Der 1969 in Oberhausen
geborene Serienmörder Frank Gust ging als „Rhein-Ruhr Ripper“ in
die Geschichte ein. Ähnlich wie der „Yorkshire Ripper“ Peter
Sutcliffe verübte er sexuell motivierte Morde an Frauen, viele davon
Prostituierte, welche auch reges Medieninteresse auf sich zogen. Erst
nach seiner Verhaftung wurde die eigentliche Tragweite der Motive,
welche zu der Mordserie führten, bekannt.
Das Buch
„Brieffreundschaft mit einem Serienmörder“ dokumentiert den
Briefkontakt, den die Diplom-Pädagogin und Therapeutin Petra Klages
mit dem Ripper hatte. Dieser wird zwar (um der Anonymität Willen)
„Axel F.“ genannt, allerdings sind die Informationen so leicht
herauszufinden, dass diese (notwendige?) Anonymisierungsmethode hier
zwar erwähnt, aber nicht beibehalten wird. Entgegen der typisch
deutschen Berichterstattung über den Fall, welche (wie so oft)
zwischen sensationslüstern, eindimensional und gefährlich
halbwissend schwankte, kommt hier auf über 300 Seiten der Täter
selbst zu Wort, was dem interessierten Leser natürlich den perfekten
Einblick in die Gefühlswelten, persönlichen Tragödien und Taten
Gusts verschafft. Insofern überrascht es kaum, dass
„Brieffreundschaft mit einem Serienmörder“ ein sehr intensives
Werk ist, bei dem der Werbespruch „Ein Buch, das erschüttert“
keinesfalls so unangebracht ist, wie es bei vielen Filmen und
Büchern, die sich ähnlich geartete rhetorische Schuhe anziehen, der
Fall ist.
Der Fokus in
„Brieffreundschaft mit einem Serienmörder“ liegt ganz klar auf
auf den Schilderungen von Gust. Obwohl es sich um einen Briefwechsel
handelt, nehmen die Antworten von Frau Klages einen eher kleinen Teil
ein, was aber sicherlich in der Natur der Sache liegt und sich als
genau richtig entpuppt. Gust wirkt in seinen Antworten sehr
intelligent, witzig und geradezu sympathisch. Mit seinen
ausführlichen Briefen schafft er ein Gefühl von absoluter
Transparenz, da er über extrem private Dinge berichtet, ohne dabei
zu wirken, als wolle er übertreiben, beschönigen oder sich in
irgendeiner Art und Weise selbst in Szene setzen. Seine unverfälschte
und wortgewandte Schreibweise sorgt für den nötigen Tiefgang und
sehr viel Abwechselung, sodass „Brieffreundschaft mit einem
Serienmörder“ eigentlich frei von Längen und Durchhängern ist.
Interessant ist vor allem, dass durch die Tatsache, dass Gust sehr
viel von seinem Haftalltag und kleinen Sorgen und Unannehmlichkeiten
erzählt trotz der Materie wirklich das Gefühl einer
Brieffreundschaft aufkommt. Somit unterscheidet sich der Ton des
Buches massiv von dem eines typischen True Crime Werks, da hier der
perfekte Spagat zwischen Distanz und Nähe gefunden wurde, ohne dabei
in Fandom oder reservierte Wissenschaftlichkeit abzurutschen.
„Brieffreundschaft mit
einem Serienmörder“ ist zunächst einmal ein Bericht aus erster
Hand, der Einsicht in eine tragische Lebensgeschichte verschafft.
Gust wurde sein ganzes Leben über Opfer von schrecklichen
Gewalttaten, was sicherlich in direktem Zusammenhang mit den Morden
steht, die er später begangen hat. Obwohl Klages klar macht, dass
die Aufarbeitung dieser Erlebnisse keine Entschuldigung darstellen
soll, ist es wohl bekannt, dass die meisten Täter irgendwann in
ihrem Leben selbst Opfer von Missbrauch und Gewalt wurden. Frank Gust
stellt hierfür ein Paradebeispiel dar. Er wuchs in dysfunktionalen,
emotional grausamen Familienverhältnissen auf und musste sehr stark
unter seinem Stiefvater und den Gemeinheiten seiner Mutter leiden.
Obwohl man hier nur die altbekannte „eine Seite der Geschichte“
präsentiert bekommt, relativieren gerade diese Schilderungen die
Darstellungen der Medien, in denen die Mutter sich selbst als
fürsorglich und versöhnlich darstellt. Doch nicht nur die familiäre
Situation Gusts war geprägt von Erniedrigung. Sein Stiefbruder
hetzte andere Kinder gegen ihn auf, was dazu führte, dass er sozial
isoliert war und von den Nachbarskindern verprügelt wurde. Doch am
schlimmsten ist wohl der jahrelange sexuelle Missbrauch, dem er als
Kind ausgesetzt war. Ein pädophiler Nachbar nutzte die Situation des
jungen Franks aus, um ihn zu sexuellen Handlungen zu verleiten,
später wurde er an andere Pädophile verkauft. Die Tatsache, dass
Gust mehr oder weniger positiv von diesen Erfahrungen spricht, da sie
für ihn die einzige Form von Zuneigung darstellten, die er als Kind
erlebt hat, gibt Aufschluss darüber, von welcher emotionalen Kälte
seine Kindheit gezeichnet gewesen sein muss.
Sehr beachtlich sind
jedoch auch die Momente, die Frank Gust als einen warmherzigen,
empathiefähigen Menschen zeigen. So spricht er voller Liebe von
seinem Sohn und geht ausführlich auf eine sehr enge Freundschaft mit
einer Frau ein, der er sogar seine verübten Morde anvertraut und die
er auf ihren Wunsch hin umgebracht hat, da sie selbst zu schwach war,
um Selbstmord zu begehen. Diese Momente zeigen auf gekonnte Art und
Weise, dass sich auch hinter Männern wie Gust ein menschliches Wesen
verbirgt. Dadurch, dass Gust die meiste Redezeit zugesprochen wird,
stehen diese (widersprüchlichen?) Züge seines Wesens
verhältnismäßig unkommentiert und frei im Raum, was dem Leser die
Chance gibt, sich selbst ein Urteil bilden zu können.
Die Darstellungen von
Gewalt und sexuellem Sadismus, die in „Brieffreundschaft mit einem
Serienmörder“ vorzufinden sind, sind stellenweise so drastisch,
dass selbst Leser, die mit der Materie vertraut sind, sie als überaus
verstörend wahrnehmen könnten. Ohne in inflationären Gebrauch von
Superlativen und die Beweihräucherung von vermeintlicher „Härte“
verfallen zu wollen, kann man davon ausgehen, dass „Brieffreundschaft
mit einem Serienmörder“ ein Buch ist, das sehr viele Leute nicht
zu Ende lesen werden (können). Gerade die ausführlichen und sehr
langen Schilderungen der oben erwähnten pädosexuellen Akte, die an
Frank vollführt wurden, sind extrem anstrengend.
Natürlich gilt dies auch
für Gusts Taten. Frank Gust ist ein sexueller Sadist, der eine
fetischistische Vorliebe für Innereien hegt. Auf detaillierte Art
und Weise schildert er seine „Vorlieben“ und geht dabei lang und
breit auf seine Taten und Fantasien ein. So beschreibt er zum
Beispiel zahlreiche Tötungen von Tieren, die er beging um
Geschlechtsverkehr mit ihren Eingeweiden zu haben. Auch brach er in
Leichenschauhäuser ein, um sich an den Leichen zu vergehen. Eine so
nüchterne und persönliche Darstellung von nekrophilen und
sadistischen Handlungen ist sicherlich nichts Alltägliches und diese
aufrichtige und eindringliche Herangehensweise macht
„Brieffreundschaft mit einem Serienmörder“ zu einem echten
Unikat, das vielleicht unkonsumierbarer als andere Vertreter dieser
Zunft daherkommt, doch dadurch um einiges authentischer ist, als so
gut wie alles, was man in diesem Bereich sonst so vorfindet.
Hier und da wurden einige
der Beschreibungen gekürzt um unnötigen „Gewaltvoyeurismus“ zu
vermeiden, allerdings bleibt die Essenz der Darstellungen zu einem
solchen Ausmaß erhalten, dass man sich über Sinn und Unsinn dieser
Kürzungen streiten kann. Nach dem Ende des eigentlichen Textes,
befindet sich eine exemplarische Kopie eines Briefs von Frank Gust im
Anhang. Hier bekommt der Leser einen unzensierten und ungefilterten
Einblick in seine sadistischen, sexuellen Fantasien, die unter
anderem genitale Verbrühungen, Entweidungen und Geschlechtsverkehr
mit entnommenen Organen beinhalten. Auch die Male, in denen er seine
Triebe ausgelebt hat, schildert der Mörder ausführlich und in aller
Detailgenauigkeit. So richtete er zum Beispiel eine Anhalterin, die
er einmal mitnahm per Kopfschuss hin und „entsorgte“ ihre Leiche
fachgerecht, nachdem er sich mehrmals an ihr vergangen hatte. Auch
die Gewaltakte, die er an einer gefesselten Prostituierten verübte,
kommen in ähnlicher Manier zur Sprache. Auch hier muss angemerkt
werden, dass eine so genaue und (scheinbar) unverfremdete
Beschreibung aus erster Hand eher die Ausnahme als die Regel ist, da
die Berichterstattung in den öffentlichen Medien eher auf
Oberflächlichkeit, Halbwahrheiten und Effekthascherei beruht, als
auf ernsthafter und verantwortungsbewusster Recherche. Petra Klages
Briefverkehr ist das genaue Gegenteil.
Fazit: „Brieffreundschaft
mit einem Serienmörder“ ist für Leser, die Interesse an der
Thematik haben, nahezu unverzichtbar. In den zahlreichen Briefen
gewährt der Serienmörder Frank Gust Einsicht in seinen Lebenslauf,
seine Triebe und natürlich seine Taten. Das Ergebnis ist düster,
packend und auf mehrere Arten traurig. Obwohl „Brieffreundschaft
mit einem Serienmörder“ durch seine gnadenlose Authentizität (die
von den Textkürzungen nur sehr eingeschränkt entschärft wird) für
viele Leser geradezu unerträglich sein könnte, findet man hier doch
einen der wertvollsten Beiträge zum Thema vor, den es jemals gegeben
hat – schon alleine weil ein Gewalt- und Sexualverbrecher eines
solchen Kalibers so ausführlich und aufgeschlossen Rede und Antwort
steht.
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