Karl Denke, auch Vater
Denke genannt, war ein deutscher Serienmörder und Kannibale, der
ungefähr zeitgleich mit Fritz Haarmann in Schlesien sein Unwesen
trieb. Der kauzige alte Junggeselle lockte eine Vielzahl von Menschen
in sein Haus, woraufhin er sie umbrachte und verspeiste. Denke beging
Selbstmord, als er in Untersuchungshaft saß und somit wirft der Fall
bis zum heutigen Tage einige Fragen auf.
Kannibalismus ist ein
Thema, welches in der deutschen Serienmördergeschichte häufiger
aufzutauchen scheint. Viele erinnern sich sicherlich noch an Armin
Meiwes, den Kannibalen aus Rothenburg, welcher die Genitalien eines
Mannes verspeiste, den er in einem Forum für derart ausgerichtete
Menschen kennenlernte und Friedrich Haarmann, der ein homosexueller,
sadistischer Triebtäter war und dem nachgesagt wurde, dass er das
Fleisch seiner Opfer verkaufte. Obwohl sich die breite Masse für
solche Verbrechen zu interessieren scheint, gibt es eine Vielzahl von
beachtenswerten Taten und Tätern, welche gänzlich unbeachtet zu
bleiben scheinen. Auch Denke ist einer dieser „vergessenen“
Mörder und das obwohl sein Fall gravierende Ähnlichkeiten zu den
Obengenannten aufweist und sich bei näherem Hinschauen in manchen
Teilen sogar als interessanter herausstellt. Nachdem in den ersten
beiden „Historische Serienmörder“ Bänden jeweils mehrere Täter
vorgestellt wurden, widmet sich der dritte Teil „Karl Denke – Der
Kannibale von Münsterberg“ von Armin Rütters ausschließlich dem
Menschenfresser und erweist sich darüber hinaus auch als extrem
brauchbare Sammlung von zeithistorischen Dokumenten über den Fall.
„Karl Denke – Der
Kannibale von Münsterberg“ ist an erster Stelle natürlich ein
überaus detailliertes Portrait des Mörders. Wie man es von den
Werken des Verlages gewohnt ist, schafft der Autor Armin Rütters es,
Einblick in so ziemlich alle Lebensbereiche des Täters zu
verschaffen. Sowohl die Kindheit des Mörders, als auch sein späterer
Lebenslauf werden ausführlich geschildert und im Bezug auf seine
Taten analysiert. Sehr interessant (und wichtig) sind zum Beispiel
seine familiären Umstände und seine schulische und berufliche
Laufbahn, welche beide von gravierenden Problemen geprägt waren.
Diese beruhten natürlich primär auf den exzentrischen Wesenszügen
Denkes, welche auch allesamt auf lebhafte, aber niemals
unwissenschaftliche Art geschildert werden, sodass der Kannibale auf
sehr treffend charakterisiert wird. In dieser Ausarbeitung haben
natürlich auch der Modus Operandi, die Opfer und die Tathergänge
ihren verdienten Platz. Denke war eine faszinierende Persönlichkeit
und die Grausamkeiten, zu denen er fähig war, stehen in
unmittelbarem Zusammenhang mit seinem zuvor beschriebenen, obskuren
Charakter. Insofern schafft Rütters es, ein rundes Bild der Person
zu erzeugen, obwohl der Fall allein schon aus historischen Gründen
wenig transparent ist. Interessant sind hierbei auch die zahlreichen,
besorgniserregenden Beobachtungen, welche die Nachbarn über die
Jahre machten, aber nie zur Anzeige brachten. Mit Sicherheit ist der
Fall Denke auf mehreren Ebenen ein Kuriosum und Rütters beleuchtet
dies gekonnt von allen Seiten.
Im Gegensatz zu einigen
prominenteren Triebtätern nahm Denke sich das Leben als seine Taten
aufgedeckt wurden und konnte somit niemals von seinen Motiven und
Taten berichten. Es liegt daher auf der Hand, dass eine vollständige
Aufarbeitung der Geschehnisse nicht möglich ist und das, was bekannt
ist, nicht abendfüllend ist. Doch gerade in dieser vermeintlichen
Not offenbart „Karl Denke – Der Kannibale von Münsterberg“
eine seiner stärksten Tugenden. Das Buch ist angereichert mit
dutzenden Textquellen aus der Zeit des Mörders, Essays und
psychiatrischen Gutachten. Die Tatsache, dass diese „Zusatztexte“
knapp zwei Drittel des Buches einnehmen, macht das Werk für den
echten Enthusiasten mehr als wertvoll.
Besonders positiv
hervorzuheben ist Lydia Beneckes Text, in dem versucht wird, ein
modernes, psychologisches Gutachten von Denke zu erstellen.
Sicherlich beruht hierbei viel auf Spekulation, doch alles andere ist
natürlich auch nicht möglich. Hierbei geht Frau Benecke mit
wissenschaftlicher Nüchternheit vor und schlussfolgert aus den
bekannten Eigenschaften des Mörders. Weiterhin äußert auch der
bekannte Kriminalbiologe Mark Benecke in einem Interview seine
Gedanken zur Thematik.
Am interessantesten
dürften jedoch mit Sicherheit die zahlreichen Textquellen sein.
Neben dem original Pamphlet, welches über den Bettler verfasst
wurde, der Denke enttarnte, befinden sich noch unter anderem mehrere
Zeitungsartikel, Gerichtstexte und Polizeiberichte in dem Band.
Hierbei wird vor allem auf das traurige Los eines Herrn Trautmann
eingegangen, der fälschlicherweise für einen von Denkes Morden zu
lebenslanger Haft verurteilt wurde. Insofern werden auch (indirekt)
die Problene der damaligen Justiz und einige politische Themen, wie
zum Beispiel der schonungslose Umgang mit Bettlern, thematisiert.
Besonders lesenswert sind die beiden Schreiben „Verbrecherdämmerung“
und „Die Köpfe von Münsterberg“, da sie als sehr
aussagekräftige und selbsterklärende Zeugnisse des damaligen
Zeitgeists angesehen werden können.
Weiterhin ist eine
Vielzahl von Bildmaterial enthalten. So gibt es zum Beispiel Fotos
von Denke selbst, seinem Haus, der Stadt, in der sich die Verbrechen
ereigneten, und vieles mehr. Auch sind einige sehr explizite Bilder
von Denkes Zahnsammlung und den Leichenteilen der ermordeten Emma
Sander, von der auch ein Obduktionsbericht abgedruckt ist, in „Karl
Denke – Der Kannibale von Münsterberg“ zu finden. Diese runden
den positiven Gesamteindruck natürlich entsprechend ab.
Fazit: “Karl Denke –
Der Kannibale von Münsterberg“ ist ein unverzichtbares Werk für
jeden, der sich für den Fall interessiert. Der Band besticht durch
seinen Tiefgang und vor allem durch die hohe Anzahl von historischen
Textquellen, welche den Leser so nah an den Fall heranlassen, wie es
kaum ein anderes Buch aus diesem Bereich tut. Keine leichte,
sofataugliche Unterhaltung für nebenbei, sondern ein
ernstzunehmender, wissenschaftlicher, kulturhistorischer Beitrag zu
einem in der deutschen Geschichte einzigartigen Serienmord, der
leider bisher nahezu unbeachtet blieb. Das Buch ist jedoch eine
Entschädigung, wie sie besser nicht hätte ausfallen können.
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