Peter ist ein psychisch Kranker, der größtenteils in seinem
verwahrlosten Auto lebt und offenbar ziellos herumstreunt. Peter ist
schizophren, hört Stimmen in seinem Kopf und leidet unter Halluzinationen und
Wahrnehmungsstörungen. Doch Peter ist bei weitem nicht so ziellos, wie es auf
den ersten Blick scheint. Er ist auf der Suche nach seiner Tochter, welche zur
Adoption freigegeben wurde, nachdem ihre Mutter starb. Vor Trauer und Sehnsucht
zerfressen, irrt er durchs Land, um sie wiederzufinden. Schade nur, dass
zeitgleich ein grausamer Mörder junge Mädchen umbringt und der Detective, der
auf den Fall angesetzt ist, auf die Spur des verwirrten, jungen Peters kommt.
Clean Shaven von Lodge Kerrigan ist eine verstörende
Einsicht in die Welt eines schizophren Mannes. Der mit sehr geringem Budget
verwirklichte Independentfilm hat es direkt nach seiner Uraufführung im Jahre
1994 geschafft auf sich aufmerksam zu machen und ist bis heute ein Geheimtipp
unter Kennern von Filmen, welche sich abseits des Mainstreams bewegen. Die
heikle Thematik, die durchdacht eingesetzten Stilmittel und die nahezu perfekte
schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers, machen Clean Shaven zu einem Film,
der so gut funktioniert, dass er den meisten Menschen zu schwierig sein dürfte
(auf mehrere Arten). Da verwundert es wenig, dass der Titel „Clean Shaven“
weitaus seltener in den Mund genommen wird, als z.B. Saló. Doch was genau macht
diesen Film so anspruchsvoll und einzigartig?
Der Aufbau von „Clean Shaven“ ist denkbar einfach und
dennoch mehr als verzwickt. Ohne Einführung und Erklärung wird der Zuschauer
mitten ins Geschehen hineinkatapultiert und sieht den jungen Peter, wie er in
seinem Auto die Scheibe einschlägt und in Panik die Flucht vor irgendetwas
ergreift. Kerrigan schafft Verwirrung und lässt den Zuschauer darin verweilen,
ohne ihm einen Fluchtpunkt zu bieten. Peters Handlungen lösen Unverständnis,
Furcht und teilweise Mitleid aus, plötzliche Schreie und abgehackte Szenen von
Gewalt schaffen eine konstante Bedrohung, von der man nicht weiß, wie man sie
wirklich einzuordnen hat. Obwohl Peter einen Sack bei sich hat, der aussieht
als würde er ein totes Kind darin transportieren, ist der Charakter zu
unberechenbar und gestört, als dass man ihn zu 100% als Opfer oder Unschuldigen
ansehen könnte. Kerrigan zeigt ihn von einer wilden, unberechenbaren Seite,
aber auch als gebrochenen, deprimierten und kranken Mann, dessen einziger
Wunsch es ist, seine Tochter wiederzufinden. Seine Motive sind auf eine gewisse
Art klar und schleierhaft zugleich, denn an seinem mentalen Zustand besteht
kein Zweifel.
Zeitgleich ist „Clean Shaven“ jedoch auch eine Art Katz- und
Maus Spiel. Ein junger Detective glaubt in Peter den Kindermörder gefunden zu
haben, welcher seit einiger Zeit sein Unwesen treibt und besucht die
Adoptivmutter seiner Tochter, Peters Mutter, bei der der Verdächtige einige
Zeit lang Unterschlupf gesucht hat und begutachtet Leichen und Tatorte. Hier und
da kommt ein wenig klassisches Film Noir/Krimi Feeling auf, welches in
Verbindung mit Peters Krankheit und seinem teilweise undurchsichtigen Verhalten
eine sehr mulmige, kalte Stimmung aufkommen lässt. Die Tristesse der Umgebung
und die Rätselhaftigkeit der Handlung unterstreichen dies, selbiges gilt für
die Dialogarmut und die gestörten, menschlichen Beziehungen in Clean Shaven.
Über weite Passagen wird nicht oder nur sehr wenig gesprochen. Die wenigen
Dialoge wirken oft emotionslos und abweisend, so zum Beispiel das Gespräch,
welches Peter mit seiner Mutter führt. Als er sich von ihr verabschiedet, gibt
sie ihm noch nicht einmal Antwort. Diese autistisch anmutende Stimmung
entwickelt im Zusammenspiel mit der Dynamik der Handlung ein sehr verqueres
Eigenleben, welches den unangenehmen, bedrohlichen Charakter des Filmes
zusätzlich intensiviert. Kerrigan hat es mit einfachen, aber konsequent
angewandten Mitteln geschafft, die Hoffnungslosigkeit des Plots auf den
Zuschauer zu übertragen und diese von Anfang bis Ende zu halten, ohne auch nur
einen einzigen Lichtblick durchscheinen zu lassen.
Die aussagekräftigste und eigentlich auch wichtigste
Charaktereigenschaft von Clean Shaven ist jedoch ganz klar die Art, in der die
Schizophrenie dargestellt wird. Regisseur, Autor und Produzent Kerrigan zeigt
nicht nur einen Menschen, der unter Schizophrenie leidet, er lässt den mentalen
Zustand seines Hauptcharakters Wirklichkeit werden. Seine schizophrenen
Episoden werden durch derbe Zwischenschnitte, vorwurfsvolle Gesprächsschnipsel,
welche durch seinen Kopf hallen und Halluzinationen dargestellt. Peters Leiden
ist greifbar geschildert und offenbart dem Zuschauer die gesamte Grausamkeit
dieser Krankheit. Eine weitere starke Szene von Clean Shaven zeigt Peter, wie
er sich beim Rasieren das Gesicht zerschneidet und sich ein Stück Haut aus dem
Kopf schneidet, da er denkt, dass die Stimmen auf diese Art zum Schweigen
kommen würden. Später entfernt er auf sehr schmerzhafte Art einen seiner
Fingernägel. Diese Szenen sorgen, genauso wie die sehr explizite Darstellung
einer Mädchenleiche, für einen verhältnismäßig hohen Grad an Härte und
verleihen der gezeigten Schizophrenie eine noch fatalere, unangenehme Note. Kerrigan gibt folgendes als
Motivation an: "I really tried to examine the subjective reality of
someone who suffered from schizophrenia, to try to put the audience in that
position to experience how I imagined the symptoms to be: auditory
hallucinations, heightened paranoia, dissociative feelings, anxiety."
(Wikipedia). Dies ist ihm absolut gelungen. Clean Shaven ist voller
Gewalt, Angst und Krankheit, eine Mischung, welche man selten auf solch hohem
Niveau begutachten konnte.
Das, was Clean Shaven aber eigentlich so eigen macht ist die
Tatsache, dass der Film sich weigert irgendwelche Erklärungen oder Antworten zu
liefern. Das deprimierende Ende wirft noch mehr Fragen auf, als der Film schon
tat und im Endeffekt ist es dem Zuschauer selbst überlassen, wie er die
Puzzlestücke zusammenfügt und was er daraus macht. Alles hängt stark davon ab,
wie er den Hauptcharakter wahrnimmt und in welchen Bezug er das Geschehen
setzt. Doch gerade weil der Film alles andeutet und sich dennoch auf nichts
festnageln lässt, ist er fordernd und persönlicher, als es beim Durchschnitts-„Skandalfilm“
der Fall ist.
Fazit: Schwieriger, intensiver und ungewohnt direkter Film
über Schizophrenie, Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Clean Shaven ist so echt und
eindringlich, dass er den Zuschauer mit in eine Welt des geistigen Siechtums
herunterzieht und ihn über die gesamte Laufzeit hinweg nicht mehr loslässt.
Kerrigan fordert den Zuschauer, spielt mit seinen Erwartungen, seinen Emotionen
und seiner Wahrnehmung. Dies macht Clean Shaven zu einem einzigartigen,
anspruchsvollen Film, welcher in dieser Form sicherlich kein zweites Mal
existiert. Ein gefährlicher, undurchsichtiger und raffinierter Leckerbissen für
all jene, welche es sich zutrauen.
Zur BluRay: Das Bild der BluRay ist gut, der Schuber wie gewohnt erstklassig gestaltet.
Zur BluRay: Das Bild der BluRay ist gut, der Schuber wie gewohnt erstklassig gestaltet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen