Samstag, 8. Februar 2014

REVIEW: ARREBATO (Ivan Zulueta, 1980)





Ein abgebrannter Filmemacher und seine Freundin erhalten einen Film von einem exzentrischen, filmverrückten Bekannten, den der Mann vor einiger Zeit kennenlernte. In einem Sumpf aus Drogen, Lethargie und Sehnsucht, wird das junge Paar Zeuge davon, wie der seltsame Bekannte immer wahnsinniger wird. Der Mann ahnt nicht, wie sehr das Dilemma seines Bekannten sein eigenes Leben beeinflussen wird.



Der Spanier Ivan Zulueta  ist, trotz eines sehr schmalen künstlerischen Outputs, bei Freunden des jungen Arthouse Kinos als hoch angesehenes Enfant Terrible bekannt. Zu seinen Lebzeiten litt er stark unter der Zensur des Franco Regimes und war zeitweise heroinabhängig. Viele Leute sehen seinen einzigen abendfüllenden Spielfilm "Arrebato" (zu deutsch: Verzückung) als Manifestation seiner Obsession mit Kunst und ihrer Vervollkommnung und zeitgleich als Exorzierung seiner persönlichen Dämonen. "Arrebato" entpuppt sich - zumindest nach Betrachtung seines Lebenslaufs - als erschreckend realistisches und ehrliches Selbstbild des Künstlers, welcher gerne in einem Atemzug mit Lynch und Cronenberg genannt wird. Vor allem der Vergleich zu Cronenbergs "Videodrome" wird aufgrund der abstrakten Thematik häufig gezogen, von manch einem Cineasten wird "Arrebato" sogar als Vorreiter von Cronenbergs metaphysischen Kultfilm angesehen. Doch bei näherem Hinsehen wird klar, dass Zulueta keine phallischen Symbole und Snuff-Themen aufgreift, sondern vielmehr den alleszerfressenden Wahn einer leidenden Existenz kreiert. Das Ergebnis steht wie ein Monolith über dem Schaffen des künstlerischen Allrounders Zulueta, der im Jahre 2009 verstarb.




Für Jose geht es bergab. Beim Filmemachen fehlt ihm der Elan, er schlägt sich mit einem relativ gravierenden Drogenproblem herum und die Beziehung zu seiner Freundin Ana ist geprägt von Hass und Turbulenzen. Als er eines Abends zurück nach Hause kommt, wird ihm ein Paket in die Hand gedrückt. Darin befinden sich ein Tonband und ein Film von Joses durchgedrehten Freund Pedro, den er bei der Besichtigung eines potentiellen Drehortes kennengelernt hat. Pedro ist ein geradezu besessener Hobbyfilmer, der seine gesamte Umgebung filmt und beim Anschauen der Filme in einen Zustand absoluter Hysterie verfällt. Das Videoband zeigt einen Pedro, der immer tiefer in einen Sog der Gewalt und des Selbsthasses verfällt. 



Schon in den ersten Momenten wird klar, dass die Charaktere in “Arrebato” verschroben und mysteriös sind. Jose ist ein zutiefst unglücklicher und schwieriger Mensch, der sich in seine Drogensucht flüchtet und seiner Freundin Ana offen zeigt, dass er sie hasst und nicht respektiert. Zwischen diesem totalem Elend und der Verwahrlosung steht seine anfangs rätselhafte Beziehung zu Pedro. Im Gegensatz zum groben und antisozialen Jose, lebt dieser in einer semi-autistischen Scheinwelt, in der nur die Bilder, die er mit seiner Kamera einfängt, von Bedeutung sind. In seinem Charakter spiegelt sich nicht nur der Drang nach Perfektion, sondern auch die Verzweiflung und die Sinnlosigkeit, die allen im Film zur Schau gestellten Charakteren innewohnt, wider. Innerhalb eines unsagbar tristen Alltags, etabliert Zulueta den Film als tragendes Element. Zum einen stellt er den einzigen Fluchtpunkt dar, zum anderen ist er aber auch nicht mehr als ein verzerrtes Spiegelbild dessen, was die Charaktere umgibt. Ähnlich wie sich Pedro und Jose in Yin Yang-Manier ergänzen, so vereint auch das Motiv Film einen entstellten Eskapismus und eine triste Wirklichkeit in sich. Interessant sind vor allem die Szenen, in denen Pedro in manische Heulkrämpfe und ekstatische Gefühlsregungen verfällt, als er seine Filme auf der Leinwand begutachtet. Er ist das Sinnbild für die Hybris und die Verworrenheit des Künstlers und zeitgleich eine traurige, sozial unfähige Gestalt. Ein weiteres Mittel, mit dem Zulueta Verzweiflung und Weltflucht veranschaulicht, ist der konstante, fast schon sexualisierte Gebrauch von Drogen. Diese spielen im Leben aller Beteiligten eine übergeordnete Rolle und scheinen das einzige zu sein, was Joses und Anas Beziehung am Leben erhält. Eine Szene zeigt sie zum Beispiel bei einem heftigen Streit, der wohl eigentlich zum Beziehungsaus geführt hätte, wenn Jose ihr nicht eine Line angeboten hätte. Wenig später sieht man sie, wie sie verschüttetes Kokain vom Teppich schniefen.



Der allgegenwärtige Wahn manifestiert sich auch visuell und handwerklich in “Arrebato”. Der Großteil des Films wird von Pedros fanatisch bis paranoid klingender Stimme begleitet und die Grenzen zwischen Realität und “Film im Film” verschwimmen über die Laufzeit fast völlig. Aufgrund der langen Rückblenden erscheint die Erzählstruktur stellenweise wirr und ungeordnet, was aber zweifelsohne beabsichtigt ist und das Chaos, das in den Personen stattfindet, sehr gekonnt auf den Film überträgt. Visuell sticht vor allem Pedros letztes Video heraus, welches auch zeitgleich den Höhepunkt der Verschmelzung von Manie und Realität darstellt. Gerade diese Szenen sind es wohl, die einige Filmfreunde an “Videodrome” erinnern, jedoch ist der Einsatz von entfremdeten Filmaufnahmen in “Arrebato” eher krankhaft existenzieller Natur. Zulueta macht nicht nur das Abdriften in den Wahnsinn greif- und fühlbar, sondern lässt die zuvor angesprochenen Grenzen der Wahrnehmung auch für den Zuschauer verfließen. Den Charakteren ist es so wichtig, die Realität gekonnt abzubilden, dass man vergessen kann, was denn überhaupt die Realität in “Arrebato” ist. Die Abwechselung zwischen den hektischen, surrealen Filmschnipseln und den zermübenden, kargen Schicksalen lässt den Film stellenweise wie einen optisch trickreichen Alptraum wirken, ohne jedoch ins Schwärmen zu verfallen. Die zerschundenen Charaktere und die Leere (im Kontrast zum künstlerischen Wahn) sind immer im Mittelpunkt.



Die Wirkung von “Arrebato” entfaltet sich langsam und hinterrücks. Der Aufbau ist – wie man es von einem Arthouse Pionier nicht anders zu erwarten hat – fernab des gängigen Erzählkinos und statt sich langsam ins Geschehen einzufinden, merkt man als Zuschauer einfach schlagartig, dass man sich mitten darin befindet. Verwirrung, Andeutung und kleine Facetten verdichten sich zu Motiven und Analogien, von denen man erst im Nachhinein weiß, welche Funktion sie eigentlich hatten. Sicherlich ist hier die Floskel “einmal schauen genügt nicht” mehr als angebracht.

Fazit: Schwerer, persönlicher und dezent abstrakter Film über Wahnsinn, Schaffen und Tristesse. Zwischen sinnlich, surreal und karg abwechselnd, ist “Arrebato” exzentrisches, wütendes und zynisches Manifest über das Leiden des Kunstschaffenden, Wahnsinn und Resignation. Ein Film, der mit Feinheiten und Nuancen arbeitet und dennoch seine harte Wirkung keineswegs verfehlt.

Zur DVD: Es wird die Drop Out Edition von Bildstörung empfohlen, welche eine sehr gelungene Bonus DVD enthält und im Schuber daherkommt. Es gibt auch eine preisgünstige Single DVD Variante, jedoch ist die liebevolle Drop Out Edition den geringen Aufpreis locker wert.

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