschütterndes Trauerspiel. Auch die religiöse Komponente des Films wird in faschistoider Weise pervertiert. Die Erlösung der “Fehlgeleiteten“ driftet gegen Ende in einen absurden Wahn ab, in dem man die faschistische Indoktrination, Religion und Todesverliebtheit nicht mehr zu unterscheiden weiß. Die Idee, alle Menschen durch ihre Einäscherung gleich “rein“ zu machen ist unbeschreiblich krank, doch ergibt sie nach Karls Wandlung durchaus Sinn und ist quasi eine angepasste Variante seines alten Weltbildes.

Wie endgültig Karl die Dogmen seiner Parteigenossen verinnerlicht hat, zeigt eine sehr verstörende Szene, in der Karl auf einer Beerdigung zuerst von dem Toten Abschied nimmt und danach als verzerrte Hitler-Karikatur von einem neuen Reich des Todes spricht. Weiterhin ist eine Szene bemerkenswert, in der die Parteimitglieder seinen “Todestempel“ infiltrieren um Unliebsame abzutransportieren. Während er ihnen nachsieht, zeigt er dem Todestempel den Hitlergruß. Inwiefern Die Geschichte von Karl Kopfrkringl ein Sinnbild für den Holocaust sein soll, bleibt dem Zuschauer überlassen. Fakt ist jedoch, dass Herz uns zeigt, wie leicht man einen Menschen umerziehen kann und zu was ein falsches Dogma einen befähigen kann. Jedoch ist “The Cremator“ nicht zwangsläufig ein politischer Film. Der politische Aspekt ist zwar ein sehr gewichtiger, dennoch begräbt er die obengenannten Stilmittel keineswegs unter sich.





Fazit: “Der Leichenverbrenner“ ist einer dieser Filme, den man nach seinem Ende sofort nochmal schauen möchte. Die Idee, die Umsetzung, die Metaphorik, das Schauspiel, einfach alles stimmt hier und macht diesen Film zu einem unverzichtbaren Gesamtkunstwerk. Einer der wirkungsvollsten, dunkelsten und gelungensten Filme, die das europäische Kino jemals hervorgebracht hat. Die Schönheit, die Morbidität und die Trauer, die dem Film innewohnen, sind so überwältigend, dass man einige Zeit braucht um alles zu verarbeiten. Ein wirklich toller Film, der auf mehreren Ebenen funktioniert, doch egal mit welchem Auge man auf ihn schaut: er ist und bleibt ein Meisterwerk.



Bildstörung veröffentlicht “Der Leichenverbrenner“ im O-Ton mit Untertiteln. Neben der sehr guten Bildqualität sind, wie immer, der Schuber, das Booklet und die interessanten Extras hervorzuheben. Sammler könnten unmöglich mehr verlangen!

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