Die Hure H ist die
Schöpfung von Katrin de Vries und Anke Feuchtenberger, welche schon
in mehreren Comicbänden surreale Szenarien durchschritten hat (der
dritte wurde schon auf Thanatische Manifestationen vorgestellt). In
dem ersten Band, welcher schlicht und ergreifend „Die Hure H“
heißt, erlebt die namensgebende Hauptfigur drei obskure, abstrakte
Geschichten über Emotionen, Liebe und Sehnsucht. Hierbei hat sie
eine lesbische Liebschaft, besucht ein Fest in einer Art Disco und
reist zum Haus der Geburten.
Die Geschichten um die
Hure H zeichnen sich durch Symbolträchtigkeit und eine
unkonventionelle, befremdliche Herangehensweise aus. Die Handlungen,
Orte und Figuren sind dermaßen abstrakt, dass das Geschehen an sich
kaum nachvollziehbar und die Motive der Charaktere nicht logisch
begründbar sind. Doch gerade in dieser Entfremdung – von der de
Vries und Feuchtenberger absichtlich Gebrauch machen – liegt der
Reiz der „die Hure H“ Comics. Die kurzen Episoden sind voll von
Metaphern, Trauer und verfremdeten, unterschwelligen Emotionen,
welche im Zusammenspiel eine hypnotisches, drückendes Gefühl beim
Leser erzeugen. Dieses rührt vor allem daher, dass sämtliche
Aspekte des Comics die selben Wirkungsmechanismen haben. Nicht nur
die Handlungen, auch die Zeichnungen sind minimalistisch und karg.
Die Perspektiven sind eigensinnig und die Bilder werden durch harte,
asymmetrische Linien bestimmt, welche oftmals weite Teile des
jeweiligen Bildes leerstehen lassen. Diese Skizzenhaftigkeit sorgt
für eine besondere Form von Abwechselung, da die selben Gegenstände
und Charaktere oft in einem gänzlich anderen Licht erstrahlen, bzw.
eine völlig andere Form haben. So sieht die Hure H in jeder der drei
Geschichten zum Beispiel gänzlich anders aus. Die Texte wirken
durch ihren repetitiven, direkten Ton ebenso „leer“ und
minimalistisch, wie das Geschehen, das sie beschreiben.
Das Setting und die
Mittel, die Katrin de Vries und Anke Feuchtenberger hier
präsentieren, sind keineswegs simpel, sondern offenbaren ein sehr
feines Gespür für Atmosphäre und Unterschwelliges. So liegt eine
Aura von unterbewussten Ängsten, Neurosen und die Suche nach
Geborgenheit über allem, was in dem Comic passiert. Alle
Begegnungen, die die Hure H mit anderen Leuten hat – vor allem die
amourösen – enden in der selben lethargischen Einsamkeit. Eine
konstante Rastlosigkeit und ein existenziell anmutendes Streben
bestimmen die Handlungen. So läuft die Hure H über weite Strecken
mit entblößter, klaffender Scheide herum, sucht nach einem Partner
oder begibt sich weinend ins „Haus der Geburten“. Sicherlich kann
man, gerade wegen den vagen Storylines, sehr viele Grundsatzfragen
und Urängste in dem Comic erkennen, auch wenn diese schwer
auszumachen bzw. festzulegen sind. Das Geschehen ist abstrus, doch
niemals trivial. In dieser kafkaesken Welt ist das Gefühl, dass mehr
vor sich geht, als offen gesagt wird, allgegenwärtig und gerade
hierin zeigt sich, wie gut die Vision von de Vries und Feuchtenberger
funktioniert.
Fazit: Schwieriger,
autistisch anmutender und symbolischer Comic, der eine ungeheure
Wirkung entfaltet, wenn man sich auf die Stilmittel einlässt. Die
Charaktere und Handlungen bieten viel Projektionsfläche für eigene
Interpretationen und Gedanken. Optisch schafft der Comic es, durch
absonderlich wirkende Zeichnungen, interessante Perspektiven und
starke schwarz-weiß Kontraste eine hypnotischen Stimmung zu
erzeugen, die bis zur letzten Seite dicht bleibt. „Die Hure H“
ist keineswegs leicht zugänglich, dafür aber umso interessanter und
tiefsinniger.
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