Ein frisch vermähltes Ehepaar ist auf der Durchreise und entschließt
sich einige Tage in einem Hotel in Ostende zu verbringen. Dort lernt das junge
Paar die exzentrische Gräfin Bathory und ihre Bedienstete kennen. Bathory fängt
umgehend an, das Paar für sich zu vereinnahmen und erst langsam wird klar, dass
sie keine positiven Absichten hat. Als sich zu diesem bösartigen Einfluss auch
noch einige persönliche Probleme hinzugesellen, folgt die unausweichliche
Eskalation.
Die Legende von Elizabeth Báthory, welche auch liebevoll „Blutgräfin“
genannt wird, dürfte den meisten ein Begriff sein. Die ungarische Gräfin soll
zu Lebzeiten (1560 – 1614) für den Tod von sehr vielen jungen Frauen
verantwortlich gewesen sein und ihre Folter sehr ausgiebig zelebriert haben. Der
Mythos des Im-Blut-Badens ist reine Fiktion und selbst die Schuld der Dame wurde
über die Zeit in Frage gestellt, jedoch ist Bathory, ebenso wie z.B. Vlad Tepes
und zu einem geringeren Ausmaß Gilles de Rais, ein gerne verwendetes Sinnbild
für das wahrhaftig böse, welches – zumindest in Grundzügen – tatsächlich in der
Realität verhaftet ist. Der Regisseur Harry Kümel bezieht sich mit seinem 1971
entstandenen Film „Blut an den Lippen“ (OT: Les Lévres Rouge) lose auf die
Legende und vermischt Teile daraus mit einer erotischen Vampirgeschichte, in
der auch dramatische Elemente vorhanden sind. Obwohl die Produktion unter
keinem guten Stern gestanden zu haben scheint, ist „Blut an den Lippen“ ein
Kind seiner Zeit, welches sehr gut gealtert ist und einiges an Charakter mit
sich bringt.
Stefan und Valerie haben heimlich geheiratet und sind auf
dem Weg zu Stefans Eltern, welche von der Verlobung noch nichts wissen. In
Ostende entschließen sie sich, einige Tage in einem Hotel zu verbringen. Als Valerie
Stefan verdächtigt, ihre Vermählung absichtlich vor seiner (offenbar spießigen,
aristokratischen) Mutter zu verbergen, bahnen sich die ersten Streitigkeiten
an. Zeitgleich treffen die Gräfin Elizabeth Bathory und ihre Gehilfin Ilona
ein, welche sofort ein Auge auf die frisch Vermählten werfen. Als Stefan und Valerie am
darauffolgenden Tag die Stadt besichtigen, werden sie Zeuge, wie die Polizei
eine völlig blutleere, entstellte Leiche birgt. Valerie ist erschüttert zu
sehen, wie angetan Stefan vom Anblick des toten Körpers zu sein scheint. Am
Abend lernen sich das junge Paar und die Gräfin in der Lobby des Hotels etwas
besser kennen und Stefan ist sowohl von ihren Ausführungen, als auch von Bathorys
Gehilfin Ilona fasziniert. Die Saat der Zwietracht ist gesät und nachdem Stefan
Valerie nach dem Telefonat mit seinen Eltern brutal misshandelt, möchte Valerie
türmen, doch Gräfin Bathory möchte dies nicht zulassen. Die Falle schnappt zu.
Wie viele Filme aus den 70ern, wird „Blut an den Lippen“
primär durch die Charaktere getragen. Kümel entwirft ein relativ komplexes,
gewollt marodes Beziehungsdreieck, dessen Dynamik den Film ausmacht. Schon in
der ersten Szene wird klar, dass die Beziehung zwischen Stefan und Valerie
alles andere als harmonisch ist. Während Valerie sehr anhänglich und
harmoniebedürftig zu sein scheint, entpuppt sich Stefan nach und nach als
tyrannischer, gefühlskalter Mensch, der offen gewalttätige und sadistische
Neigungen hat. Die Gegenüberstellung von der schwachen weiblichen Rolle und der
grenzübertretenden, männlichen Rolle, erinnert an altbekannte Strickmuster,
wird aber durch den schleichenden Aufbau interessant gehalten. Im Mittelpunkt
steht natürlich Elizabeth Bathory, welche von Delphine Seyrig in geradezu
kongenialer Weise verkörpert wird (es wird angeraten, den Verweis auf die
englische Sprachfassung ernst zunehmen). Bathory hat ein vereinnahmendes, symathisches
Wesen und wirkt in ihrem offen zu Tage getragenen Dandyismus fast schon wie das
weibliche Pendant eines 50er Jahre Gentlemans. Trotz ihres Charmes ist es immer
klar, dass von diesem Charakter und dieser Konstellation eine enorme Bedrohung
ausgeht, was den Zuschauer in eine „was passiert als nächstes“-Gefühlslage
versetzt. Dennoch ist „Blut an den Lippen“ streng genommen viel näher an einem
Beziehungsdrama, als am klassischen Horrorfilm. Kümel schafft eine
unterbewusste Bedrohung, die so gut wie immer spürbar ist, jedoch ist es von
essentieller Wichtigkeit, dass man sich auf die Charaktere einlässt.
Eines der bestechenden Merkmale von „Blut an den Lippen“ ist
die Art, in der er Erotik präsentiert. Sexualität wird stets stilvoll und
ästhetisch inszeniert und ist von den wüsten Exploitern von Leuten wie Erwin C.
Dietrich und Jess Franco meilenweit entfernt. Die sehr attraktive Bathory wirkt
stets anzüglich und tritt offen lüstern auf. Mit ihren teuren Kleidern, ihren
vollen, roten Lippen und ihren Haaren wirkt sie wie ein Vamp, der offen seine
Verführungskünste zu Tage trägt. Im Gegensatz dazu wirkt Valerie mit ihren
kindlichen Gesichtszügen und ihren langen, strohblonden Haaren fast schon
bieder und wie die sprichwörtliche Unschuld vom Lande.
Ausgehend hiervon ist es interessant zu sehen, wie
Vampirismus in „Blut an den Lippen“ dargestellt wird. Da man traditionelle
Dracula-Elemente eher meidet, kann man sagen, dass Kümel einen triebhaften,
dominanten Vampirismus entwirft, der auf Unterwerfung beruht. Die blonde
Valerie, quasi der Stereotyp der Reinheit, wird von allen Seiten begehrt und
umgarnt. Nicht nur ihr brutaler Ehemann übt sexuelle Macht über sie aus, auch
Ilona begafft sie beim Duschen, ganz zu schweigen von den offen lesbischen
Avancen der Elizabeth Bathory. Eine der raffiniertesten Schlüsselszenen zeigt
Bathory und Stefan, wie sie auf lasziv über die Quälereien sprechen, die auf
ihrem Heimatschloss in Ungarn begangen wurden und dabei aneinander herumfahren
und orgasmisch stöhnen. Unterdrückung, Voyeurismus und Sadismus verleihen dem
Vampirismus eine realitätsnahe und subtile Note, vor allem die lesbischen
Beziehungen, die sich durch den ganzen Film ziehen und irgendwann die tragende
Rolle im Beziehungsdreieck spielen, sind sehr durchdacht und lassen teilweise Erinnerungen
an Jean Rollins Filme wach werden. Die erotische Aufladung vieler Szenen dürfte
bei einigen unter „typisch 70er“ verbucht werden, was zu gleichen Teilen wahr
und unwahr ist. Sicherlich sind viele der Schauwerte von „Blut an den Lippen“
im Kino der 70er verankert, dennoch ist er weitaus „mehr“ als ein Sexploitation
Film, denn dafür ist die Inszenierung einfach zu zielgerichtet und durchdacht.
Auch die handwerkliche Seite des Films unterstreicht die
sexuelle Komponente sehr gut. Es wird auf sehr gekonnte Weise mit grellen
Farben gespielt, so ist die Lady Bathory z.B. immer rot angezogen oder in roten
Szenarien zu bewundern, wohingegen das Paar oftmals von einem kalten blau begleitet
wird. Diese stilistisch dezente Note mystifiziert das an sich sehr
bodenständige Setting und verleiht den Bildern den nötigen Pepp. Auch die Sets und
Schauorte sind allesamt sehr schön anzusehen.
Fazit: Exzentrischer, subtiler und erotischer Film, der auf
radikal unmoderne Art einen hypersexuellen Vampirismus erschafft und vor allem
durch das grandiose Schauspiel von Seyrig getragen wird. In durchdachten
Bildern eingefangen und mit der nötigen Ruhe inszeniert, entpuppt sich „Blut an
den Lippen“ als interessant verwobenes, multidimensionales Werk, das nicht
zuletzt wegen seiner Eigensinnigkeit von Interesse ist. Mit dem nötigen
Feingefühl betrachtet, ein wirklich gehaltvolles Erlebnis.
Zur DVD: Bildstörung präsentiert „Blut an den Lippen“ auf
DVD und Blu-Ray (die Blu Ray hat ein sehr gutes Bild) mit einer sehr
informativen Bonus DVD, welche einige sehr interessante Extras zu bieten hat
und einem gewohnt hochwertigen Booklet. Der Schuber ist wie immer flatschenfrei.
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