Montag, 28. Oktober 2013

REVIEW: UNMORALISCHE GESCHICHTEN (Walerian Borowczyk, 1974)









Ein 20 Jähriger, nimmt seine ihm hörige Cousine mit ans Meer um sie zu verführen. Ein Mädchen wird in einem Zimmer eingesperrt und steigert sich dort extatisch in ihre Wollust und verbindet sie mit ihrem Glauben. Die ungarische Blutgräfin Erzebet Bathory streift durch ein ungarisches Dorf und nimmt junge Mädchen mit auf ihr Schloss um mit ihnen ausschweifende Orgien zu feiern. Als Lucrezia Borgia ihren Vater und Bruder, beide hohe Geistliche besucht, gibt sie sich ungestümen Leidenschaften hin.





„Unmoralische Geschichten“ wurde im Jahre 1974 von Skandalregisseur und Erotik-Veteran Walerian Borowczyk realisiert und beschreibt in vier erotischen Episoden mehrere Arten von lasterhafter, zügelloser Begierde. Die verschiedenen Episoden erstrecken sich über mehrere Epochen und erzählen jeweils eine absolut eigenständige Geschichte. Die Motive, so vielseitig sie auch sein mögen, erweisen sich doch oftmals als geschichtenübergreifend. Lust, die Verbindung von Gewalt und Sex und vor allem eine stilvolle religiöse Ästhetik im Einklang mit den sinnlichen Bildern sind die Markenzeichen dieses extravaganten Erotikkunstwerkes. Da verwundert es wenig, dass es einige Kontroversen um den Film gab. Nicht nur stand „Unmoralische Geschichten“ in Deutschland 25 Jahre lang auf dem Index, es gab angeblich auch eine ominöse Tiersex-Szene, welche natürlich in keiner Fassung mehr zu finden ist. Doch was wäre ein echter 70er Jahre Erotikklassiker ohne Skandale?





In der ersten Geschichte „Die Gezeiten“, welche in der Gegenwart des Filmes angelegt ist, radelt der 20-jährige André mit seiner 16-jährigen Cousine Julie ans Meer. Dort angekommen, nisten sie sich in einer Bucht ein, wo er sie dazu nötigt, ihn oral zu befriedigen. Während das naive Mädchen Folge leistet, erklärt er ihr die Gezeiten und warum sie so ablaufen, wie sie ablaufen. In der nächsten Geschichte, welche im Jahre 1890 spielt und den Titel „Die philosophische Thérèse“ trägt, geht es um die junge Thérèse, welche aufgrund von vermeintlich unzüchtigem Verhalten von ihrer Tante für drei Tage in ihrem Zimmer eingesperrt wird. Das arme Mädchen beginnt daraufhin zunächst in ihrem Gebetbuch zu lesen, dann kramt sie jedoch eine obszöne Schrift heraus und beginnt inbrünstig mit einer Gurke zu masturbieren. Die dritte und längste Episode „Erzebet Bathory“ versetzt den Zuschauer ins Jahre 1610 und beschreibt die Ausschweifungen der Gräfin Bathory, welche dafür bekannt war, im Blut von Jungfrauen zu baden, was ihr den Spitznamen „Blutgräfin“ bescherte. Die Gräfin reitet mit ihrer Gefolgschaft in ein kleines, ungarisches Dorf ein, sucht sich die hübschesten jungen Mädchen heraus und nimmt sie mit auf ihr Schloss. Dort veranstalten sie alle zusammen eine prunkvolle Orgie, welche jedoch eine sehr unschöne Wendung nimmt. Die vierte und letzte Episode spielt im Jahre 1498 und ist nach ihrer weiblichen Protagonisten Lucrezia Borgia benannt. Diese besucht zusammen mit ihrem Mann ihren Vater (den Papst) und Bruder (den Kardinal). Nachdem sie sich des misstrauischen Ehemanns entledigt haben, geben sie sich ihren inzestuösen Gelüsten hin und zeigen somit die Dekadenz der Kirche, welche zeitgleich von Savonarola gepredigt wird.






Die Handlung der einzelnen Episoden ist schnell erzählt. Dies ist dadurch zu begründen, dass „Unmoralische Geschichten“ kein sonderlich handlungslastiger Film ist, sondern seine Qualitäten anderweitig hat. Die Charaktere sind mehr oder weniger auf ihre Gelüste und Akte reduzierbar und stehen stellvertretend für ihre Epochen bzw. den Grundgedanken der jeweiligen Episode. Durch diese kurzweilige Inszenierung, wirkt „Unmoralische Geschichten“ (obwohl auf die Erzeugung von Spannung im klassischen Sinne verzichtet wurde) dynamisch und selbstsicher, die ständige Wiederholung von ähnlichen Szenarien, welche aber allesamt unterschiedlich ausgeschmückt werden, verleiht der Wirkung etwas Hypnotisches, Meditatives. Diese überwältigende Schönheit hat viel mit den gelungenen Sets zu tun, die die Atmosphäre „vergangener Tage“ gekonnt  wiedergeben und ein großes Lob verdient haben.





Um den Kernbereich „Erotik“, welcher im Film die tragende Rolle spielt, kreisen mehrere kleinere Satellitenthemen, welche allesamt in einem gewissen Bezug zur Erotik stehen. Zum einen wäre das Prinzip der Dominanz bzw. der Macht hervorzuheben. Schon in der Einleitung zur ersten Geschichte lesen wir, dass die Cousine dem älteren André aufgrund des Altersunterschiedes hörig ist. Diese Ausgangssituation wird in jeder weiteren Episode (zumindest am Rande) durchgesetzt. Die (vermeintlich sündige) Selbstbefriedigung im zweiten Teil tritt auf, nachdem Therese von ihrer Tante im Zimmer eingesperrt wurde, was eine weitere Anspielung auf das Zusammenspiel von Dominanz und Verdorbenheit ist, welches jedoch nicht so stark zur Geltung kommt, wie in der dritten Episode. Hier geht es natürlich primär um das totalitaristische Setting, in dem sich die Gräfin quasi Sexsklavinnen entführt. Weiterhin ist Religion ein äußerst präsentes Motiv des Films. Gerade in der zweiten und vierten Geschichte kommt der Religion bzw. ihrer Pervertierung eine sehr große Bedeutung zu. So kann man das Treiben Thereses als ausgelebte Verknüpfung zwischen Religion und Sexualität sehen, in dem die beiden Gegenpole (?) zu einem Verschmelzen. Der Bezug zur Religion wird in der letzten Geschichte am allerdeutlichsten dargestellt. Hier kann man fast schon von Religionskritik sprechen, auch wenn die Korruption der katholischen Kirche natürlich geschichtlich erwiesen ist. Inwiefern man die Verbindung von Sex und Religion als Überspitzung von Sexualität, symbolischen Kunstgriff oder gar dezente Blasphemie werten sollte, liegt im Auge des Betrachters. Jeder der drei Entwürfe würde perfekt zum Film passen.





Der Hauptaspekt des Films ist jedoch eindeutig und steht da wie in Stein gemeißelt. Sex, bzw. die daraus resultierende Ästhetik ist allgegenwärtig und in jeder Sekunde spürbar. „Unmoralische Geschichten“ ist ein wahres Sammelsorium an nackten Körpern, sexuellen Fantasien und erotischen Einlagen. Die Inszenierung ist höchst geschmackvoll und so ästhetisch ausgereift, sodass „Unmoralische Geschichten“ stellenweise wie ein wahres Kunstwerk wirkt, welches im heimischen Fernseher zu Leben erweckt wurde. Gerade im Zusammenspiel mit der Religion oder in der dritten Episode ist man als Zuschauer hin und weg von der grandiosen Art, in der die Erotik ihre Höhepunkte feiert. Die „Schändung“ der Lucrezia und die Orgie in Gräfin Bathorys Schloss, alles ist so ausgiebig zelebriert und wunderschön entworfen, dass „Unmoralische Geschichten“ fast schon wie ein barockes Kunstwerk anmutet.

Ausschlaggebend ist hierbei das Verruchte und Verdorbene. Obwohl sexualisierte Gewalt (im Sinne von Sexploitation und co.) nur am Rande auftritt, ist der Tabubruch doch vordergründig. Somit merkt man dem Film seine schmutzigen 70er Wurzeln wirklich durchgehend an. Obwohl man selten von Hardcore sprechen kann, merkt man ganz klar, dass man sich hier beim Dreh keineswegs selbst zurückgehalten hat. Der ein oder andere moderne Ästhet wird eventuell bemerken, dass man, ob der damaligen „Frisuren“ sowieso etwas genauer hinschauen muss, um pikante Details zu erblicken, jedoch muss man mit allem Nachdruck betonen, dass Borowczyk wirklich ein perfektes Gespür für das Erotische beweist. Die laszive Kameraführung, die ausgedehnten Nahaufnahmen, die Bildkompositionen, der perfekte Soundtrack, alles wirkt wie eine reine Huldigung. Interessant ist vor allem, wie wirklich jeder Gegenstand, jede Szene eine erotische Aufladung erfährt. Phallische Symbole in der Kirche, prunkvolle Perlen, welche sich vaginal eingeführt werden und Lippen, welche wollüstig geleckt werden. Alles ist so künstlerisch und weit entfernt vom stupiden Klischee des „Porno“ und dennoch absolut unverfälschte Sexualität und Schönheit in Reinkultur.





Fazit: Wunderschöner, vielschichtiger, verdorbener Erotikfilm, einer dieser Werke, welche es nur in den 70ern gab. Die Verschmelzung zwischen Kunst und Erotik findet auf einem solch hohen Niveau statt, dass man „Unmoralische Geschichten“ zum absoluten Pflichtprogramm für jeden erklären muss, der auch nur im Ansatz an solchen Filmen interessiert ist. Die verruchte, leicht gewalttätige Note wertet den Film, genauso wie die sehr stringenten und absolut glaubwürdig eingeflochtenen Leitmotive, in hohem Maße auf. Somit kann man vor der Leistung Borowczyks nur den Hut ziehen und erneut betonen, was „Unmoralische Geschichten“ für ein grandioser Film ist.




Zur VÖ: Bildstörung präsentiert den Film auf DVD und BluRay in seiner absolut ungekürzten Form. Hierbei handelt es sich um die vom Regisseur gewollte Fassung, welche die La Bête Episode nicht beinhaltet. Das Bild der Blu Ray ist erstaunlich gut und klar und natürlich dürfen sich Interessenten erneut an einem überaus informativen, wundervoll gestalteten Booklet und dem Schuber erfreuen.

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