Die Geschichte des Gilles
de Rais ist eine, welche man aus mehreren Gründen erzählen kann.
Der „Blaubart“ war vieles: ein sadistischer, perverser Päderast,
ein Mitstreiter Jeanne d'Arcs, ein Verwirrter, ein untalentierter
Geisterbeschwörer und ein gescheiterter Aristokrat. Der Mythos wurde
schon mehrfach aufgegriffen, zum Beispiel in dem grandiosen Buch „La
Bas“ von Joris-Karl Huysmans oder in einigen Liedtexten der
bekannten Dark Metal Band Cradle of Filth. „Gilles de Rais“ ist
das Werk des französischen Skandalautors Georges Bataille, der auch
für Bücher wie „Die Geschichte des Auges“ und „Ma Mére“
verantwortlich ist. In dem Buch beleuchtet der Franzose genauestens
sämtliche Aspekte des Falles und des Charakters und bietet somit
eine der interessantesten und allumfassendsten Abhandlungen, welche
man in diesem Gebiet finden kann.
Das literarische Kernstück
des Buches stellt ganz klar die Analyse des Falles dar, welche
Batailles persönlich angefertigt hat. In seiner gewohnten
sprachlichen Raffinesse rollt der Autor den gesamten Komplex von
Anfang an auf und schafft durch die chronologische Anordnung der
Geschehnisse, welche er über weite Strecken beibehält, eine gewisse
Storytelling-Atmosphäre und sorgt zugleich für ein sehr hohes Maß
an Tiefgang und Detailgenauigkeit. Batailles Analyse zeigt deutlich,
dass selbst in verhältnismäßig seriösen Quellen oft nur gewisse
Themenbereiche des beachtlichen Werdegangs des Gilles de Rais
angeschnitten und andere völlig vernachlässigt werden. Diesen
Fehler vermeidet der Autor und schenkt allen Lebensabschnitten des
Blaubarts die nötige Beachtung, um ein vollständiges Bild zu
zeichnen. Sowohl sein Umfeld, als auch seine militärischen Erfolge
und sein späteres Leben, welches er der Ausschweifung und
Grausamkeit widmete, werden ausführlich vorgestellt und von mehreren
Seiten beleuchtet und somit wird das rätselhafte Wesen Gilles de
Rais' in voller Gänze vor dem Leser ausgebreitet.
Hierbei unterteilt
Bataille die Geschichte in verschiedene Gesichtspunkte, in denen er
stark deskriptiv und analytisch verfährt. So verwendet er
beispielsweise viel Zeit darauf, das familiäre Umfeld und die frühe
Jugend de Rais' zu untersuchen und diese in der Deutung seines Lebens
als Erwachsener miteinzubeziehen. Ähnlich interessant ist die Art,
in der Bataille auf die Gottesfurcht de Rais' und sein Interesse an
Teufelsbeschwörungen und Okkultismus eingeht und somit die
Widersprüchlichkeiten aufdeckt, welche ein elementarer Grundstein in
seinem Charakter sind. Bataille geht sehr subjektiv und wertend vor
(ohne die Fakten außer Acht zu lassen) und stellt Gilles de Rais
primär als geistig verwirrten Kindskopf und weniger als libertinen
Triebtäter und überzeugten Okkultisten dar. Bataille untersucht in
seiner Argumentation vor allem den Einfluss, den sein Umfeld –
allen voran Prelati – auf ihn ausübte und entmystifiziert so auf
stichhaltige und nachweisbare Art die Legende, die sich um den Täter
herum gebildet hat.
Obwohl sich Georges
Batailles Studie fernab der eindimensionaler Verteufelung oder
Lobpreisung bewegt, nehmen die Taten Gilles de Rais' einen sehr
großen Teil des Buches ein. Die Beschreibungen der sexuellen
Missbrauchsakte, Folterungen und Ermordungen, von (vornehmlich
männlichen, aber auch weiblichen) Kindern sind sehr drastisch und
für einige Leser sicherlich schwer zu verkraften. Auch wenn Bataille
keine ausschweifenden, selbstzweckhaften Ausführungen präsentiert,
machen gerade diese Abschnitte klar, wie außerordentlich grausam
Gilles de Rais vorgegangen ist und dass seine Taten nicht ohne Grund
in die Annalen der Geschichte eingegangen sind.
Georges Bataille |
„Gilles de Rais“ ist
jedoch auch als Kompendium anzusehen hat somit auch abseits von
Batailles grandiosem Schriftstück viel Interessantes zu bieten. Vor
allem die Chronographie des Geschehens, welche über 100 Seiten lang
ist und ausführlicher nicht sein könnte, und die vielen
historischen Quellen machen Batailles Werk zur ultimativen Abhandlung
über Gilles de Rais. Weiterhin sind auch zahlreiche Dokumente zum
weltlichen und geistlichen Prozess enthalten und diese
Augenzeugenbeschreibungen stellen eine enorme Bereicherung dar,
welche in diesem Ausmaß eher unüblich ist.
Fazit: „Gilles de Rais“
von Georges Batailles ist auf viele Arten faszinierend und gelungen.
Zum einen sind die Schilderungen allesamt ausführlich und historisch
korrekt, zum anderen schafft der französische Autor es, seine
eigenen Überlegungen und Deutungen auf überzeugende und
nachvollziehbare Art mit einfließen zu lassen. Weiterhin ist „Gilles
de Rais“ angereichert mit zig Quellen und Dokumenten und insofern
eine wahre Fundgrube für jene, welche so tief wie möglich in die
Materie eintauchen wollen. „Gilles de Rais“ funktioniert als
geschichtliche Abhandlung und unter literarischen Aspekten betrachtet
und ist somit jedem angeraten, der sich ernsthaft mit Gilles de Rais
beschäftigen möchte. Bataille Freunde sollten sowieso zuschlagen.
Die deutsche Übersetzung
wurde vom Merlin Verlag in einer gebundenen Ausgabe mit
Schutzumschlag herausgebracht.
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