Ein 20 Jähriger, nimmt seine ihm hörige Cousine mit ans Meer
um sie zu verführen. Ein Mädchen wird in einem Zimmer eingesperrt und steigert
sich dort extatisch in ihre Wollust und verbindet sie mit ihrem Glauben. Die
ungarische Blutgräfin Erzebet Bathory streift durch ein ungarisches Dorf und
nimmt junge Mädchen mit auf ihr Schloss um mit ihnen ausschweifende Orgien zu
feiern. Als Lucrezia Borgia ihren Vater und Bruder, beide hohe Geistliche
besucht, gibt sie sich ungestümen Leidenschaften hin.
„Unmoralische Geschichten“ wurde im Jahre 1974 von
Skandalregisseur und Erotik-Veteran Walerian Borowczyk realisiert und beschreibt
in vier erotischen Episoden mehrere Arten von lasterhafter, zügelloser
Begierde. Die verschiedenen Episoden erstrecken sich über mehrere Epochen und
erzählen jeweils eine absolut eigenständige Geschichte. Die Motive, so
vielseitig sie auch sein mögen, erweisen sich doch oftmals als
geschichtenübergreifend. Lust, die Verbindung von Gewalt und Sex und vor allem
eine stilvolle religiöse Ästhetik im Einklang mit den sinnlichen Bildern sind
die Markenzeichen dieses extravaganten Erotikkunstwerkes. Da verwundert es
wenig, dass es einige Kontroversen um den Film gab. Nicht nur stand „Unmoralische
Geschichten“ in Deutschland 25 Jahre lang auf dem Index, es gab angeblich auch
eine ominöse Tiersex-Szene, welche natürlich in keiner Fassung mehr zu finden
ist. Doch was wäre ein echter 70er Jahre Erotikklassiker ohne Skandale?
In der ersten Geschichte „Die Gezeiten“, welche in der
Gegenwart des Filmes angelegt ist, radelt der 20-jährige André mit seiner
16-jährigen Cousine Julie ans Meer. Dort angekommen, nisten sie sich in einer
Bucht ein, wo er sie dazu nötigt, ihn oral zu befriedigen. Während das naive
Mädchen Folge leistet, erklärt er ihr die Gezeiten und warum sie so ablaufen,
wie sie ablaufen. In der nächsten Geschichte, welche im Jahre 1890 spielt und
den Titel „Die philosophische Thérèse“ trägt, geht es um die junge Thérèse,
welche aufgrund von vermeintlich unzüchtigem Verhalten von ihrer Tante für drei
Tage in ihrem Zimmer eingesperrt wird. Das arme Mädchen beginnt daraufhin zunächst
in ihrem Gebetbuch zu lesen, dann kramt sie jedoch eine obszöne Schrift heraus
und beginnt inbrünstig mit einer Gurke zu masturbieren. Die dritte und längste
Episode „Erzebet Bathory“ versetzt den Zuschauer ins Jahre 1610 und beschreibt
die Ausschweifungen der Gräfin Bathory, welche dafür bekannt war, im Blut von
Jungfrauen zu baden, was ihr den Spitznamen „Blutgräfin“ bescherte. Die Gräfin
reitet mit ihrer Gefolgschaft in ein kleines, ungarisches Dorf ein, sucht sich
die hübschesten jungen Mädchen heraus und nimmt sie mit auf ihr Schloss. Dort
veranstalten sie alle zusammen eine prunkvolle Orgie, welche jedoch eine sehr
unschöne Wendung nimmt. Die vierte und letzte Episode spielt im Jahre 1498 und
ist nach ihrer weiblichen Protagonisten Lucrezia Borgia benannt. Diese besucht
zusammen mit ihrem Mann ihren Vater (den Papst) und Bruder (den Kardinal).
Nachdem sie sich des misstrauischen Ehemanns entledigt haben, geben sie sich
ihren inzestuösen Gelüsten hin und zeigen somit die Dekadenz der Kirche, welche
zeitgleich von Savonarola gepredigt wird.
Die Handlung der einzelnen Episoden ist schnell erzählt.
Dies ist dadurch zu begründen, dass „Unmoralische Geschichten“ kein sonderlich
handlungslastiger Film ist, sondern seine Qualitäten anderweitig hat. Die
Charaktere sind mehr oder weniger auf ihre Gelüste und Akte reduzierbar und
stehen stellvertretend für ihre Epochen bzw. den Grundgedanken der jeweiligen
Episode. Durch diese kurzweilige Inszenierung, wirkt „Unmoralische Geschichten“
(obwohl auf die Erzeugung von Spannung im klassischen Sinne verzichtet wurde)
dynamisch und selbstsicher, die ständige Wiederholung von ähnlichen Szenarien,
welche aber allesamt unterschiedlich ausgeschmückt werden, verleiht der Wirkung
etwas Hypnotisches, Meditatives. Diese überwältigende Schönheit hat viel mit
den gelungenen Sets zu tun, die die Atmosphäre „vergangener Tage“ gekonnt wiedergeben und ein großes Lob verdient haben.
Um den Kernbereich „Erotik“, welcher im Film die tragende
Rolle spielt, kreisen mehrere kleinere Satellitenthemen, welche allesamt in
einem gewissen Bezug zur Erotik stehen. Zum einen wäre das Prinzip der Dominanz
bzw. der Macht hervorzuheben. Schon in der Einleitung zur ersten Geschichte
lesen wir, dass die Cousine dem älteren André aufgrund des Altersunterschiedes
hörig ist. Diese Ausgangssituation wird in jeder weiteren Episode (zumindest am
Rande) durchgesetzt. Die (vermeintlich sündige) Selbstbefriedigung im zweiten
Teil tritt auf, nachdem Therese von ihrer Tante im Zimmer eingesperrt wurde,
was eine weitere Anspielung auf das Zusammenspiel von Dominanz und Verdorbenheit
ist, welches jedoch nicht so stark zur Geltung kommt, wie in der dritten
Episode. Hier geht es natürlich primär um das totalitaristische Setting, in dem
sich die Gräfin quasi Sexsklavinnen entführt. Weiterhin ist Religion ein äußerst
präsentes Motiv des Films. Gerade in der zweiten und vierten Geschichte kommt
der Religion bzw. ihrer Pervertierung eine sehr große Bedeutung zu. So kann man
das Treiben Thereses als ausgelebte Verknüpfung zwischen Religion und
Sexualität sehen, in dem die beiden Gegenpole (?) zu einem Verschmelzen. Der
Bezug zur Religion wird in der letzten Geschichte am allerdeutlichsten
dargestellt. Hier kann man fast schon von Religionskritik sprechen, auch wenn
die Korruption der katholischen Kirche natürlich geschichtlich erwiesen ist.
Inwiefern man die Verbindung von Sex und Religion als Überspitzung von
Sexualität, symbolischen Kunstgriff oder gar dezente Blasphemie werten sollte,
liegt im Auge des Betrachters. Jeder der drei Entwürfe würde perfekt zum Film
passen.
Der Hauptaspekt des Films ist jedoch eindeutig und steht da
wie in Stein gemeißelt. Sex, bzw. die daraus resultierende Ästhetik ist
allgegenwärtig und in jeder Sekunde spürbar. „Unmoralische Geschichten“ ist ein
wahres Sammelsorium an nackten Körpern, sexuellen Fantasien und erotischen
Einlagen. Die Inszenierung ist höchst geschmackvoll und so ästhetisch
ausgereift, sodass „Unmoralische Geschichten“ stellenweise wie ein wahres Kunstwerk
wirkt, welches im heimischen Fernseher zu Leben erweckt wurde. Gerade im
Zusammenspiel mit der Religion oder in der dritten Episode ist man als
Zuschauer hin und weg von der grandiosen Art, in der die Erotik ihre Höhepunkte
feiert. Die „Schändung“ der Lucrezia und die Orgie in Gräfin Bathorys Schloss,
alles ist so ausgiebig zelebriert und wunderschön entworfen, dass „Unmoralische
Geschichten“ fast schon wie ein barockes Kunstwerk anmutet.
Ausschlaggebend ist hierbei das Verruchte und Verdorbene.
Obwohl sexualisierte Gewalt (im Sinne von Sexploitation und co.) nur am Rande
auftritt, ist der Tabubruch doch vordergründig. Somit merkt man dem Film seine schmutzigen
70er Wurzeln wirklich durchgehend an. Obwohl man selten von Hardcore sprechen
kann, merkt man ganz klar, dass man sich hier beim Dreh keineswegs selbst zurückgehalten
hat. Der ein oder andere moderne Ästhet wird eventuell bemerken, dass man, ob
der damaligen „Frisuren“ sowieso etwas genauer hinschauen muss, um pikante
Details zu erblicken, jedoch muss man mit allem Nachdruck betonen, dass Borowczyk
wirklich ein perfektes Gespür für das Erotische beweist. Die laszive
Kameraführung, die ausgedehnten Nahaufnahmen, die Bildkompositionen, der
perfekte Soundtrack, alles wirkt wie eine reine Huldigung. Interessant ist vor
allem, wie wirklich jeder Gegenstand, jede Szene eine erotische Aufladung
erfährt. Phallische Symbole in der Kirche, prunkvolle Perlen, welche sich
vaginal eingeführt werden und Lippen, welche wollüstig geleckt werden. Alles
ist so künstlerisch und weit entfernt vom stupiden Klischee des „Porno“ und
dennoch absolut unverfälschte Sexualität und Schönheit in Reinkultur.
Fazit: Wunderschöner, vielschichtiger, verdorbener
Erotikfilm, einer dieser Werke, welche es nur in den 70ern gab. Die
Verschmelzung zwischen Kunst und Erotik findet auf einem solch hohen Niveau
statt, dass man „Unmoralische Geschichten“ zum absoluten Pflichtprogramm für
jeden erklären muss, der auch nur im Ansatz an solchen Filmen interessiert ist.
Die verruchte, leicht gewalttätige Note wertet den Film, genauso wie die sehr
stringenten und absolut glaubwürdig eingeflochtenen Leitmotive, in hohem Maße
auf. Somit kann man vor der Leistung Borowczyks nur den Hut ziehen und erneut
betonen, was „Unmoralische Geschichten“ für ein grandioser Film ist.
Zur VÖ: Bildstörung präsentiert den Film auf DVD und BluRay
in seiner absolut ungekürzten Form. Hierbei handelt es sich um die vom Regisseur
gewollte Fassung, welche die La Bête Episode nicht beinhaltet. Das Bild der Blu
Ray ist erstaunlich gut und klar und natürlich dürfen sich Interessenten erneut
an einem überaus informativen, wundervoll gestalteten Booklet und dem Schuber
erfreuen.
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