Samstag, 26. Oktober 2013

SPECIAL: DIE COMICS DES CHARLES BURNS - MOTIVE IN "BLACK HOLE" UND "X'ED OUT"





Charles Burns ist wohl einer der interessantesten und  unterschätztesten Künstler, den die amerikanische Comicbuchlandschaft je hervorgebracht hat. Seine Kunst ist schwierig, eigenartig und dennoch so wunderbar vielschichtig und intelligent, dass es fast schon beleidigend wäre, sie als bloßen Horror abzutun. Die Geschichten, die er erzählt, sind befremdlich, obskur, tiefgreifend und markerschütternd und dennoch haben sie eine solch bittersüß reale Note, dass man als Leser irgendwann die Genrebegriffe einfach beiseite legt und Burns‘ Werke als wahrnimmt, was sie sind: absolut eigenständige, persönliche Werke. Dass er weitaus mehr als „nur“ ein Horrorzeichner ist, beweist zum Beispiel die Tatsache, dass er lange Zeit für das Magazin von Pulitzer Preis Gewinner und „Maus“ Zeichner Art Spiegelmann tätig war. Doch wie erreicht Burns diesen hohen Grad an eigenwilliger, unverwechselbarer Stilsicherheit? Was macht seine Comics so außergewöhnlich und warum schaffen sie es, im Leser eine solche Stimmung zu erzeugen?




Die Werke




In „Black Hole“ geht es um eine mysteriöse Krankheit, welche sexuell übertragen wird und Jugendliche in einem Vorort von Seattle befällt. Diese hat zur Folge, dass sich an ihren Körpern neue Münder, Öffnungen bilden oder sie einfach wie Zombies zerfallen.

Chris, Keith und Rob sind ganz normale Jugendliche in den 70er Jahren. Sie besuchen eine Highschool, vertreiben sich die Zeit mit Kiffen, Partys und Herummachen. Doch ein dunkler Schatten hängt über der sonst so idyllischen, spießigen Vorstadt. Der Virus, der Jugendliche befällt und sie mutieren lässt, hat längst Einzug in ihre Mitte gefunden. Als sich die junge Chris bei einer Party im Wald dem verseuchten Rob hingibt, ahnt sie nicht, was das für Folgen haben wird. Rob, bei dem die Seuche bewirkt, dass ihm ein zweiter Mund aus dem Hals herauswächst, steckt sie an. Wenig später bemerkt sie, dass sich an ihrem Körper eine lange Öffnung gebildet hat, die sich über ihren gesamten Rücken erstreckt. Desillusioniert und über beide Ohren verliebt, fasst sie den Entschluss mit Rob durchzubrennen. Zeitgleich lernt Keith, welcher auch in Chris verliebt ist, im Hause einiger Drogendealer Liz kennen, der ein Schwanz aus dem Rücken wächst. Obwohl alle mit der Krankheit in Berührung gekommen sind, können sie nicht ahnen, welche verheerenden Folgen sie auf ihr aller Leben haben wird. 







In den zusammenhängenden Bänden „X“ und „Die Kolonie“ (als Trilogie angelegt) geht es um einen jungen Mann, der sich in mehreren surrealen, verstörenden Welten zurechtfinden muss.

Doug, ein junger Künstler, steigt eines Abends in eine fremde, unheimliche Wüstenwelt voller komischer Gestalten hinab. Nachdem er von einer verqueren, kleinen Gestalt mit der Welt bekannt gemacht wird, fängt er an in der Kolonie zu arbeiten, welche sich am Rande des Wüstendorfs befindet. Parallel dazu führt er weiterhin ein Leben als normaler Mensch in der normalen Gesellschaft. Hier versucht er sich als avantgardistischer Künstler und lernt auf einem Punk Konzert die psychisch kranke, kreative Liz kennen. Je näher sie sich kommen, desto problematischer wird ihre Beziehung. 





Liebeskummer, Sehnsucht und Außenseitertum – Die Charaktere des Charles Burns 





Die Werke des Charles Burns werden getragen von Charakteren, die sich durch starke Sehnsüchte und Unzufriedenheit auszeichnen. So ist zum Beispiel die unerfüllte bzw. unglückliche Liebe ein sehr großes Thema. So wird zum Beispiel Keith, einer der Protagonisten in „Black Hole“, von Anfang bis Ende des sehr langen und ausführlichen Werkes als deprimierter, unglücklich verliebter Teenager dargestellt. Die Tatsache, dass dieses Gefühl quasi dauerhaft anhält, macht dieses Gefühl quasi zum definierenden Merkmal seines Charakters. Burns lässt uns jedoch zeitgleich die Liebschaft zwischen Rob und Chris erleben, was zum einen eine Art ambivalente Haltung beim Leser erzeugt, andererseits aber auch das Gefühl von Hoffnungslosigkeit verstärkt. Letzteres spielt auch bei einem anderen Charakter eine sehr große Rolle, jedoch führen sie hier zu einer noch drastischeren und nihilistischeren Tat. Auch bei Doug aus „X“ ist die Liebe ein sehr wichtiges und zugleich deprimierendes Thema. Sowohl er als auch seine spätere Freundin Sarah scheinen unfähig eine echte Beziehung aufzubauen, was womöglich an ihren privaten Problemen liegt. Sarah ist psychisch krank, missbraucht Tabletten und leidet unter Stimmungsschwankungen. Doug scheint hingegen ein sehr unsicherer, niedergeschlagener und zur Weltflucht neigender Mann zu sein, der sein Innenleben durch Kunst und das Abtauchen in die Fantasiewelt (was die Welt genau darstellen soll, wird nie erläutert).

Hinzu kommt die Art, in der Sex und Drogen von Charles Burns dargestellt werden. Beide sind durchweg präsent und zeigen das eher „unchristliche“ Brodeln unter der sauberen Fassade des biederen Amerikas. Seine Charaktere sind, wie wohl alle Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, sexuell aktiv bzw. von sexuellen Gefühlen beeinflusst, was Burns auch dementsprechend darstellt. Hierbei ist faszinierend, wie explizit und dennoch beiläufig der geschlechtliche Verkehr dargestellt wird. Zwar wartet Burns mit relativ expliziten (für amerikanische Verhältnisse SEHR expliziten) Close-Ups von Genitalien und teilweise auch Sex auf, jedoch bekommt man nie das Gefühl, dass er diese Szenen sonderlich effekthascherisch einsetzt. Vielmehr erstreckt sich eine gnadenlos realistische Lethargie über diese Bilder, sodass sie die Aura von Hoffnungslosigkeit und Vorstadt-Tristesse eher verstärken, als einen Ausweg darzustellen. Dieses sehr geschickt  instrumentalisierte Konzept von un-pornographischer Sexualität findet wohl seinen Höhepunkt im Charakter von Sarah, welche sich darüber beklagt, durch ihre Krankheit keinen Orgasmus mehr erleben zu können und mit Doug eine weitestgehend asexuelle Beziehung zu führen scheint. Auch tritt in Black Hole eine gewisse Form von subtiler, sexueller Perversion zu Tage, welche eine interessante Erweiterung dieses Prinzips ist.



Metamorphosen, Krankheit und Gewalt



Die sexuelle Perversion bzw. die Darstellung von Sex ist in „Black Hole“ sehr eng an den Virus bzw. die daraus resultierenden Metamorphosen verbunden. Den Betreffenden wachsen neue Münder, Köperöffnungen oder Ähnliches. Manche zerfallen auch förmlich und sehen aus wie Zombies oder alte Menschen. Ein Gefühl von Krankheit und Verderben ist also das bestimmende Element von Black Hole und in der Geschichte allgegenwärtig. Der gesamte „Cast“ infiziert sich mit der ominösen Krankheit oder ist zumindest direkt davon betroffen. Hier spielt auch die Kolonie der Kranken eine Rolle, welche sich am Waldrand befindet und Zufluchtsort für die Härtefälle dient. Burns entwirft eine Gesellschaft, in der Krankheit gleich ausgestoßen sein ist. Die Parallelen zur später aufkeimenden AIDS Hysterie ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Dennoch liegt auch eine gewisse Ästhetik in den stellenweise fast schon Cronenberg-esquen Metamorphosen, welche diese Krankheit mit sich bringt. Insofern könnte man auch durchaus von einer Verherrlichung von Siechtum bzw. einem gewissen Stolz, der damit einhergeht, sprechen. Dies könnte womöglich daran liegen, dass in der Geschichte diese schwere Krankheit oftmals in Verbindung mit einer idealisiert teenagerhaften Weltsicht bzw. einer Art von obskurer Selbstbejahung steht. Insofern kann man sich fragen, inwiefern Krankheit in der Welt von Charles Burns nicht doch eher Trost spendet und eine Alternative zur kargen, „normalen“ Welt bietet. 



Anders ist es jedoch in „Die Kolonie“, in der das Motiv der Krankheit eine weitaus größere Rolle spielt, als im Vorgänger „X“. Die Leiden von Dougs Vater und sein langes, schmerzhaftes Darben sind ebenso von Belang, die psychischen Probleme von seiner Freundin Sarah. Beide Leidensgeschichten sind durchgängig negativ konnotiert und der Urheber vieler Schmerzen und durchweg negativer Gefühle. Insofern kann man sagen, dass die etwas bodenständigere Aufarbeitung der Thematik eine weitaus realistischere und derbere Wirkung zur Folge hat, als es bei „Black Hole“ der Fall ist. Eine allesübergreifende Aura von Krankheit und Siechtum bleibt jedoch.

Burns inszeniert Gewalt in einer ähnlichen Art wie Sex. Wenig plakativ und dennoch durchgängig wahrnehmbar, trägt sie in seinen Werken einen nicht zu unterschätzenden Teil bei. In „Black Hole“ gibt es zum Beispiel einen fulminanten Amoklauf, welcher eng mit dem Außenseitertum und dem Dahinsiechen eines der Charaktere verbunden ist.



Abstrakte Welten





Sowohl in „Black Hole“ als auch in „X“ bzw. „Die Kolonie“ findest der Entwurf der virtuellen Welt auf zwei Ebenen statt. Zum einen gibt es eine realistische, authentische Welt (offenbar stark an Burns‘ eigene Erfahrungen angelehnt), zum anderen aber auch eine absolut abstrakte, surrealistische Welt, welche in absolutem Kontrast zur ersten steht. Diese alternative Welt ist vor allem in „X“ von übergeordneter Bedeutung. Doug bewegt sich in einer obskuren, stellenweise arabisch anmutenden Wüstenwelt, welche vor allem von alienartigen, grünen Wesen besiedelt wird. Sicherlich soll hier ein Mensch geschildert werden, der sich in der „wahren“ Gesellschaft nicht zurecht findet. Als Metapher für die Wirren bzw. die Befremdlichkeit unserer Welt sicherlich sehr stark und aussagekräftig. Gerade in der Gestaltung dieser Landschaften und einer Bildmetaphorik, welche unentschlüsselbar und simpel zugleich scheint, liegt die wahre Aussagekraft dieser beiden Bände. Interessant ist hierbei, wie gekonnt Charles Burns eine freundliche, außerweltliche Atmosphäre zugleich befremdlich kafkaesk gestalten kann.

Dies kommt auch bei „Black Hole“ zum Vorschein. Hier sind es vor allem die Panels, welche die Infektion mit einem Unterwasserwesen versinnbildlichen und einige konfuse Wandlungen durch Gestrüpp, die eine willkommene Abwechslung zum normalen Setting bieten und eine verstörende Atmosphäre aufbauen.





Fazit: Charles Burns Comics leben von einer außerordentlichen Tiefgründigkeit, stilistischen Sicherheit und einem sehr hohen Grad an Entfremdung, welche zusammen mit sehr emotionalen und negativen Themen auftreten. Trotz alledem sind seine Geschichten felsenfest in der Realität verankert, die Geschichten wirken trotz ihrer Zwiespältigkeit stimmig. Seine Kunst ist so durchdacht, wie sie relevant ist.



 Alle erhältlich bei REPRODUKT

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