Dienstag, 27. August 2013

REVIEW: MIDORI - DAS KAMELIENMÄDCHEN (OT: "Midori - Shôjo Tsubaki" 1992, Hiroshi Harada)











Nach dem Tod ihrer Mutter findet das verwaiste Mädchen Midori Unterschlupf bei einer Horde missgestalteter Zirkusfreaks. Ihr Alltag im Zirkus ist die reinste Hölle: das verlassene Mädchen muss niedere Arbeiten verrichten, wird von den entstellten Freaks gedemütigt, geschlagen und sexuell missbraucht. Als sich ein kleinwüchsiger Zauberer zu der Gruppe gesellt und sich in die junge Midori verliebt, ändern sich die Umstände. Doch ist es Midori dennoch nicht vergönnt endlich Glück zu finden.

„Midori – Das Kamelienmädchen“ oder auch „Midori – Shôjo Tsubaki (Originaltitel) ist eine Adaption des Mangas „Mr. Arashi's Amazing Freak Show“ aus der Feder des langlebigen Manga Autoren Suehiro Maruo. Maruo,der sich weiterhin für Werke wie „The laughing Vampire“ oder „Ultra-Gash Inferno“ (beide in Deutschland erschienen) verantwortlich zeichnet, wird der Stilrichtung „Ero-Guro“ zugeordnet. Diese zeigt auf eindringliche Weise Dekadenz, erotisch aufgeladenen Bildkomposositionen bis hin zu purer Pornographie, Gewalt und Surrealismus. Auch Maruo verkörpert diesen Geist vollends: seine Mangas sind blutig, teilweise nahezu pervers und surreal bis expressionistisch in ihrer Gestaltung. Gerade Letzteres zeichnet Maruos Werke aus und unterscheidet sie vom Gros der stumpfen Hentai Mangas. Auch „Mr. Arashi's Amazing Freak Show“ verkörpert diese Tugenden und wird von vielen Verehrern sogar als beste Arbeit innerhalb Maruos ausfallfreien Schaffens betrachtet. Und ja, alle Stilmittel wurden hier perfekt eingesetzt und harmonieren wunderbar miteinander. Da verwundert es nicht, dass Hiroshi Harada den Manga als Film realisiert hat. Quasi im Alleingang und in mühevoller Kleinarbeit schuf er den Film zu „Mr Arashi's Amazing Freak Show“, um den es heute geht. Eines kann ich vorwegnehmen: der Film ist sehr speziell und hat, Gerüchten zufolge, selbst im relativ freizügigen Japan Probleme mit der Zensur gehabt. Doch ist er auch eine würdige Adaption?


Die Geschichte der jungen Midori ist eine sehr grausame. Sie ist ein tugendhaftes, armes Mädchen, das Blumen verkaufen muss, um Geld für einen Schulausflug zusammen zu bekommen. Als sie nach Hause kommt, sieht sie, dass Ratten an ihrer toten Mutter nagen. Wenig später setzt schon ihr Leiden unter den Zirkusfreaks ein. Es ist von vornherein klar, dass Midori eine tragische Heldin ist, deren Leidensweg den gesamten Film über anhalten wird. In Aschenputtel Manier wird sie von den grausamen Sideshow Attraktionen misshandelt, ausgebeutet und sexuell belästigt. Die Freaks sind das genaue Gegenteil von dem gutherzigen, hübschen Mädchen. Allesamt sind sie kaltherzig, sadistisch und pervers. Maruo hat sich offenbar sehr viel Mühe gegeben, diese Kreaturen zu designen. Sowohl die Schlangenfrau, als auch der „Wurm“, der Verkrümmte und der Amputierte sind sehr interessant und widerlich gestaltet. Der Kontrast könnte nicht deutlicher sein: In einer Szene muss Midori den Wurm und den Verkrümmten waschen und ihr Ekel überträgt sich unmittelbar auf den Zuschauer.

Midori wird mannigfach ausgezogen, ausgepeitscht, getreten und geschlagen. Das Bild des peitschenschwingenden Zirkusdirektors ist ein perfektes Beispiel für die Art, in der Gewalt und Unterwürfigkeit in diesem Werk dargestellt werden. Das Prinzip der unterworfenen, gutherzigen Heldin ist ein sehr altes (vgl. „Justine“), erstrahlt aber in diesem Gewand in neuem Glanz. Ausschlaggebend ist nicht nur faschistoid anmutende Symbolik, die in einigen Missbrauchsszenen mitschwingt, sondern auch das Hin und Her zwischen abstoßenden, ekelerregenden Szenen und hochgradig ästhetischen. Gerade die Verbindung zwischen Sex und Gewalt spielt eine zentrale Rolle in der Wirkung des Films. Der Geschlechtsakt zwischen dem Amputierten, dem Muskelmann und der Schlangenfrau, das Ablecken von Augäpfeln beim Geschlechtsverkehr oder die Vergewaltigung Midoris durch den amputierten Bösewicht, alles ist auf der einen Seite grausam und unmenschlich, auf der anderen Seite aber doch wunderschön. Die reinen Gewaltszenen, zB die Abschlachtung einiger Welpen oder das Ersticken eines Opfers mit Dreck, sind dennoch sehr direkt und hart.

Die Optik von „Midori“ orientiert sich stark am Expressionismus der 1920er. Der Zirkus, sowie einige Einstellungen und Landschaften erinnern sehr stark an „Das Kabinett des Dr. Caligari“, die Zirkusartisten wecken Erinnerungen an Todd Brownings "Freaks". Obwohl sich ein Hauch des Makaberen durch den gesamten Film zieht, gibt es, vor allem im zweiten und dritten Gesang, viele Szenen, die wunderschön anzusehen sind. Die Liaison zwischen unserer Heldin und dem Zwerg wird in malerischen, geradezu fantasy-artigen Bildern erzählt. Midori und der Zauberer laufen in romantischen Szenen durch mondbeleuchtete Gassen und Winterstürme, im Hintergrund ertönt ruhige Musik. In einer weiteren Szene läuft Midori durch einen Vorhang in schwarz weiß flimmernde Bilder aus ihrer Vergangenheit hinein. Auch ohne Sex und Gewalt hat der Film unverkennbare Vorzüge. Dennoch ist ein krankhaftes Gefühl allgegenwärtig und Schönheit und Hässlichkeit vermischen sich zu einem eindrucksvollen Kunstwerk, welches gleichzeitig verzaubert und abstößt In einigen Passagen entfaltet sich die Wirkung dieser Ambivalenz ins Unendliche. Eine der eindrucksvollsten Szenen zeigt den Zwerg, wie er mittels Magie einen Saal voller Zuschauer defomiert. Gesichter spalten sich entzwei und Gliedmaßen werden ausgerissen. Es gibt nur ein Wort um diesen Vorgang zu beschreiben: phänomenal.





Stilistisch gesehen, gibt es einige Merkmale, die den Film auszeichnen. Er erzählt häufig nur in stillstehenden Bildern, in denen sich nur die Münder der Charaktere bewegen. Das bedeutet, dass die Animation nicht die beste ist, allerdings kommen Maruos perfekt konstruierte Bilder so voll zur Geltung. Auch werden viele Szenen in komplett verzerrter Form dargestellt: die Vergewaltigung zeigt Midoris angstverzerrtes Gesicht, begraben unter den flatternden Bandagen des amputierten Freaks, in einer rotgetünchten Stillaufnahme. Anfangs werden uns in stakkatoartigem Schnitt Eindrücke der Zirkusfreaks vermittelt. In diesen Momenten blüht die expressionistisch/surreale Ader des Films komplett auf und man bekommt das Gefühl, dass man statt eines Animes ein marginal animiertes Kunstwerk vor Augen hat. Aus Sicht eines Animefans wäre dies wohl ein Makel, allerdings wird der Film auf diese Art der Vorlage besser gerecht. Im Gegensatz zur überspitzten, intensiven Darstellungsweise, werden Erinnerungen an glückliche Zeiten in weichen, kindlichen Bildern dargestellt. Auch hier harmonieren die beiden Gegenpole auf wunderschöne Art.




 Fazit: „Midori“ ist ein sehr spezieller Film. Abwechselungsreich, stilistisch geradezu grandios und teilweise sehr grausam, stellt er eine vergessene Perle dar. „Midori“ bewegt sich fernab des klassischen Animes und ist jedem Freund von abseitiger Kunst zu empfehlen. Suehiro Maruos Vorlage wurde detailgetreu und liebevoll umgesetzt. Ob man den Manga dem Anime vorziehen sollte, liegt im Auge des Betrachters. Beide sind jedoch uneingeschränkt empfehlenswert!

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