Charles Burns ist wohl einer der interessantesten und unterschätztesten Künstler, den die
amerikanische Comicbuchlandschaft je hervorgebracht hat. Seine Kunst ist
schwierig, eigenartig und dennoch so wunderbar vielschichtig und intelligent,
dass es fast schon beleidigend wäre, sie als bloßen Horror abzutun. Die Geschichten,
die er erzählt, sind befremdlich, obskur, tiefgreifend und markerschütternd und
dennoch haben sie eine solch bittersüß reale Note, dass man als Leser irgendwann
die Genrebegriffe einfach beiseite legt und Burns‘ Werke als wahrnimmt, was sie
sind: absolut eigenständige, persönliche Werke. Dass er weitaus mehr als „nur“
ein Horrorzeichner ist, beweist zum Beispiel die Tatsache, dass er lange Zeit
für das Magazin von Pulitzer Preis Gewinner und „Maus“ Zeichner Art Spiegelmann
tätig war. Doch wie erreicht Burns diesen hohen Grad an eigenwilliger,
unverwechselbarer Stilsicherheit? Was macht seine Comics so außergewöhnlich und
warum schaffen sie es, im Leser eine solche Stimmung zu erzeugen?
Die Werke
In „Black Hole“ geht es um eine mysteriöse Krankheit, welche
sexuell übertragen wird und Jugendliche in einem Vorort von Seattle befällt.
Diese hat zur Folge, dass sich an ihren Körpern neue Münder, Öffnungen bilden
oder sie einfach wie Zombies zerfallen.
Chris, Keith und Rob sind ganz normale Jugendliche in den
70er Jahren. Sie besuchen eine Highschool, vertreiben sich die Zeit mit Kiffen,
Partys und Herummachen. Doch ein dunkler Schatten hängt über der sonst so
idyllischen, spießigen Vorstadt. Der Virus, der Jugendliche befällt und sie
mutieren lässt, hat längst Einzug in ihre Mitte gefunden. Als sich die junge
Chris bei einer Party im Wald dem verseuchten Rob hingibt, ahnt sie nicht, was
das für Folgen haben wird. Rob, bei dem die Seuche bewirkt, dass ihm ein
zweiter Mund aus dem Hals herauswächst, steckt sie an. Wenig später bemerkt
sie, dass sich an ihrem Körper eine lange Öffnung gebildet hat, die sich über
ihren gesamten Rücken erstreckt. Desillusioniert und über beide Ohren verliebt,
fasst sie den Entschluss mit Rob durchzubrennen. Zeitgleich lernt Keith,
welcher auch in Chris verliebt ist, im Hause einiger Drogendealer Liz kennen,
der ein Schwanz aus dem Rücken wächst. Obwohl alle mit der Krankheit in
Berührung gekommen sind, können sie nicht ahnen, welche verheerenden Folgen sie
auf ihr aller Leben haben wird.
In den zusammenhängenden Bänden „X“ und „Die Kolonie“ (als
Trilogie angelegt) geht es um einen jungen Mann, der sich in mehreren
surrealen, verstörenden Welten zurechtfinden muss.
Doug, ein junger Künstler, steigt eines Abends in eine
fremde, unheimliche Wüstenwelt voller komischer Gestalten hinab. Nachdem er von
einer verqueren, kleinen Gestalt mit der Welt bekannt gemacht wird, fängt er an
in der Kolonie zu arbeiten, welche sich am Rande des Wüstendorfs befindet.
Parallel dazu führt er weiterhin ein Leben als normaler Mensch in der normalen
Gesellschaft. Hier versucht er sich als avantgardistischer Künstler und lernt
auf einem Punk Konzert die psychisch kranke, kreative Liz kennen. Je näher sie
sich kommen, desto problematischer wird ihre Beziehung.
Liebeskummer, Sehnsucht und Außenseitertum – Die Charaktere
des Charles Burns
Die Werke des Charles Burns werden getragen von Charakteren,
die sich durch starke Sehnsüchte und Unzufriedenheit auszeichnen. So ist zum
Beispiel die unerfüllte bzw. unglückliche Liebe ein sehr großes Thema. So wird
zum Beispiel Keith, einer der Protagonisten in „Black Hole“, von Anfang bis
Ende des sehr langen und ausführlichen Werkes als deprimierter, unglücklich
verliebter Teenager dargestellt. Die Tatsache, dass dieses Gefühl quasi
dauerhaft anhält, macht dieses Gefühl quasi zum definierenden Merkmal seines
Charakters. Burns lässt uns jedoch zeitgleich die Liebschaft zwischen Rob und
Chris erleben, was zum einen eine Art ambivalente Haltung beim Leser erzeugt,
andererseits aber auch das Gefühl von Hoffnungslosigkeit verstärkt. Letzteres
spielt auch bei einem anderen Charakter eine sehr große Rolle, jedoch führen
sie hier zu einer noch drastischeren und nihilistischeren Tat. Auch bei Doug
aus „X“ ist die Liebe ein sehr wichtiges und zugleich deprimierendes Thema.
Sowohl er als auch seine spätere Freundin Sarah scheinen unfähig eine echte
Beziehung aufzubauen, was womöglich an ihren privaten Problemen liegt. Sarah
ist psychisch krank, missbraucht Tabletten und leidet unter
Stimmungsschwankungen. Doug scheint hingegen ein sehr unsicherer,
niedergeschlagener und zur Weltflucht neigender Mann zu sein, der sein
Innenleben durch Kunst und das Abtauchen in die Fantasiewelt (was die Welt
genau darstellen soll, wird nie erläutert).
Hinzu kommt die Art, in der Sex und Drogen von Charles Burns
dargestellt werden. Beide sind durchweg präsent und zeigen das eher „unchristliche“
Brodeln unter der sauberen Fassade des biederen Amerikas. Seine Charaktere
sind, wie wohl alle Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, sexuell aktiv bzw.
von sexuellen Gefühlen beeinflusst, was Burns auch dementsprechend darstellt.
Hierbei ist faszinierend, wie explizit und dennoch beiläufig der
geschlechtliche Verkehr dargestellt wird. Zwar wartet Burns mit relativ
expliziten (für amerikanische Verhältnisse SEHR expliziten) Close-Ups von
Genitalien und teilweise auch Sex auf, jedoch bekommt man nie das Gefühl, dass
er diese Szenen sonderlich effekthascherisch einsetzt. Vielmehr erstreckt sich
eine gnadenlos realistische Lethargie über diese Bilder, sodass sie die Aura von
Hoffnungslosigkeit und Vorstadt-Tristesse eher verstärken, als einen Ausweg darzustellen.
Dieses sehr geschickt instrumentalisierte
Konzept von un-pornographischer Sexualität findet wohl seinen Höhepunkt im
Charakter von Sarah, welche sich darüber beklagt, durch ihre Krankheit keinen
Orgasmus mehr erleben zu können und mit Doug eine weitestgehend asexuelle
Beziehung zu führen scheint. Auch tritt in Black Hole eine gewisse Form von
subtiler, sexueller Perversion zu Tage, welche eine interessante Erweiterung
dieses Prinzips ist.
Metamorphosen, Krankheit und Gewalt
Die sexuelle Perversion bzw. die Darstellung von Sex ist in „Black
Hole“ sehr eng an den Virus bzw. die daraus resultierenden Metamorphosen
verbunden. Den Betreffenden wachsen neue Münder, Köperöffnungen oder Ähnliches.
Manche zerfallen auch förmlich und sehen aus wie Zombies oder alte Menschen.
Ein Gefühl von Krankheit und Verderben ist also das bestimmende Element von
Black Hole und in der Geschichte allgegenwärtig. Der gesamte „Cast“ infiziert
sich mit der ominösen Krankheit oder ist zumindest direkt davon betroffen. Hier
spielt auch die Kolonie der Kranken eine Rolle, welche sich am Waldrand
befindet und Zufluchtsort für die Härtefälle dient. Burns entwirft eine
Gesellschaft, in der Krankheit gleich ausgestoßen sein ist. Die Parallelen zur
später aufkeimenden AIDS Hysterie ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Dennoch
liegt auch eine gewisse Ästhetik in den stellenweise fast schon
Cronenberg-esquen Metamorphosen, welche diese Krankheit mit sich bringt.
Insofern könnte man auch durchaus von einer Verherrlichung von Siechtum bzw.
einem gewissen Stolz, der damit einhergeht, sprechen. Dies könnte womöglich
daran liegen, dass in der Geschichte diese schwere Krankheit oftmals in
Verbindung mit einer idealisiert teenagerhaften Weltsicht bzw. einer Art von
obskurer Selbstbejahung steht. Insofern kann man sich fragen, inwiefern
Krankheit in der Welt von Charles Burns nicht doch eher Trost spendet und eine
Alternative zur kargen, „normalen“ Welt bietet.
Anders ist es jedoch in „Die Kolonie“, in der das Motiv der
Krankheit eine weitaus größere Rolle spielt, als im Vorgänger „X“. Die Leiden
von Dougs Vater und sein langes, schmerzhaftes Darben sind ebenso von Belang,
die psychischen Probleme von seiner Freundin Sarah. Beide Leidensgeschichten sind
durchgängig negativ konnotiert und der Urheber vieler Schmerzen und durchweg
negativer Gefühle. Insofern kann man sagen, dass die etwas bodenständigere
Aufarbeitung der Thematik eine weitaus realistischere und derbere Wirkung zur Folge
hat, als es bei „Black Hole“ der Fall ist. Eine allesübergreifende Aura von
Krankheit und Siechtum bleibt jedoch.
Burns inszeniert Gewalt in einer ähnlichen Art wie Sex.
Wenig plakativ und dennoch durchgängig wahrnehmbar, trägt sie in seinen Werken
einen nicht zu unterschätzenden Teil bei. In „Black Hole“ gibt es zum Beispiel
einen fulminanten Amoklauf, welcher eng mit dem Außenseitertum und dem
Dahinsiechen eines der Charaktere verbunden ist.
Abstrakte Welten
Sowohl in „Black Hole“ als auch in „X“ bzw. „Die Kolonie“ findest
der Entwurf der virtuellen Welt auf zwei Ebenen statt. Zum einen gibt es eine
realistische, authentische Welt (offenbar stark an Burns‘ eigene Erfahrungen
angelehnt), zum anderen aber auch eine absolut abstrakte, surrealistische Welt,
welche in absolutem Kontrast zur ersten steht. Diese alternative Welt ist vor
allem in „X“ von übergeordneter Bedeutung. Doug bewegt sich in einer obskuren, stellenweise
arabisch anmutenden Wüstenwelt, welche vor allem von alienartigen, grünen Wesen
besiedelt wird. Sicherlich soll hier ein Mensch geschildert werden, der sich in
der „wahren“ Gesellschaft nicht zurecht findet. Als Metapher für die Wirren
bzw. die Befremdlichkeit unserer Welt sicherlich sehr stark und aussagekräftig.
Gerade in der Gestaltung dieser Landschaften und einer Bildmetaphorik, welche
unentschlüsselbar und simpel zugleich scheint, liegt die wahre Aussagekraft
dieser beiden Bände. Interessant ist hierbei, wie gekonnt Charles Burns eine
freundliche, außerweltliche Atmosphäre zugleich befremdlich kafkaesk gestalten
kann.
Dies kommt auch bei „Black Hole“ zum Vorschein. Hier sind es
vor allem die Panels, welche die Infektion mit einem Unterwasserwesen
versinnbildlichen und einige konfuse Wandlungen durch Gestrüpp, die eine
willkommene Abwechslung zum normalen Setting bieten und eine verstörende
Atmosphäre aufbauen.
Fazit: Charles Burns Comics leben von einer
außerordentlichen Tiefgründigkeit, stilistischen Sicherheit und einem sehr
hohen Grad an Entfremdung, welche zusammen mit sehr emotionalen und negativen
Themen auftreten. Trotz alledem sind seine Geschichten felsenfest in der
Realität verankert, die Geschichten wirken trotz ihrer Zwiespältigkeit stimmig.
Seine Kunst ist so durchdacht, wie sie relevant ist.
Alle erhältlich bei REPRODUKT
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