Donnerstag, 3. April 2014

REVIEW: GOD BLESS AMERICA (Bobcat Goldthwait, 2011)




In einer unmoralischen, konsumorientierten Gesellschaft finden sich ein von Rückschlägen gebeutelter Mann und ein durchgedrehtes Schulmädchen zusammen, um gegen die Umtriebe, die sie so sehr stören, vorzugehen. Dies tun sie natürlich mit brachialer Waffengewalt. Nach einigem Zögern werden sie zu einem eingespielten Team und ziehen meuchelnd durch die Staaten. Der letzte Coup soll etwas Großes werden, was die TV-Nation Amerika erschüttern soll.



Sozial- und Medienkritik ist heutzutage fast schon so alltäglich, wie es die Medien selbst sind. Gerade in dem Filmbereich, der gängigerweise mit der Worthülse „kontrovers“ umschrieben wird, ist es wohl schwer einen Film zu finden, der nicht ansatzweise gesellschaftskritisch ist, oder zumindest von übereifrigen Fans in diese Ecke gestellt werden kann. Innerhalb dieser Flut von zu konsumierbaren und abgedroschenen filmischen Äquivalenten zu leeren Phrasen schafft „God Bless America“ es jedoch als verhältnismäßig frisches, bitteres und böses Werk herauszustechen. Der tragikomische, anarchische Beitrag von Bobcat Goldthwait (der übrigens eine der tragenden Rollen in der „Police Academy“ Reihe spielte) wurde sehr gut aufgenommen und auf vielen der gängigen Plattformen außerordentlich positiv bewertet. Hierfür gibt es eine hohe Anzahl von Gründen, welche allesamt nicht von der Hand zu weisen sind. Inwiefern eine solch groteske Gesellschaftskritik auf fruchtbaren Boden stößt, hängt natürlich stark vom Zuschauer und seinem Weltbild ab, dass „God Bless America“ um einiges mehr ist, als ein „Natural Born Killers“ Rip-Off, ist jedoch zu keiner Sekunde anzuzweifeln. 




Frank ist am Boden zerstört. Seine Ehe ist in die Brüche gegangen, seine Tochter hasst ihn und er lebt alleine in einem kleinen Haus neben einem proletenhaften Pärchen mit einem durchgehend schreienden Baby. Nacht für Nacht zappt er sich durch die Fernsehkanäle und ist entsetzt und angeekelt von dem, was er zu sehen bekommt. Als er dann noch wegen einer Lapalie seine Arbeit verliert und ihm von ärztlicher Seite mitgeteilt wird, dass ein tödlicher Hirntumor in seinem Kopf heranwächst, brennt ihm die Sicherung durch. Er klaut den Sportwagen seines Nachbarn und zieht aus um das zickige Mädchen aus einer „My Super Sweet 16“-artigen Sendung umzubringen. Hierbei beobachtet ihn Roxanne, eine Mitschülerin der Ermordeten, welche sofort hin und weg ist. Sie sucht ihn auf, hält ihn vom Selbstmord ab und überredet ihn dazu, weiterhin Rache an der Gesellschaft zu nehmen, die sie beide so sehr verabscheuen. Nachdem sie auch noch den Eltern der Ermordeten einen Besuch abgestattet haben, nimmt Frank sie als seine Komplizin auf und die beiden ziehen mordend durch Amerika. 




„God Bless America“ ist unter anderem deshalb ein starker Film, weil er sehr sympathische Hauptfiguren hat. Frank ist im Grunde genommen ein guter Kerl, der aufgrund seiner misslichen Lage automatisch Mitgefühl erweckt. Innerhalb einer kalten und stupiden Welt ist er quasi ein moralischer und anständiger Gegenpol, der frustriert ist, weil er mit seiner zivilisierten und hinterfragenden Art bei seinen Mitmenschen auf Granit beißt. Sehr schön zeigt sich dies in der Szene, in der ihm gekündigt wird, weil eine Mitarbeiterin sich beschwert hat, weil er ihr Blumen geschickt hat. Gerade die Tatsache, dass er ein so menschlicher Charakter ist, macht ihn als Mörder so interessant. Roxanne ist hierbei das ideale Gegenstück zum verbitterten Frank. Sie sprüht vor jugendlichem Enthusiasmus und tritt als vereinnahmende, überdrehte Person auf, was sie zum perfekten Sidekick macht. Interessant ist, dass ihr Hass auf die Gesellschaft fast schon festgefahrener und fatalistischer ist, als der von Frank und dass sie zu weiten Teilen auch überzeugter von dem zu sein scheint, was die beiden tun.
„God Bless America“ entpuppt sich – trotz einer fulminanten ersten Hälfte – über weite Stellen als überraschend erwachsener Film, der seine Charaktere und ihre Handlungen ernst nimmt und sie nicht nur als bloße Schlächter agieren lässt. Hierbei investiert er natürlich viel Zeit auf die Beziehung, die Frank und Roxi zueinander aufbauen. Obwohl sie auf relativ direkte Weise nach Komplimenten fischt und ihm nicht abgeneigt zu sein scheint, verläuft diese ohne sexuelle Hintergedanken und beruht vielmehr auf einer Art Seelenverwandtschaft, welche sich zum Beispiel in den gemeinsamen Hasspredigten sehr schön zeigt. Die Charaktere (und der Filmemacher) spielen bewusst mit dem „Bonnie und Clyde“ Image, welches dieser Konstellation anhaftet und diese Seitenhiebe sorgen für die nötige Selbstironie. Dennoch sieht man an ihren gemeinsamen Auswanderungsplänen und dem späteren Verlauf der Handlung, dass sehr viel Ernsthaftigkeit und unterschwellige Emotionalität in dieser Bindung liegt.



Frank und Roxi sind verzweifelte Charaktere zwischen Resignation und Revolte. Die Darstellung der Gesellschaft, gegen die sie so offen rebellieren, ist hierbei fast schon wichtiger, als die Charaktere selbst. Wie oben beschrieben, strotzt „God Bless America“ vor extrem bissiger und geradezu hasserfüllter Gesellschafts- und Medienkritik, welche auch sehr unverblümt übermittelt wird. Hierbei kann einem mitunter schon etwas mulmig werden, da sich sämtliche Anspielungen trotz einer gewissen Überdrehtheit allesamt im „zu wahr um lustig zu sein“ Spektrum bewegen. Das sich durch den gesamten Film ziehende Motiv eines scheinbar behinderten Mannes, der sich bei einer Castingshow blamiert und von da an in allen Formaten durch den Kakao gezogen wird, nur um dann später zum Star erkoren zu werden, ist zum Beispiel schmerzhaft wirklich, so überspitzt es auch auf den ersten Blick wirken mag. Selbiges gilt für die polemische Berichterstattung und die nahezu verachtenswerte Dummheit der dargestellten Teenager und Reality Show Teilnehmer. Ebenso scheint Goldthwaith keinerlei Sympathie für die amerikanische Gesellschaft übrig zu haben. Frank und Roxi sind umgeben von konsumgesteuerten, nicht zur Reflexion fähigen Menschen, welche allesamt alles hinnehmen, was die Medien ihnen vorsetzen und als absolute Egomanen auftreten. Diese Herangehensweise sorgt für eine sehr kurzweilige Atmosphäre und ein hohes Maß an Unterhaltung, ist jedoch mit einem sehr bitteren Nachgeschmack versehen. Vor allem die langen Monologe Franks stellen sich hierbei als besonders aussagekräftig heraus. Leute, die ebenso zynisch und „negativ“ wie der Regisseur eingestellt sind, dürften wohl die gesamte Laufzeit über bejahend mit dem Kopf nicken und zustimmen.



Doch nicht nur in seiner Mediendarstellung ist „God Bless America“ kompromisslos. Der Film gibt sich stellenweise sehr anarchischen und gar nicht mal ungraphischen Gewaltorgien hin und vermag es, diese sehr kurzweilig zu inszenieren. Ebenso wie bei den medialen und gesellschaftlichen Aspekten, können diese ungemein drastisch und grotesk wirken, wobei sie aber dennoch nicht wirklich unrealistisch im klassischen Sinne sind. Es wird zum Beispiel ein Baby mit einer Pumpgun erschossen, einer Frau den Bauch aufgeschlitzt und mannigfach blutig abgeknallt. Obwohl diese Szenen nicht so sehr im Vordergrund stehen, wie manch einer es sich eventuell erhofft hat, verleihen sie dem Geschehen doch einiges an Würze. Positiv anzumerken ist, dass „God Bless America“ weitestgehend frei von Pseudomoral und Kitsch ist. Am Ende täuscht der Film dergleichen an um sie dann selbst im Keim zu ersticken – ein gelungener Schachzug! „God Bless America“ ist ziemlich ehrlich und scheut sich auch nicht davor, in eher fragwürdige Territorien abzudriften, ohne sich zu viel auf seine eigene Anstößigkeit einzubilden. Und die Hommage an „Taxi Driver“ ist wahrlich grandios!

Fazit: Radikaler, abgedrehter und böser Film, der eine ungewohnt schonungslose Auffassung vertritt und diese gekonnt in Szene setzt. Die satirischen Aspekte sind sehr direkt und brutal, was sich aber direkt als die richtige Entscheidung entpuppt. Neben dem Gemetzel und der Verbitterung bietet „God Bless America“ aber auch eine sehr gelungene Charakterentwicklung und einen interessanten Handlungsaufbau, was zu einem rundum gelungenen Resultat führt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen