

Die Geschichte der jungen Midori ist
eine sehr grausame. Sie ist ein tugendhaftes, armes Mädchen, das
Blumen verkaufen muss, um Geld für einen Schulausflug zusammen zu
bekommen. Als sie nach Hause kommt, sieht sie, dass Ratten an ihrer
toten Mutter nagen. Wenig später setzt schon ihr Leiden unter den
Zirkusfreaks ein. Es ist von vornherein klar, dass Midori eine
tragische Heldin ist, deren Leidensweg den gesamten Film über
anhalten wird. In Aschenputtel Manier wird sie von den grausamen
Sideshow Attraktionen misshandelt, ausgebeutet und sexuell belästigt.
Die Freaks sind das genaue Gegenteil von dem gutherzigen, hübschen
Mädchen. Allesamt sind sie kaltherzig, sadistisch und pervers. Maruo
hat sich offenbar sehr viel Mühe gegeben, diese Kreaturen zu
designen. Sowohl die Schlangenfrau, als auch der „Wurm“, der
Verkrümmte und der Amputierte sind sehr interessant und widerlich
gestaltet. Der Kontrast könnte nicht deutlicher sein: In einer Szene
muss Midori den Wurm und den Verkrümmten waschen und ihr Ekel
überträgt sich unmittelbar auf den Zuschauer.
Midori wird mannigfach
ausgezogen, ausgepeitscht, getreten und geschlagen. Das Bild des
peitschenschwingenden Zirkusdirektors ist ein perfektes Beispiel für
die Art, in der Gewalt und Unterwürfigkeit in diesem Werk
dargestellt werden. Das Prinzip der unterworfenen, gutherzigen Heldin
ist ein sehr altes (vgl. „Justine“), erstrahlt aber in diesem
Gewand in neuem Glanz. Ausschlaggebend ist nicht nur faschistoid
anmutende Symbolik, die in einigen Missbrauchsszenen mitschwingt,
sondern auch das Hin und Her zwischen abstoßenden, ekelerregenden
Szenen und hochgradig ästhetischen. Gerade die Verbindung zwischen
Sex und Gewalt spielt eine zentrale Rolle in der Wirkung des Films.
Der Geschlechtsakt zwischen dem Amputierten, dem Muskelmann und der
Schlangenfrau, das Ablecken von Augäpfeln beim Geschlechtsverkehr
oder die Vergewaltigung Midoris durch den amputierten Bösewicht,
alles ist auf der einen Seite grausam und unmenschlich, auf der
anderen Seite aber doch wunderschön. Die reinen Gewaltszenen, zB
die Abschlachtung einiger Welpen oder das Ersticken eines Opfers mit
Dreck, sind dennoch sehr direkt und hart.

Stilistisch gesehen, gibt es einige
Merkmale, die den Film auszeichnen. Er erzählt häufig nur in
stillstehenden Bildern, in denen sich nur die Münder der Charaktere
bewegen. Das bedeutet, dass die Animation nicht die beste ist,
allerdings kommen Maruos perfekt konstruierte Bilder so voll zur
Geltung. Auch werden viele Szenen in komplett verzerrter Form
dargestellt: die Vergewaltigung zeigt Midoris angstverzerrtes
Gesicht, begraben unter den flatternden Bandagen des amputierten
Freaks, in einer rotgetünchten Stillaufnahme. Anfangs werden uns in stakkatoartigem Schnitt Eindrücke
der Zirkusfreaks vermittelt. In diesen Momenten blüht die
expressionistisch/surreale Ader des Films komplett auf und man
bekommt das Gefühl, dass man statt eines Animes ein marginal
animiertes Kunstwerk vor Augen hat. Aus Sicht eines Animefans wäre
dies wohl ein Makel, allerdings wird der Film auf diese Art der
Vorlage besser gerecht.
Im Gegensatz zur überspitzten, intensiven Darstellungsweise, werden Erinnerungen an
glückliche Zeiten in weichen, kindlichen Bildern
dargestellt. Auch hier harmonieren die beiden Gegenpole auf wunderschöne Art.
Fazit: „Midori“ ist ein sehr
spezieller Film. Abwechselungsreich, stilistisch geradezu grandios
und teilweise sehr grausam, stellt er eine vergessene Perle dar.
„Midori“ bewegt sich fernab des klassischen Animes und ist jedem
Freund von abseitiger Kunst zu empfehlen. Suehiro Maruos Vorlage
wurde detailgetreu und liebevoll umgesetzt. Ob man den Manga dem
Anime vorziehen sollte, liegt im Auge des Betrachters. Beide sind
jedoch uneingeschränkt empfehlenswert!
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