Der schwedische
Comiczeichner Max Andersson gehört zu den bermerkenswertesten und
langlebigsten Phänomenen, die die Underground Comicszene
hervorgebracht hat. Seine stilistisch einzigartigen, absurden Comics,
welche er seit über 20 Jahren zeichnet, haben weltweit Anerkennung
erfahren, wurden schon in mehrere Sprachen übersetzt und haben
zahlreiche Preise gewonnen. Die Gesamtausgabe „Container“
beinhaltet den Großteil von Anderssons Werk und bietet somit in
seinen knapp 300 Seiten einen perfekten Überblick über das
herausragende Werk des schwedischen Kultzeichners.
Der „Container“ setzt
sich zusammen aus mehreren langen Geschichten und kurzen Strips,
welche teilweise nur eine oder zwei Seiten lang sind. Den Anfang
macht die Story „Pixy“, eine der Comics Geschichten des
Sammelbands. Hier geht es um einen Mann, der in das Reich der
Verstorbenen reist, um dort den Fötus umzubringen, den seine Frau
abgetrieben hat, weil er seine (Fast-) Mutter unentwegt nachts
anruft. In der Trilogie um den Weihnachtsmann geht es um eine sehr
gruselige, bedrohliche Neuinterpretation der allseits bekannten,
mythischen Figur, welche hier Kinder versklavt, heimsucht und
erpresst. Erwähnenswert ist auch die Geschichte über den Tod, der
seinen Job verliert und mit einer unglücklich verheirateten Frau,
die von Klonen ihres Ex-Mannes verfolgt wird, durchzubrennen
versucht, sowie die extrem makabere Geschichte über einen Jungen,
der seine Eltern begräbt und Fleischbäume auf ihrem Grab pflanzt.
Die Strips sind vor allem
aufgrund ihrer verschrobenen, liebenswerten und durchgeknallten
Charaktere allesamt extrem stark. Natürlich sind diese Figuren schon
aufgrund des doch eher bedrohlichen Untertones nicht im Bereich
„lustiger Sidekick“, wie man ihn zum Beispiel aus Disney Filmen
kennt, anzusiedeln, sondern verkörpern eher „kranke“
Eigenschaften. So sind zum Beispiel der abgetriebene Fötus Pixy und
sein Vater Alka Seltzer sozusagen die perfekte Mischung aus
verschrobener Cartoonfigur, wie sie Kinder der 90er noch aus dem
ersten und einzig wahren Nickelodeon kennen und klassischem Antiheld,
wie er aus einem Film Noir oder David Lynch Film stammen könnte.
Auch der Tod und der liebenswerte Car-Boy (und die anderen
Auto-Mensch Hybriden) sind aussagekräftige, einfallsreiche und
optisch ansprechende Figuren, welche schon alleine durch ihre
Ausgefallenheit das Interesse des Lesers ab der ersten Sekunde zu
wecken vermögen. Weiterhin sind vor allem Pistolen Johnny, ein
lebendes Gewehr, das alles und jeden tötet, mit dem es in Kontakt
kommt, die Vakuumneger (sic!), die kinderversklavenden
Weihnachtsmänner und allen voran die menschenfressenden Fleischbäume
als besonders positiv hervorzuheben. Der Autor ist hierbei sehr
pfiffig und behandelt die Figuren einerseits als die herrlich
kaputten Schöpfungen, die sie sind, aber ist dennoch bedacht darauf,
sie warm und menschlich agieren zu lassen, was für die nötige
Identifikation sorgt.
Anderssons
unkonventioneller Erzählstil unterstreicht diesen hohen
Wiedererkennungswert enorm. Die Figuren durchschreiten Szenarien und
Welten, in denen total verrückte und verwirrende Geschehnisse
allgegenwärtig sind und sich von der einen auf die andere Sekunde
wahnwitzige Plottwists auftun. Dies macht die Geschichten ungemein
rasant und spannend, denn die Geschehnisse entbehren von vornherein
jedweder Logik. Stellenweise sind die Geschichten extrem lustig,
makaber, kryptisch, metaphorisch oder geradezu verblüffend brutal
und verzweifelt. Zum Beispiel ist die Geschichte über den Car-Boy
und den Fleischbäumen, welche aus dem Grab seiner Eltern heraus
wachsen, sehr düster und fast schon im klassischen Horror
angesiedelt. Bei der langen und extrem gelungenen Story über den Tod
und seine Geliebte, spielt eher ein grotesker, überspitzter Humor
die rhetorische Hauptrolle, wohingegen bei „Pixy“ offenbar sehr
viel Wert auf eine ausgearbeitete Hintergrundgeschichte und eine
facettenreiche Symbolik mit gesellschaftskritischen Untertönen
gelegt wurde (hierzu jedoch später mehr). Doch nicht nur die langen
Stories, sondern auch die kurzen Strips sind sehr gelungen und
ideenreich. Gerade die Kürze vermag oftmals das Hauptaugenmerk auf
die jeweilige Pointe, bzw. die Idee hinter dem Strip zu lenken und
diese somit auf präzise und quasi konzentrierte Art in Szene zu
setzen.
Anderssons Steckenpferd
ist natürlich sein Zeichenstil. Im „Container“ passen Optik und
Handlung perfekt zusammen, doch gerade der erste Punkt macht seine
Kunst zu etwas wirklich Außergewöhnlichem. Seine Figuren und Welten
sind expressionistisch, krumm, morbide, kantig und die Bilder sind
überladen und voll von klitzekleinen Details, die es zu entdecken
gilt. Ein dichtes, undurchdringliches Schwarz regiert die meisten
Panels und alles ist schief und asymmetrisch. Hier und da könnte man
sich leicht an die allseits bekannte Tim Burton Ästhetik erinnert
fühlen (welche ja auch nicht gerade un-expressionistisch ist),
jedoch liegt mehr Schwere und ein omnipräsenter Hauch von dreckigem
Realismus in den jeweiligen Bildern verborgen. Auch wenn seine
Zeichnungen cartoonhaftig und hochgradig ästhetisch sind, sind sie
keineswegs auf eine „positive“, sondern auf eine bittere, durch
und durch kafkaeske Art anziehend. Doch genau hierin begründet sich
die Symbiose aus Fusion und Inhalt. Man weiß bei Andersson nie, ob
man das Gezeigte lustig, erschreckend oder schön finden soll und
gerade dieses Spannungsverhältnis kommt durch seinen Stil perfekt
zum Ausdruck.
Dieser befremdliche Ton
rührt auch daher, dass bei Anderssons Werk extrem viel unter der
rhetorischen Oberfläche brodelt. Der gebürtige Schwede verarbeitet,
wie es so viele seiner Landsleute ebenso tun, sehr persönliche und
negative Themen in seinen Comics: Einsamkeit, Anonymität in der
Großstadt, Liebeskummer, dysfunktionale Familienverhältnisse,
Sucht, Angst vor der zunehmenden Industrialisierung bzw.
Technisierung und Korruption – alles wird auf teils symbolische,
teils sehr direkte Art angesprochen. Alle Hauptcharaktere sind an
sich rationale und warmherzige Figuren, welche in einer bedrohlichen,
abstrakten und grausamen Welt nach Halt und Geborgenheit suchen (was
auf eine gewisse Art an die absolut grandiose Cartoonserie „Rockos
Modernes Leben“ erinnert). Die Gesellschaftskritik ist
allgegenwärtig und ultimativ erbarmungs- und schonungslos. Die
propagandistischen Sprüche auf den Milchverpackungen, die
Darstellung der Unterdrückung und Abschaffung des Individuums, die
Willkür der staatlichen Obrigkeit und die Konsumgeilheit einer
freudlosen Gesellschaft, all dies wird auf teilweise wahrlich geniale
Art und Weise thematisiert. So werden zum Beispiel Angestellte einer
Fleischtheke gezwungen, eigene Körperteile zu verkaufen, Häuser
werden exekutiert und die Einwohner auf die Straße gesetzt und
Sonderkommandos richten grundlos Kinder und Passanten hin. Anderssons
Gesellschaftssicht ist eine durch und durch nihilistische und kranke.
Der Schwede begeht jedoch Gott sei Dank nicht den Fehler und biedert
sich an irgendeine politische Meinung an, sondern bleibt bis zum Ende
pessimistisch.
Weiterhin hat der Künstler
höchstpersönlich einige Worte zu seinem Werk verfasst, welche im
Anhang des Bandes zu lesen sind. Einige Skizzen, farbige
Coverzeichnungen und Portraits sind ebenso enthalten und stellen
einen netten Bonus dar.
Fazit: Max Anderssons
„Container“ ist einfach nur grandios. Die Zeichnungen sind eine
reine Wonne, die Geschichten sind sprühen vor Einfallsreichtum und
das gesamte Flair ist atemberaubend. Dieser Sammelband ist ein
Pflichtkauf für jeden, der mit Underground Comics,
expressionistischem Zeichenstil und radikaler Kunst etwas anfangen
kann.
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