Ein
abgebrannter Filmemacher und seine Freundin erhalten einen Film von einem
exzentrischen, filmverrückten Bekannten, den der Mann vor einiger Zeit
kennenlernte. In einem Sumpf aus Drogen, Lethargie und Sehnsucht, wird das
junge Paar Zeuge davon, wie der seltsame Bekannte immer wahnsinniger wird. Der
Mann ahnt nicht, wie sehr das Dilemma seines Bekannten sein eigenes Leben
beeinflussen wird.
Der
Spanier Ivan Zulueta ist, trotz eines
sehr schmalen künstlerischen Outputs, bei Freunden des jungen Arthouse Kinos
als hoch angesehenes Enfant Terrible bekannt. Zu seinen Lebzeiten litt er stark
unter der Zensur des Franco Regimes und war zeitweise heroinabhängig. Viele
Leute sehen seinen einzigen abendfüllenden Spielfilm "Arrebato" (zu
deutsch: Verzückung) als Manifestation seiner Obsession mit Kunst und ihrer
Vervollkommnung und zeitgleich als Exorzierung seiner persönlichen Dämonen.
"Arrebato" entpuppt sich - zumindest nach Betrachtung seines
Lebenslaufs - als erschreckend realistisches und ehrliches Selbstbild des
Künstlers, welcher gerne in einem Atemzug mit Lynch und Cronenberg genannt
wird. Vor allem der Vergleich zu Cronenbergs "Videodrome" wird
aufgrund der abstrakten Thematik häufig gezogen, von manch einem Cineasten wird
"Arrebato" sogar als Vorreiter von Cronenbergs metaphysischen
Kultfilm angesehen. Doch bei näherem Hinsehen wird klar, dass Zulueta keine
phallischen Symbole und Snuff-Themen aufgreift, sondern vielmehr den
alleszerfressenden Wahn einer leidenden Existenz kreiert. Das Ergebnis steht
wie ein Monolith über dem Schaffen des künstlerischen Allrounders Zulueta, der
im Jahre 2009 verstarb.
Für
Jose geht es bergab. Beim Filmemachen fehlt ihm der Elan, er schlägt sich mit
einem relativ gravierenden Drogenproblem herum und die Beziehung zu seiner
Freundin Ana ist geprägt von Hass und Turbulenzen. Als er eines Abends zurück
nach Hause kommt, wird ihm ein Paket in die Hand gedrückt. Darin befinden sich
ein Tonband und ein Film von Joses durchgedrehten Freund Pedro, den er bei der
Besichtigung eines potentiellen Drehortes kennengelernt hat. Pedro ist ein
geradezu besessener Hobbyfilmer, der seine gesamte Umgebung filmt und beim
Anschauen der Filme in einen Zustand absoluter Hysterie verfällt. Das Videoband
zeigt einen Pedro, der immer tiefer in einen Sog der Gewalt und des
Selbsthasses verfällt.
Schon
in den ersten Momenten wird klar, dass die Charaktere in “Arrebato” verschroben
und mysteriös sind. Jose ist ein zutiefst unglücklicher und schwieriger Mensch,
der sich in seine Drogensucht flüchtet und seiner Freundin Ana offen zeigt,
dass er sie hasst und nicht respektiert. Zwischen diesem totalem Elend und der
Verwahrlosung steht seine anfangs rätselhafte Beziehung zu Pedro. Im Gegensatz
zum groben und antisozialen Jose, lebt dieser in einer semi-autistischen
Scheinwelt, in der nur die Bilder, die er mit seiner Kamera einfängt, von
Bedeutung sind. In seinem Charakter spiegelt sich nicht nur der Drang nach
Perfektion, sondern auch die Verzweiflung und die Sinnlosigkeit, die allen im
Film zur Schau gestellten Charakteren innewohnt, wider. Innerhalb eines
unsagbar tristen Alltags, etabliert Zulueta den Film als tragendes Element. Zum
einen stellt er den einzigen Fluchtpunkt dar, zum anderen ist er aber auch
nicht mehr als ein verzerrtes Spiegelbild dessen, was die Charaktere umgibt.
Ähnlich wie sich Pedro und Jose in Yin Yang-Manier ergänzen, so vereint auch
das Motiv Film einen entstellten Eskapismus und eine triste Wirklichkeit in
sich. Interessant sind vor allem die Szenen, in denen Pedro in manische
Heulkrämpfe und ekstatische Gefühlsregungen verfällt, als er seine Filme auf
der Leinwand begutachtet. Er ist das Sinnbild für die Hybris und die
Verworrenheit des Künstlers und zeitgleich eine traurige, sozial unfähige
Gestalt. Ein weiteres Mittel, mit dem Zulueta Verzweiflung und Weltflucht
veranschaulicht, ist der konstante, fast schon sexualisierte Gebrauch von
Drogen. Diese spielen im Leben aller Beteiligten eine übergeordnete Rolle und
scheinen das einzige zu sein, was Joses und Anas Beziehung am Leben erhält.
Eine Szene zeigt sie zum Beispiel bei einem heftigen Streit, der wohl
eigentlich zum Beziehungsaus geführt hätte, wenn Jose ihr nicht eine Line
angeboten hätte. Wenig später sieht man sie, wie sie verschüttetes Kokain vom
Teppich schniefen.
Der
allgegenwärtige Wahn manifestiert sich auch visuell und handwerklich in
“Arrebato”. Der Großteil des Films wird von Pedros fanatisch bis paranoid
klingender Stimme begleitet und die Grenzen zwischen Realität und “Film im
Film” verschwimmen über die Laufzeit fast völlig. Aufgrund der langen
Rückblenden erscheint die Erzählstruktur stellenweise wirr und ungeordnet, was
aber zweifelsohne beabsichtigt ist und das Chaos, das in den Personen
stattfindet, sehr gekonnt auf den Film überträgt. Visuell sticht vor allem
Pedros letztes Video heraus, welches auch zeitgleich den Höhepunkt der
Verschmelzung von Manie und Realität darstellt. Gerade diese Szenen sind es
wohl, die einige Filmfreunde an “Videodrome” erinnern, jedoch ist der Einsatz
von entfremdeten Filmaufnahmen in “Arrebato” eher krankhaft existenzieller
Natur. Zulueta macht nicht nur das Abdriften in den Wahnsinn greif- und
fühlbar, sondern lässt die zuvor angesprochenen Grenzen der Wahrnehmung auch
für den Zuschauer verfließen. Den Charakteren ist es so wichtig, die Realität
gekonnt abzubilden, dass man vergessen kann, was denn überhaupt die Realität in
“Arrebato” ist. Die Abwechselung zwischen den hektischen, surrealen
Filmschnipseln und den zermübenden, kargen Schicksalen lässt den Film
stellenweise wie einen optisch trickreichen Alptraum wirken, ohne jedoch ins
Schwärmen zu verfallen. Die zerschundenen Charaktere und die Leere (im Kontrast
zum künstlerischen Wahn) sind immer im Mittelpunkt.
Die
Wirkung von “Arrebato” entfaltet sich langsam und hinterrücks. Der Aufbau ist –
wie man es von einem Arthouse Pionier nicht anders zu erwarten hat – fernab des
gängigen Erzählkinos und statt sich langsam ins Geschehen einzufinden, merkt
man als Zuschauer einfach schlagartig, dass man sich mitten darin befindet.
Verwirrung, Andeutung und kleine Facetten verdichten sich zu Motiven und
Analogien, von denen man erst im Nachhinein weiß, welche Funktion sie
eigentlich hatten. Sicherlich ist hier die Floskel “einmal schauen genügt
nicht” mehr als angebracht.
Fazit:
Schwerer, persönlicher und dezent abstrakter Film über Wahnsinn, Schaffen und
Tristesse. Zwischen sinnlich, surreal und karg abwechselnd, ist “Arrebato”
exzentrisches, wütendes und zynisches Manifest über das Leiden des
Kunstschaffenden, Wahnsinn und Resignation. Ein Film, der mit Feinheiten und
Nuancen arbeitet und dennoch seine harte Wirkung keineswegs verfehlt.
Zur
DVD: Es wird die Drop Out Edition von Bildstörung empfohlen, welche eine sehr
gelungene Bonus DVD enthält und im Schuber daherkommt. Es gibt auch eine
preisgünstige Single DVD Variante, jedoch ist die liebevolle Drop Out Edition
den geringen Aufpreis locker wert.
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