Sonntag, 6. April 2014

REVIEW: KARL DENKE - DER KANNIBALE VON MÜNSTERBERG (Armin Rütters, Kirchschlager Verlag)




Karl Denke, auch Vater Denke genannt, war ein deutscher Serienmörder und Kannibale, der ungefähr zeitgleich mit Fritz Haarmann in Schlesien sein Unwesen trieb. Der kauzige alte Junggeselle lockte eine Vielzahl von Menschen in sein Haus, woraufhin er sie umbrachte und verspeiste. Denke beging Selbstmord, als er in Untersuchungshaft saß und somit wirft der Fall bis zum heutigen Tage einige Fragen auf. 



Kannibalismus ist ein Thema, welches in der deutschen Serienmördergeschichte häufiger aufzutauchen scheint. Viele erinnern sich sicherlich noch an Armin Meiwes, den Kannibalen aus Rothenburg, welcher die Genitalien eines Mannes verspeiste, den er in einem Forum für derart ausgerichtete Menschen kennenlernte und Friedrich Haarmann, der ein homosexueller, sadistischer Triebtäter war und dem nachgesagt wurde, dass er das Fleisch seiner Opfer verkaufte. Obwohl sich die breite Masse für solche Verbrechen zu interessieren scheint, gibt es eine Vielzahl von beachtenswerten Taten und Tätern, welche gänzlich unbeachtet zu bleiben scheinen. Auch Denke ist einer dieser „vergessenen“ Mörder und das obwohl sein Fall gravierende Ähnlichkeiten zu den Obengenannten aufweist und sich bei näherem Hinschauen in manchen Teilen sogar als interessanter herausstellt. Nachdem in den ersten beiden „Historische Serienmörder“ Bänden jeweils mehrere Täter vorgestellt wurden, widmet sich der dritte Teil „Karl Denke – Der Kannibale von Münsterberg“ von Armin Rütters ausschließlich dem Menschenfresser und erweist sich darüber hinaus auch als extrem brauchbare Sammlung von zeithistorischen Dokumenten über den Fall.


„Karl Denke – Der Kannibale von Münsterberg“ ist an erster Stelle natürlich ein überaus detailliertes Portrait des Mörders. Wie man es von den Werken des Verlages gewohnt ist, schafft der Autor Armin Rütters es, Einblick in so ziemlich alle Lebensbereiche des Täters zu verschaffen. Sowohl die Kindheit des Mörders, als auch sein späterer Lebenslauf werden ausführlich geschildert und im Bezug auf seine Taten analysiert. Sehr interessant (und wichtig) sind zum Beispiel seine familiären Umstände und seine schulische und berufliche Laufbahn, welche beide von gravierenden Problemen geprägt waren. Diese beruhten natürlich primär auf den exzentrischen Wesenszügen Denkes, welche auch allesamt auf lebhafte, aber niemals unwissenschaftliche Art geschildert werden, sodass der Kannibale auf sehr treffend charakterisiert wird. In dieser Ausarbeitung haben natürlich auch der Modus Operandi, die Opfer und die Tathergänge ihren verdienten Platz. Denke war eine faszinierende Persönlichkeit und die Grausamkeiten, zu denen er fähig war, stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem zuvor beschriebenen, obskuren Charakter. Insofern schafft Rütters es, ein rundes Bild der Person zu erzeugen, obwohl der Fall allein schon aus historischen Gründen wenig transparent ist. Interessant sind hierbei auch die zahlreichen, besorgniserregenden Beobachtungen, welche die Nachbarn über die Jahre machten, aber nie zur Anzeige brachten. Mit Sicherheit ist der Fall Denke auf mehreren Ebenen ein Kuriosum und Rütters beleuchtet dies gekonnt von allen Seiten.



Im Gegensatz zu einigen prominenteren Triebtätern nahm Denke sich das Leben als seine Taten aufgedeckt wurden und konnte somit niemals von seinen Motiven und Taten berichten. Es liegt daher auf der Hand, dass eine vollständige Aufarbeitung der Geschehnisse nicht möglich ist und das, was bekannt ist, nicht abendfüllend ist. Doch gerade in dieser vermeintlichen Not offenbart „Karl Denke – Der Kannibale von Münsterberg“ eine seiner stärksten Tugenden. Das Buch ist angereichert mit dutzenden Textquellen aus der Zeit des Mörders, Essays und psychiatrischen Gutachten. Die Tatsache, dass diese „Zusatztexte“ knapp zwei Drittel des Buches einnehmen, macht das Werk für den echten Enthusiasten mehr als wertvoll.
Besonders positiv hervorzuheben ist Lydia Beneckes Text, in dem versucht wird, ein modernes, psychologisches Gutachten von Denke zu erstellen. Sicherlich beruht hierbei viel auf Spekulation, doch alles andere ist natürlich auch nicht möglich. Hierbei geht Frau Benecke mit wissenschaftlicher Nüchternheit vor und schlussfolgert aus den bekannten Eigenschaften des Mörders. Weiterhin äußert auch der bekannte Kriminalbiologe Mark Benecke in einem Interview seine Gedanken zur Thematik.

Am interessantesten dürften jedoch mit Sicherheit die zahlreichen Textquellen sein. Neben dem original Pamphlet, welches über den Bettler verfasst wurde, der Denke enttarnte, befinden sich noch unter anderem mehrere Zeitungsartikel, Gerichtstexte und Polizeiberichte in dem Band. Hierbei wird vor allem auf das traurige Los eines Herrn Trautmann eingegangen, der fälschlicherweise für einen von Denkes Morden zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Insofern werden auch (indirekt) die Problene der damaligen Justiz und einige politische Themen, wie zum Beispiel der schonungslose Umgang mit Bettlern, thematisiert. Besonders lesenswert sind die beiden Schreiben „Verbrecherdämmerung“ und „Die Köpfe von Münsterberg“, da sie als sehr aussagekräftige und selbsterklärende Zeugnisse des damaligen Zeitgeists angesehen werden können.



Weiterhin ist eine Vielzahl von Bildmaterial enthalten. So gibt es zum Beispiel Fotos von Denke selbst, seinem Haus, der Stadt, in der sich die Verbrechen ereigneten, und vieles mehr. Auch sind einige sehr explizite Bilder von Denkes Zahnsammlung und den Leichenteilen der ermordeten Emma Sander, von der auch ein Obduktionsbericht abgedruckt ist, in „Karl Denke – Der Kannibale von Münsterberg“ zu finden. Diese runden den positiven Gesamteindruck natürlich entsprechend ab.

Fazit: “Karl Denke – Der Kannibale von Münsterberg“ ist ein unverzichtbares Werk für jeden, der sich für den Fall interessiert. Der Band besticht durch seinen Tiefgang und vor allem durch die hohe Anzahl von historischen Textquellen, welche den Leser so nah an den Fall heranlassen, wie es kaum ein anderes Buch aus diesem Bereich tut. Keine leichte, sofataugliche Unterhaltung für nebenbei, sondern ein ernstzunehmender, wissenschaftlicher, kulturhistorischer Beitrag zu einem in der deutschen Geschichte einzigartigen Serienmord, der leider bisher nahezu unbeachtet blieb. Das Buch ist jedoch eine Entschädigung, wie sie besser nicht hätte ausfallen können.

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