Anne und Lore sind zwei junge Mädchen aus gutem Hause,
welche gemeinsam die selbe Klosterschule besuchen. Auf den ersten Blick wirken sie wie
wohlerzogene, junge Damen, doch der Schein trügt: Anne und Lore haben sich dem
Bösen verschrieben und verbringen ihre Sommerferien damit, die Menschen in
ihrer näheren Umgebung zu terrorisieren. Je länger sie dies tun, desto
boshafter werden ihre Streiche, bis eines Tages etwas geschieht, was ihr Leben
für immer verändern wird...
Joel Sérias Film „Mais ne nous délivrez pas du mal“ aus dem
Jahre 1971 ist eine ein interessantes Relikt und ein wahres Kind seiner Zeit. Sorgenfrei
zwischen sozialkritischem Drama und beinharter Exploitation hin- und
hertänzelnd, ist der französische Film so radikal, wie er unverwechselbar ist.
Unschuldig und böse zugleich, besticht „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“
durch seinen Willen zur Grausamkeit, seine starken Charaktere, seine
Freizügigkeit und einen tiefschwarzen Humor, von dem man oftmals nicht genau
weiß, ob man ihn überhaupt als solchen wahrnehmen kann. Unter seiner
Genreoberfläche ist „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ auch eine zynische,
hasserfüllte Abrechnung mit den Tugenden und gesellschaftlichen Normen seiner
Zeit, aus dem so viel authentischer Hass und Abneigung spricht, wie man sie
heute wohl nur noch schwerlich filmisch verpacken könnte.
Der Film stellt Anne und Lore in ihrer Klosterschule vor und
zeigt sie uns beim Lesen obszöner Schriften unter der Bettdecke. Nachdem Anne
eine Nonne und eine Novizin beim Liebesspiel bespitzelt, verrät sie sie in
einer geheuchelten Beichte beim Pfarrer des Klosters. Wenig später fangen die
Sommerferien an und die beiden Mädchen kehren zurück in ihre biederen Anwesen,
wobei vor allem Annes Familie sich als sehr wohlhabend entpuppt. Als ihre Eltern
in Urlaub fahren, verbringt sie jeden Tag damit, mit Lore durch die umliegenden
Wälder zu fahren und den Einwohnern bösartige Streiche zu spielen. So verdreht
die junge Lore einem Bauern den Kopf, spreizt lasziv ihre Beine vor ihm und
sagt, sie wolle mit ihm schlafen, nur um ihm ihr Knie in den Schritt zu rammen,
als er ihr nachläuft und den Akt vollziehen will. Während er verkrümmt auf dem
Boden liegt, lässt Anne seine Kühe frei. Später zünden sie sein Heu an, töten
die Haustiere des geistig zurückgebliebenen Gärtners und feiern auf dem
Zenitstand ihrer Verdorbenheit eine schwarze Messe, in der sie den Lehren des
Christentums ein für alle Mal abschwören und Satan als ihren neuen Meister
erwählen und ihr Leben dem Bösen widmen. Als sie eines Nachts einen Mann, der
mit seinem Wagen liegengeblieben ist, mit in ihr gemeinsames Zimmer, welches
sie sich in Annes Anwesen eingerichtet haben, mitnehmen, gehen ihre erotischen
Provokationen nach hinten los…
„Und erlöse uns nicht von den Bösen“ wird getragen von seinen
beiden Hauptfiguren Anne und Lore, wobei Anne etwas mehr im Rampenlicht steht
und auch definitiv der „Überzeugungstäter“ ist. Wie schon beschrieben, schafft
Seria es seine beiden Heldinnen als absolut verdorben und hinterhältig zu
inszenieren. Gerade ihre Jugendlichkeit bzw. ihre vermeintliche „Unschuld“
steht in absolutem Kontrast zu der Art, in der sie sich verhalten. Gerade Anne
wird als absolut gehässig und böse dargestellt, quält Tiere und ist durch und
durch hinterlistig. Der Regisseur begeht nicht den Fehler und lässt seine
Heroinen sympathisch-böse erscheinen, sondern inszeniert sie als echte kleine
Biester, die erwachsene Männer mit ihren Reizen terrorisieren und sogar tätlich
angreifen. Obwohl man mit einigen ihrer Taten einfach nicht sympathisieren
kann, steht die Intelligenz der beiden Mädchen (Lore kann quasi als Erweiterung
Annes gesehen werden) in derbem Kontrast zu den Opfern ihrer Streiche, welche
allesamt zur Unterschicht gehören und in der Regel geistig etwas beschränkt
sind. So muss zum Beispiel der offensichtlich behinderte Leon unter den beiden
Mädchen sehr leiden, selbiges gilt für den Bauern. Ob Anne und Lore als
Sinnbilder für den Adel zu verstehen sind, der auf den Pöbel eindrischt, bleibt
dem Zuschauer überlassen. Sinnig wäre es jedoch, nicht zuletzt weil „Und erlöse
uns nicht von dem Bösen“ seine beiden jungen Damen zu nutzen scheint, um
systematisch alle Fundamente der französischen Gesellschaft zu entwerten.
„Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ ist eine Aneinanderreihung
von Streichen, Boshaftigkeiten und Gotteslästerungen und funktioniert als
solche sehr gut, auch wegen des brillanten Scores (höre ich da etwas Rosemary’s
Baby heraus?). Neben den Gemeinheiten ist jedoch auch die Erotik ein tragender
Aspekt des Films. Die beiden Mädchen sind nicht nur verderbt und giftig,
sondern auch sehr hübsch anzusehen. So verwundert es nicht, dass in so ziemlich
jedem ihrer Streiche das Bezirzen eines Mannes eine sehr große Rolle spielt.
Die Boshaftigkeit ist immer sexuell aufgeladen und anrüchig. Gespreizte Beine,
Kokettieren in Unterwäsche und intime Fragen sind die Waffen der beiden jungen
Damen und ja, alle Männer springen auf ihre Anzüglichkeiten an. Die beiden Charaktere
sind zwar offen aggressiv und böse, befinden sich jedoch in einer Welt, in der
alle männlichen Charaktere ihren Charme unwiderstehlich finden und die minderjährigen
Mädchen begehren (die Darstellerinnen selbst waren jedoch volljährig). Ein
gutes Beispiel ist der notgeile Pfarrer, der in der Beichtszene fast schon an
Francos „Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne“ erinnert. Dieses eher
kritisch zu bewertende Gesellschaftsbild lässt auch die Streiche in einem etwas
anderen Licht erscheinen und verleiht dem Geschehen eine weitere Dimension.
Jedoch sind die „Grausamen Taten“ (so der Titel des Buches, in dem sie ihre
Aktionen verewigen) der beiden Mädchen doch immer so fies, dass es zu einem
Gedankengang ala „Wer ist jetzt böse, die Bösen oder die Gesellschaft?“ nicht
ausreicht. Dies tut jedoch der superben, sexuellen Note keinen Abbruch.
Doch Sexualität und Gewalt bleiben nicht nur oberflächliche
Effekthaschereien, in Serias Werk geht es um solche grundlegenden Dinge wie
Moral, Philosophie und Religion. Anne und Lore sind stark beeinflusst von den
beiden Schriftstellern Charles Baudelaire und Comte de Lautreamont, welche auch
mehrfach Erwähnung finden. So lesen die zwei Mädchen gemeinsam aus dem
grandiosen „Die Gesänge des Maldoror“ (wer es nicht kennt, SOFORT nachholen,
aber vorher schämen) und bringen im fulminanten Ende des Filmes die
wundervollste Referenz an „Les fleurs du mal“, welche man je zu Gesicht bekommen
hat. Das Porträt Baudelaires schmückt übrigens auch das Zimmer der beiden
Mädchen. Insofern kann man der Art, in der das Böse dargestellt wird, einen fundierten,
aber nicht aufdringlichen philosophischen Unterbau, welcher Kenner der Materie
mehr als entzücken dürfte, attestieren. Eine etwas größere und
offensichtlichere Rolle spielt jedoch die Religion. Der notgeile Pfarrer und
die lesbischen Nonnen können als heftige Kritik gegen die Kirche verstanden
werden. Seria schafft es auf diese Art und durch die beiden Protagonistinnen das
Christentum als absolut lachhaft und heuchlerisch darzustellen. Die
Satansmesse, die Anne und Lore abhalten, ist einer der unangefochtenen
Höhepunkte von „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ und so dicht inszeniert,
dass sie den Zuschauer absolut mitreißt. Doch auch abgesehen von dieser
beeindruckenden Szene sind religiöse Motive bzw die Umkehr religiöser Dogmen
allgegenwärtig und können somit als absolutes Leitmotiv in „Und erlöse uns
nicht von dem Bösen“ gesehen werden. Die Rechnung geht auf: die Geschichte der
beiden kleinen Mädchen ist durch und durch garstig und verbittert, was natürlich
absolut positiv zu werten ist.
Fazit: Erotischer, fieser und anstößiger Film, der sowohl
unter dem Exploitation- als auch dem Dramenaspekt sehr gut funktioniert und ein
echtes Unikat ist. „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ ist kurzweilig, bitterböse
und um einiges tiefsinniger, als man es zunächst vermuten möchte. Ein uneingeschränkt empfehlenswerter
Genrebeitrag, wie er nur aus dieser Zeit kommen kann!
Zur DVD: Bildstörung hat mal wieder keine Kosten und Mühen gescheut und bietet, neben dem gewohnt gelungenen Schuber und dem Film in guter Qualität auch einige interessante Interviews!
Zur DVD: Bildstörung hat mal wieder keine Kosten und Mühen gescheut und bietet, neben dem gewohnt gelungenen Schuber und dem Film in guter Qualität auch einige interessante Interviews!
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