Nach einer langen Geschäftsreise bemerkt Mark, dass seine
Frau Anna noch abweisender und verschlossener ist, als sie es sowieso schon
war. Getrieben von Eifersucht versucht er ihren neuen Freund ausfindig zu
machen. Er ahnt jedoch nicht, dass der, der ihr so den Kopf verdreht hat noch
nicht einmal ein menschliches Wesen ist.
„It’s about
a woman fucking an octopus“. Mit diesen Worten betitelte der polnische
Regisseur Andrzej Zulawski seinen im Jahre 1981 in Westberlin gedrehten Film „Possession“.
Nach der Sichtung entpuppt sich dieser Slogan als ähnlich banal, wie es schon
beim total missglückten Titel „The Pig Fucking Movie“, mit welchem der
grandiose „Vase de Noces“ in der Vergangenheit beleidigt wurde, der Fall war.
Obwohl dies sicherlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist bzw. war, ist
die Beschreibung dennoch alles andere als falsch. Prinzipiell geht es bei „Possession“
wirklich um eine Frau, die einen Oktopus fickt. Doch warum wirkt dieser Spruch
trotzdem so unangebracht? Ganz einfach deshalb, weil „Possession“ einfach so
viel mehr ist als das. Der Film vereinigt so viele verschiedene Genres in sich,
dass es auf Anhieb unmöglich wäre, sich auf eines festzulegen. Charakterdrama,
Horror, Thriller, Experimentalfilm und Mystery, von all diesen Gattungen sind Elemente
vertreten, jedoch ist „Possession“ einfach zu vielschichtig und schlichtweg
intelligent, um sich vor einen Karren spannen zu lassen. Dieses Ausnahmewerk
wurde übrigens in der Vergangenheit um eine dreiviertel Stunde zensiert und
genoss in England den zweifelhaften Status eines „Video Nasty“. Doch was macht
Possession so besonders?
Als Mark von einer seiner geheimen Missionen zurückkommt,
muss er feststellen, dass seine Ehe so zerrüttet ist wie nie zuvor. Seine
Bemühungen die Bruchstücke wieder zusammenzuflicken wurden nicht von Erfolg
gekrönt und seine Frau Anna ist ihm so fremd wie noch nie zuvor. Als er
herausbekommt, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gibt, rastet er aus, randaliert
in einem Café und sucht tagelang Flucht im Alkohol. Er merkt, dass er ohne sie
nicht kann und macht sich auf die Suche nach ihrer Affäre, einem esoterisch
angehauchten New Age Fanatiker namens Heinrich. Doch als sich herausstellt,
dass auch Heinrich Anna seit einigen Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen hat,
wirft das noch weitere Fragen auf. Da Anna immer häufiger und über längere
Zeiträume aus der gemeinsamen Wohnung fernbleibt, beauftragt Mark einen
Privatdetektiv, der sie beschattet und bis zu ihrer Wohnung verfolgt. Der Mann
verschafft sich Zutritt zu dem abgewrackten Apartment in Berlin Kreuzberg und trifft
dort Annas neuen Liebhaber an: einen gigantischen, schleimigen Oktopus.
„Possession“ ist intensiv, von der ersten bis zur letzten
Sekunde. Die Geschichte ist rasant und voller Bewegung, sodass man als
Zuschauer direkt involviert und gespannt auf die nächste Entwicklung ist. Da
die Anfänge des Films einem Charakter- bzw. Ehedrama ähneln (bzw. eines sind)
und man die Vorgeschichte bloß durch die Erzählungen und Dialoge des Pärchens erlebt,
ist man über lange Zeit im Unklaren darüber, was denn eigentlich vorgefallen
und wer der eigentliche „Schuldige“ ist. Die Ehekrise wird auf mysteriöse, aber
dennoch heftige Art dargestellt, was zur Folge hat, dass durchgehend die Fetzen
fliegen, ohne das wirklich etwas aufgeklärt wird. Als die Handlung immer mehr
Fragen aufwirft, startet der zweite Teil des Filmes, in dem Annas Liebschaft
mit dem Oktopus thematisiert wird. Der Ton ändert sich schlagartig. Alle
Charaktere gehen in einen Zustand absoluter Verzweiflung über und der Wahnsinn
nimmt seinen Lauf. Der eher bodenständige und in der Realität verhaftete Film wächst
langsam aber stetig in seine übernatürliche, wahnsinnige Haupthandlung hinein
und legt eine Extremität und Härte an den Tag, die seines Gleichen sucht.
Jedoch muss man ganz klar sagen, dass „Possession“ sich selbst nie untreu wird
und ständig eine absolut homogene Grundhaltung bewahrt, in der die
verschiedenen Elemente erstaunlich gut zusammenpassen.
Die Charaktere sind raffiniert entworfen und blühen in der
Interaktion (bzw. im Streit) perfekt auf. Mark ist ein cholerischer,
kontrollbesessener und verzweifelter Mensch, der zugleich Antipathie und
Empathie erweckt. Da er prinzipiell der Betrogene ist, scheinen seine
Handlungen bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbar, jedoch offenbart sich
schnell sein aufbrausender, garstiger Charakter. So gibt er zum Beispiel vor,
sein Kind nie wieder sehen zu wollen und schlägt in einer weiteren Szene
mehrfach auf seine Abtrünnige Geliebte ein. Anna hingegen ist absolut
hysterisch und wirkt trotz ihrer anfänglichen Kaltherzigkeit irgendwann eher
wie eine leidende Frau, die etwas verfallen ist, was sie selbst nicht begreifen
kann. Diese Konstellation hat einige unfassbar intensive und chaotische Szenen
zur Folge. So ist zum Beispiel die Szene im Café eines der durchdachtesten und
intelligentesten Szenarien des gesamten Films. Zunächst mimt Mark den
kaltherzigen, aggressiven, dominanten Mann, doch als Anna ihm von der Liebe zu
ihrem neuen Freund erzählt und sagt, dass sie nie ein Kind mit ihm gezeugt
hätte, wenn sie den anderen Mann vorher kennengelernt hätte, fängt Mark an zu
toben und Stühle herumzuschmeißen. Neben zig Gefühlsausbrüchen, gewalttätigen
Auseinandersetzungen und Schreiereien ist auch die Szene bemerkenswert, in der sich
Anna bei einem Tobsuchtsanfall ein elektronisches Küchenmesser in den Hals
rammt. Diese Szene macht deutlich, welche Verzweiflung, welcher Hass und welche
Trauer in der Luft liegen und wie sehr die Charaktere untereinander zu leiden
haben. Sam Neill und Isabelle Adjani spielen absolut hervorragend und liefern
absolute Glanzleistungen ab, vor denen man wirklich nur den Hut ziehen kann.
Irgendwann nimmt Annas Besessenheit bzw. ihre Vorliebe für
das abartige Tintenfischmonster den Hauptteil der Handlung ein und die Stimmung
wird noch bedrohlicher und vor allem grausamer, als sie es zuvor war. Auch hier
hat der Film einige Szenen von enormer Dichte vorzuweisen. So erleidet Anna zum
Beispiel in einem U-Bahnhof einen totalen Zusammenbruch und beginnt wie wild
herumzuschreien, mit dem ganzen Körper zu zucken und schlussendlich Schleim und
Blut zu erbrechen. Die Szenen in ihrer Wohnung sind absolut grandios und
erinnern vom Spannungsaufbau her stark an die klassischen Horrorfilme der 70er
und 80er Jahre. Vor allem der Mord an dem Detektiv und die wirklich
atemberaubende Szene, die Anja beim Sex mit dem Monster zeigt, sind absolut
monumental und als Höhepunkte dieses tollen Filmes anzusehen. Sicherlich sind
diese Szenen irgendwie auch als Manifestationen eines unterbewussten Strebens
und lang angestauten Frustes zu werten. In dieser kranken Beziehung spiegelt
sich ein immerwährendes Gefühl von Trauer, Enttäuschung und Eskapismus wieder,
welches auf eine unterschwellige Art die erste Hälfte relativiert und weiterspinnt
und sehr viel Platz für Deutungen bietet. Ist der Oktopus nur fleischgewordene
Trauer? Die Sehnsucht nach dem Unbekannten? Eine verzerrte Erinnerung dessen,
was einst war? Die Tatsache, dass Anna sich der absoluten Widerwärtigkeit
hingibt und es stellenweise sogar ihrem Kind vorzieht, zeigt wie existenziell
und tief der Konflikt ist. Dem ganzen Geschehen wohnt etwas Schizophrenes, Unbegreifliches
inne, was durch das Oktopusmonster sehr gut veranschaulicht wird.
Fazit: „Possession“ ist ein absolutes Meisterwerk. Dieser schizoides
Meilenstein des transgressiven Kinos wirkt auf so vielen Ebenen und ist so
vielsagend, dass es kaum möglich ist, die gesamte Raffinesse adäquat
wiederzugeben. Kaum ein Film schafft es so phantastisch und dennoch erbarmungslos
ernst und realistisch zu sein und dabei ein so hohes Maß an Stimmigkeit zu
halten. Seine Emotionalität, seine Hässlichkeit und seine brillante Handlung
machen „Possession“ zu einem absolut besonderen, einzigartigen Film, für den
man wirklich nur eine Empfehlung aussprechen kann.
Zur DVD: Zum ersten Mal veröffentlicht Bildstörung den Film
in seiner ungekürzten Form in Deutschland. Da Booklet ist, wie gewohnt, sehr
detailliert und aufschlussreich, die Qualität sehr gut und das Design mal
wieder sehr hübsch ausgefallen. Eine würdige Veröffentlichung!
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