Donnerstag, 17. April 2014

REVIEW: VALERIE - EINE WOCHE VOLLER WUNDER (Jaromil Jires, 1970)




Im Leben der jungen Valerie gehen merkwürdige Dinge vor sich. Sie erblickt häufig eine seltsame, geisterhafte Gestalt, die ihr nachzustellen scheint. Dieser Verdacht erhärtet sich, als sie davon in Kenntnis gesetzt wird, dass dieses Geschöpf sie begehrt. Es verschafft sich Zugang zu ihrem Haus und nistet sich ein. Gefährliche Intrigen werden gesponnen. 



„Valerie – Eine Woche voller Wunder“ ist ein 1970 gedrehter Film aus Tschechien. Regisseur Jaromil Jires verfilmt den gleichnamigen Roman des Autors Vitezslav Netzval aus dem Jahre 1945 als surrealistisches Werk, das irgendwo zwischen Horror und Fantasy einzuordnen ist. Die Mysterien und Gefahren, denen Valerie sich stellen muss, offenbaren sich langsam und im Verborgenen, sodass der gesamte Film mystisch und träumerisch wirkt. Neben den grandiosen Sets besticht „Valerie – Eine Woche voller Wunder“ nicht zuletzt durch eine hoch erotische und sinnliche Komponente.




Als das 13-jährige Mädchen Valerie in einer Gartenlaube einschläft, versucht ein Junge ihr die Ohrringe zu stehlen. Zeitgleich taucht immer wieder eine Gestalt mit weißer, monsterartiger Fratze auf, die immer direkten Blickkontakt mit ihr sucht und es auf sie abgesehen zu haben scheint. Wenig später gibt der Dieb ihr die Ohrringe zurück und gibt sich als Orlik zu erkennen. Er verrät ihr, dass diese Gestalt ein Monster ist, welches „Iltis“ genannt wird und sich in sie verliebt hat. Nach einer kirchlichen Zeremonie wird sie vom Iltis entführt, der ihr zeigt, wie ihre Großmutter (bei der sie lebt) sich vor einem ehemaligen Geliebten, dem Priester Gracian, selbst auspeitscht und sich ihm unterwirft. Nachdem Valerie und ihre Großmutter am nächsten Tag mit Gracian zusammen gegessen haben und dieser versucht, sie zu verführen, stellt sich heraus, dass der Iltis ein ehemaliger Geliebter ihrer Großmutter ist, dem sie heute noch verfallen ist. Er bietet ihr an, sie wieder jung und schön zu machen und fordert im Gegenzug das Anwesen, das eigentlich Valerie zusteht. Sie willigt ein und verwandelt sich in eine junge, hübsche Vampirin. Nun, da der Iltis freien Zugang zum Haus hat, kann er seinen Plan in die Wirklichkeit umsetzen.



Die Handlung von „Valerie – Eine Woche voller Wunder“ breitet sich langsam und müßig aus und baut weniger auf Spannung, als auf Mystik und Verwirrung. Lange ist unklar, was es mit dem immer wiederkehrenden Wesen auf sich hat und über weite Strecken scheint die Symbolik über dem Handlungsaufbau zu stehen. Erst nach und nach kristallisiert sich das eigentliche Dilemma heraus und wird konkreter. Doch ein gewisser träumerischer, surrealistischer Grundton wird konstant aufrecht erhalten, sodass die etwas vage und sprunghafte Handlung dem Tenor des Films sehr zu Gute kommt. Jires schafft es von Anfang an, durch gewiefte Bildkompositionen eine starke Atmosphäre aufzubauen, die er kontinuierlich aufrecht erhält. Diese viel beschriebene Märchenhaftigkeit kommt zunächst einmal durch die Settings und die Charaktere. Die Handlung dreht sich um die bildhübsche, unschuldige Valerie, welche mit ihrer verschrobenen, geheimnisvollen Großmutter in einem großen Haus wohnt. Durch den Jungen Orlik kommt eine typisch märchenhafte Liebesgeschichte ins Spiel und der Iltis ist der Böse Gegenspieler. Dieser ist ein widerlich aussehender, bleicher, kahlgeschorener Dämon mit langen, fauligen Zähnen und langer, schwarzer Mönchskutte und somit ein optisch wirklich gut gewählter Bösewicht. Ähnlich stimmig sind auch die Umgebungen und Sets. In der Höhle des Ilitis brodeln Zaubertränke und Spinnweben hängen von den Decken, wohingegen Valerie durch malerische, blühende Landschaften läuft und in einem perlweißen, prinzessinnenhaften Zimmer wohnt. Dieses bewusste Spiel mit Farben bzw. das starke Wechselspiel zwischen schwarz und weiß spielt über die gesamte Laufzeit eine große Rolle und kann durchaus als einer von Jires' visuellen Kunstgriffen angesehen werden, die die Wirkung sehr positiv beeinflussen.



Unter der bunten, traditionell „schönen“ Oberfläche verbirgt sich eine große Anzahl von Symbolen und Motiven, welche sich als sehr aussagekräftig und durchdacht entpuppen. Neben solchen gängigen Motiven wie Jugendlichkeit, Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe und den typisch märchen- und zauberhaften Aspekten, wie den verzauberten Ohrringen und den magischen Künsten des Iltis, ist vor allem die Art interessant, in der Religion dargestellt wird. Es liegt eine gewisse Spiritualität über dem gesamten Geschehen, welche teilweise unterschwellig und teilweise konkret zum Tragen kommt. Neben den okkulten Fähigkeiten des Iltis ist auch der Charakter des Priesters Gracian von Belang. Dieser verkörpert das Prinzip von destruktiver und gefährlicher Religiosität, welches sich im Film nach und nach ausbreitet und einen großen Einfluss auf Valeries Schicksal hat. Er tritt als frommer und tugendhafter Christ auf, doch versucht später, Valerie zu vergewaltigen und stellt sie später noch als Hexe an den Pranger. Weiterhin hat Jires die Vampirthematik sehr gut in die Handlung eingebaut, sodass sie als separater Faden funktioniert, ohne jedoch der Haupthandlung im Weg zu stehen. Dieser kleine Note Vampirhorror, die durch die sehr attraktive Darstellerin und die ausgeprägt sexuelle Note ein wenig an einige Filme von Jean Rollin erinnert (natürlich ein ungeheurer Pluspunkt), stellt eine sehr gelungene Nebenhandlung dar, die genau die richtige Screentime bekommen hat und willkommene Horror-Abwechselung bietet, ohne die Grundwirkung des Films zu verfälschen. 



Wie oben erwähnt ist „Valerie – eine Woche voller Wunder“ ein sehr „schöner“ Film, was nicht nur durch die ästhetischen Sets, sondern auch durch eine erotische und sinnliche Aufladung bedingt ist. Jires Märchen ist - wie die „normalen“ Märchen eigentlich auch – voll von Anspielungen auf Sexualität. Valerie ist eine jugendliche Heldin, deren Jungfräulichkeit ein Kernaspekt des Werkes ist. Ihr aufkeimender Sexualtrieb offenbart sich zum Beispiel in den Szenen, in denen die Männer ihr gegenüber sexuelle Begierde zeigen oder sie mit ihrer Großmutter über ihre erste Regelblutung spricht, weiterhin wird sie durch partielle Nacktheit und aufreizende Kleidung auch auf stark erotisierte Art in Szene gesetzt. Diese früh-jugendliche, lolita-esque Jungfrauensymbolik findet wohl ihren Höhepunkt in einer Messe, die der Iltis für alle Jungfrauen des Dorfes abhält. Der Text liest sich wie eine Hymne auf die weibliche Enthaltsamkeit und spielt somit – ebenso wie die gesamten erotischen Aspekte des Films – sehr gekonnt mit den sexuellen Konzepten, die gängigerweise mit der klassischen, „unbefleckten“ Märchenheldin verbunden werden – nicht zuletzt wegen den sexuell aggressiven männlichen Charakteren. Doch „Valerie – eine Woche voller Wunder“ geht einen Schritt weiter und präsentiert auch offen erotische Szenen, z.B. die lesbischen Liebesspiele, die Valerie in der Natur betrachtet und die verführerischen Mordakte der Vampirin, die einst ihre Großmutter war. „Valerie – eine Woche voller Wunder“ ist ein Film, der mehr auf Ästhetik als auf Handlung setzt und innerhalb dieses Verständnisses von Schönheit offenbart sich die Erotik als ein auf vielen Ebenen wirkendes, durchdachtes Konstrukt, welches eines der größten Vorzüge des Films ist.

Fazit: „Valerie – eine Woche voller Wunder“ ist ein bildgewaltiger und erotischer Märchenfilm, der vor allem durch ästhetische Sicherheit zu gefallen weiß. Durch die kurze Laufzeit und die gewollt konfuse Handlung kommt kaum Langeweile auf und die surrealistischen Aspekte stellen eine dezente Aufwertung dar, ohne dass sie den Filmgenuss für Zuschauer schmälern, welche vielleicht weniger mit dieser Stilrichtung anfangen können. Trotz aller Schönheit sind jedoch vor allem die gruseligen und „gothischen“ Aspekte sehr vordergründig, sodass man bei „Valerie“ wohl auch bis zu einem gewissen Grade von einem Horrorfilm sprechen kann. Die Mischung ist jedoch so gut abgeschmeckt, dass ein stimmiger, unterhaltsamer und vor allem schöner Film herausgekommen ist.

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