Freitag, 30. August 2013

REVIEW: ALBERT FISH (John Borowski, 2006)





Albert Fish ist nicht nur einer der bekanntesten Mörder und Triebtäter, sondern fast schon eine düstere Legende. Der hagere alte Mann, der äußerlich voll und ganz dem Klischee des freundlichen Opas entsprach, dem man zu jeder Zeit liebend gerne sein Kind anvertraut hätte, wütete Jahrzehnte lang in diversen Städten Amerikas, und lebte dort in fast ungehinderter Weise seine perversen Triebe aus. Nicht nur hatte er ausgeprägte pädosexuelle Vorlieben, er besaß auch eine starke Affinität zu Mord, Sadismus, Masochismus und Kannibalismus. Seine Missetaten waren so grauenhaft und ekelerregend, dass man es mit Worten kaum beschreiben kann...






Was klingt wie die Handlung eines Shockfilms, ist grausame Realität. Albert Fish ist keine erfundene  Figur aus einem Exploitation oder Splatterfilm, ihn hat es wirklich gegeben. Im Grunde genommen handelt es sich bei dieser Verfilmung um eine Mischung aus einer True Crime Dokumentation, vergleichbar mit zB von Spiegel TV, Autopsie, oder A&E Biography und einigen nachgestellten Szenen, die das zerschundene Innenleben des "Helden" greifbar machen sollen. Der Film arbeitet mit den gängigen Tricks, um dem Geschehen Atmosphäre und Leben einzuhauchen: langsam sprechende Erzähler, düstere klassische Hintergrundmusik und dazu Originalbilder der Schauplätze etc. Es wurde anscheinend sehr viel Arbeit in die gute Recherche investiert und so wird man mit interessanten und gründlichen Infos rund um den Mörder versorgt, die man in dieser Form bisher noch nicht gesehen hat, oder zumindest in diesem Format.



Fish's Ausschweifungen werden bis ins kleinste Detail beschrieben. Sein gesamter Lebensweg wird erzählt, von seiner Kindheit bis hin zu seiner Hinrichtung. Doch nicht nur der Täter, auch die Opfer, ihre Entführung, ihr Leidensweg und ihr jehes Ende werden in langen Passagen vorgestellt und erörtert. Das Hauptaugenmerk liegt ganz klar auf letzterem. Dies wirkt auf den ersten Blick wie eine klassische Ausschlachtung, ist es sicherlich irgendwo auch, dennoch ist hier wohl nicht alles so übertrieben, wie man meinen könnte, denn seine Taten waren wirklich nahezu unbeschreiblich. Fish hat sich an sexuell an Kindern vergangen, sie umgebracht und dann tagelang von ihrem Fleisch gegessen. Abends masturbierte, während er an den Verzehr dachte. Er schrieb den Eltern seiner Opfer Briefe, in denen er diese Taten haarklein beschrieb, denn er hatte einen hohen Mitteilungsdrang und genoss es, wenn sich andere Menschen vor ihm ekelten. Fish war nicht nur ein sadistischer Päderast und Mörder, sondern auch Masochist. Er gab sich religiös motivierter Flagellation hin, fand Gefallen an Schmerzen, die andere ihm zufügten und schob sich kurz vor seiner Hinrichtung Nägel in die Genitalien und ins Gesäß.  Seine sexuellen Missetaten und Morde werden natürlich NICHT nachgestellt, aber schon allein ihre Beschreibung erweckt beklemmende Gefühle. Hinzu kommt, dass der Film auf handwerklicher Ebene sehr flüssig und gut in Szene gesetzt ist. Dies verstärkt die Wirkung natürlich um ein Vielfaches. Jedoch wird das Unbehagen zum Großteil von Fish selbst und seinen echten Taten ausgelöst, daran besteht kein Zweifel. Durch den realen Hintergrund kann man natürlich von einem sehr hohen Härtegrad sprechen, gesetzt den Fall, man möchte in solchen Dimensionen denken.





Der Dokuspielfilm erzählt die Geschichte des perversen, alten Mörders, ohne viel Kitsch und Schnörkeleien. Er ist handwerklich sauber, hat ein geradliniges Anliegen und brauch sich vor hochkarätigen Filmproduktionen nicht zu verstecken. Die Verwendung von selbstgedrehten Szenen ist ein netter Einfall und rundet den Film gut ab. "Albert Fish" entspricht über weite Strecken dem typisch amerikanischen Doku-Stil, der natürlich reißerisch und primär auf Thrills ausgelegt ist, aber gerade daher rührt der Großteil des Unterhaltungswertes. Obwohl vielen die nüchterne Art der englischen Dokus lieber ist, entfaltet "Albert Fish" gerade hier seine wahren Fähigkeiten und unterhält über lange Strecken wirklich sehr gut. Des Weiteren werden im Off mehrere Originalzitate aus seinem Verhör nachgesprochen. Hierbei wird ihm, sowie seinem Verhörer eine eigene Stimme zugewiesen. Im Zusammenspiel mit den Infos und dem Bildmaterial ist dies sehr wirkungsvoll. Die nachgestellten Szenen sind nicht vordergründig in den “Handlungsstrang“ eingebunden, funktionieren aber als Beigabe sehr gut. Vor allem die Szenen, die im Zusammenhang mit seinem religiösen Fanatismus stehen, sind sehr gut gemacht und zeigen ihn, wie er sich selbst vor einem Jesusbild auspeitscht. Teilweise sind diese Elemente befremdlich bis abstrakt, bieten aber gerade deshalb einen guten Gegenpol zur Haupthandlung. Dokumentarischen Wert kann man ihnen nicht attestieren, aber dieser Aspekt wird ja durch den Erzähler, die interviewten "Spezialisten" und die eingeblendeten Fotos reichlich abgedeckt. Insofern eine begrüßenswerte Entscheidung der Filmemacher, welche wohl auch viel mit der angepeilten Vermarktung zu tun hat. "Albert Fish" ist nämlich ganz klar mehr Doku als Film und eine reine Doku lässt sich natürlich viel schwieriger als "Sicko" vermarkten.





Apropos Spezialisten: zu unseren "Begleitern" zählt der grandiose Joe Coleman, dessen Werk an dieser Stelle nur noch einmal eindringlichst empfohlen werden kann. 





Fazit: Unterhaltsame Doku, die sich halb als Film versteht und mit einigen netten Stilmitteln Punkte sammeln kann. Handwerklich sehr solide, im Kern gradlinig und informativ, wenn auch stellenweise etwas aufgesetzt. Letzteres steht dem Film aber gar nicht schlecht. Wer sich für den Fall bzw. die Person Albert Fish und/oder True Crime generell interessiert, kann hier gerne mal einen Blick riskieren. 


7/10 Punkte

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