Sonntag, 22. Dezember 2013

REVIEW: WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN (Lynne Ramsay, 2011)






Kevin war schon immer ein Problemkind. Er war schwererziehbar, hasste seine Mutter und wurde immer aggressiver und bösartiger, je älter er wurde. Doch zu was Kevin wirklich fähig ist, hätte sich auch seine Mutter nie im Leben träumen lassen. Der Tag, an dem das Unausweichliche passiert, verändert ihr aller Leben von Grund auf.


                                                                                                                           
Der Film „We Need to Talk about Kevin“ aus dem Jahre 2011 ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers der Autorin Lionel Shriver, welcher sich über eine Million mal verkaufte. Regisseurin Lynne Ramsay inszeniert die bedrückende Geschichte einer Mutter, die versucht mit einer quasi unerträglichen Schuld zu leben und ihrem Sohn, dessen Werdegang nach und nach immer extremer wird, als episodisch angelegtes Charakterdrama, welches eine nahezu unerträgliche Härte aufweist.




Die Haupthandlung von „We Need to Talk about Kevin“ spielt nach der Katastrophe des Films, welche zwar häufig angedeutet, aber nie genannt wird. Parallel dazu werden in Rückblicken einzelne Episoden aus Kevins Leben vorgestellt, von seiner Kindheit an bis zu dem Tag, an dem das passiert, auf was die Geschichte des Films hinarbeitet.  Es ist von Anfang an klar, dass Kevin eine Boshaftigkeit innewohnt, welche rein gar nichts mit den Harlekiniaden eines Bart Simpsons gemeinsam hat. So verunstaltet er absichtlich das Zimmer, das seine Mutter kurz zuvor liebevoll eingerichtet hat, macht sich absichtlich in die Hosen und tut generell sein Bestes, alle Annäherungsversuche seiner Mutter zu unterdrücken. Weiterhin ist er, wie die meisten Psychopathen, in der Lage dazu sich zu verstellen, was den ganzen Film hindurch zu Missverständnissen führt. Da er seinen leichtgläubigen Vater und seine gutmütige Schwester mit seiner geheuchelten Nettigkeit hinter Licht führt, ist seine Mutter die einzige, die den wahren Charakter ihres Sohnes durchschaut. Insofern ergibt es Sinn, dass „We need to talk about Kevin“ um den Charakter der Mutter herum aufgebaut ist. Sie ist die Identifikationsfigur und ihre Selbstzweifel, ihre Angst und ihre Muttergefühle, die immer im Clinch mit der Realität stehen, machen den Hauptteil des Filmes aus.



Hierbei spielt vor allem Schuld und der Umgang mit ihr eine sehr große Rolle. Kevins Mutter wird täglich mit dem konfrontiert, was ihr Sohn angerichtet hat: Betroffene schlagen sie auf offener Straße und Arbeitskollegen sehen in ihr die schnelle Nummer, da sie eh keine Auswahl mehr habe. Die Existenz von Kevins Mutter kann auf das reduziert werden, was ihr Sohn angerichtet hat. Insofern könnte man sagen, dass die Schuld nicht nur der treibende Aspekt der Grundhandlung ist, sondern auch die Schuldfrage im Vordergrund steht. Inwiefern ist sie für das, was geschehen ist verantwortlich zu machen? Wie viel kann bzw. darf eine Mutter verzeihen? „We need to talk about Kevin“ konfrontiert einen auf eine gewollt zähe, bleischwere Art mit den Auswirkungen dessen, was Kevin verbrochen hat und führt uns durch die Augen der Mutter das daraus entstandene Leid vor Augen. Durch die hohe Identifikation mit der Mutter ist es schwierig zu sagen, wie man ihre Rolle einordnen soll. Hierbei verstärkt der fragmentarische Handlungsaufbau, der vieles verschleiert und den Zuschauer dazu zwingt, seine Meinung immer wieder neu zu revidieren und die Wertungen ständig neu zu gewichten. 



Gewalt spielt eine tragende Rolle in „We need to talk about Kevin“. Die sadistische Ader Kevins ist in den Rückblenden allgegenwärtig und seine Taten sind so niederträchtig und boshaft, dass es schwer fallen kann, auch nur einen Ansatz von Sympathie für ihn zu empfinden. Interessant ist jedoch, dass man ihn (bis zum Ende des Films) nie sieht, wie er diese Taten ausübt und alles theoretisch auch ein Hirngespinst seiner Mutter sein könnte (etwas, das bis zum Ende hin angedeutet wird). Kevin ist offenbar ein extrem intelligenter, berechnender Mensch, dessen Neigungen nie erklärt werden. Die Verwüstung des Zimmers und das absichtliche in die Hose machen können noch als üble Streiche angesehen werden, wohingegen der Vorfall, der seine Schwester ein Auge kostet und die Ermordung eines ihrer Haustiere schon auf eine absolute Verderbtheit hinweisen. Klar ist jedoch, dass der Spaß an Gewalt bzw. die radikale Ablehnung alles Positiven und menschlicher Nähe der Grundstein von Kevins Handeln sind und das wahre Ausmaß seiner Boshaftigkeit nur seiner Mutter klar zu sein scheint. Nicht zuletzt ist der Film auch ein tragisches Beispiel dafür, wie sehr ein Mensch andere Menschen schädigen kann – die Struktur gibt dem Geschehen eine nahezu postapokalyptische Note. Im Gegensatz zum konsumierbaren, amerikanischen Drama ist das Elend, für das Kevin verantwortlich ist, so greifbar, bodenständig und omnipräsent, dass „We need to Talk about Kevin“ die Bezeichnung „schwere Kost“ (im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, denen dieser Begriff aufgedrückt wird) wirklich verdient. Obwohl (oder gerade weil) Ramsay sich im Zeigen von graphischer Gewalt – dankenswerterweise – zurückhält.

Fazit: „We need to talk about Kevin“ ist ein niederschmetternder, durchdachter und menschlicher Film, der eine Tragödie auf bestialisch realistische Weise greifbar macht und menschliche Existenzen darum konstruiert. Das Ergebnis ist intensiv, mitreißend und schwierig. Ein Film, den man sich definitiv zu Gemüte führen sollte, denn „We need to talk about Kevin“ gilt als einer der besten, jüngeren Beiträge im Bereich Drama – und das vollkommen zurecht.



Zur DVD: KINO KONTROVERS präsentiert den Film in einem sehr schicken Mediabook, welches einen sehr interessanten Text bietet und auf den gängigen Seiten sehr günstig angeboten wird. Die FSK 16 Version ist unzensiert.

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