Beim Gedanken an
Serienmorde und Gewaltverbrechen denkt die Mehrheit der Leute wohl
automatisch das Bild eines männlichen Täters im Kopf. Zum einen ist
die Gewalt als solche traditionell eher männlich konnotiert - das
Triebverbrechen sowieso – und zum anderen weil die (oftmals medial
ausgeschlachteten) Berichterstattungen um Jack the Ripper, Ted Bundy,
Peter Sutcliffe und vergleichbare Täter offenbar die Rollen in den
Köpfen der Öffentlichkeit klar aufgeteilt haben: der Mann ist der
prototypische, triebgesteuerte Aggressor, die Frau das Opfer.
Natürlich ist der (Serien-)mord eine Männderdomäne, gar keine
Frage, doch dass dieses Schema gerade in unserer heutigen Zeit
antiquiert, wenn nicht sogar grob falsch ist, erweist sich bei
näherem Hinsehen als unumstößliche Tatsache. Die Blutgräfin
Elizabeth Bathory ist hierfür ein gutes Beispiel, ebenso die
Serienmörderin Aileen Wuornos, deren Geschichte in „Monster“
verfilmt wurde und die zahlreichen Fälle von Baby- und Kindsmord,
welche in der jüngeren Vergangenheit durch ihre eigenen Mütter
begangen wurden. Dass sich der weibliche Mord jedoch nicht auf bloß
die Moderne (oder die Annalen der Vergangenheit) beschränkt, beweist
Buch „Thüringer Mörderinnen – Frauenschicksale zwischen Liebe
und Schafott“. Dieses wurde von Frank Esche und Wolfgang Krüger
verfasst und stellt uns 21 verschiedene Fälle vor, welche sich
zwischen dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert zugetragen haben.
Wie es die Thematik
gebiert, spielen viele klassischen „weiblichen“ Themen in den
dargestellten Taten eine sehr große Rolle. Viele der Mörderinnen
ermorden ihre Ehemänner um mit ihren Geliebten zusammen sein zu
können, manche handelten aus reiner Not heraus und wiederum andere
aus Habgier oder anderen niederen Interessen. Doch nicht nur die
Beweggründe, auch die Tathergänge unterscheiden sich teilweise
drastisch von den männlichen „Kollegen“. Wie schon in den
thüringischen und preußischen Kriminalchroniken des selben
Verlages, spielt der Giftmord eine entscheidende Rolle, jedoch
agieren nicht alle Mörderinnen aus dem Hinterhalt oder machen sich
Intrigen zu nutze. Wie es bei solchen Kompendien die Regel ist (bzw.
sein sollte), birgt jeder Abschnitt seine eigenen Vorgänge mit
eigenen Individuen und eigenen Hintergrundgeschichten, auch wenn die
Überschneidungen sicherlich einiges an Aussagekraft besitzen.
Schließlich ist das gewählte Thema ein sehr spezifisches.
Wie man es von derartigen
Werken aus dem Hause Kirchschlager gewohnt ist, ist der Erzählstil
trotz aller Sachlichkeit sehr farbenfroh und vermag Spannung beim
Leser zu erzeugen. Esche und Krüger ist es mit „Thüringer
Mörderinnen – Frauenschicksale zwischen Liebe und Schafott“
definitiv gelungen, die jeweiligen Episoden gekonnt zum Leben zu
erwecken, sodass der Lesegenuss durchgehend erhalten bleibt, vor
allem da sich die Autoren sichtlich darum bemüht haben, die
jeweiligen Ausgangssituationen und Umstände bildlich und
nachvollziehbar zu schildern. Zwar ist dies, wie man auch den
bisherigen Reviews auf THANATISCHE MANIFESTATIONEN entnehmen kann,
beim Verlag eigentlich durchgehend der Fall, doch bei „Thüringer
Mörderinnen“ ist dies besonders stark ausgeprägt - vielleicht
auch, weil die Geschichten in diesem Band durchgehend interessant und
oftmals vielschichtig sind.
In höchstem Maße
erwähnenswert unter anderem Fälle wie „Melitta Möller – Die
Schwiegermutter im Hofbrunnen“, „Mathilde Enders und Günther
Kühnas – Strychnin für die Liebe“ und „Amandus Loth, Marie
Peter, Henriette Zorn – Der Obersynderstedter Schwiegersohnmord“,
welche sich allesamt in gewisser Weise um die zugrundeliegenden
Familienstrukturen drehen. Gerade letztere liest sich wie eine
geradezu filmreife Geschichte über ein von Intrigen durchzogenes
Beziehungsdreieck und entwirft ein verachtenswertes und boshaftes
Bild von den Mörderinnen, ebenso wie es das Kapitel über Mathilde
Enders tut. Wie weiter oben beschrieben nimmt die Kindstötung in
„Thüringer Mörderinnen“ einen relativ zentralen Platz ein und
präsentiert die beschriebenen Damen oftmals gerade hier von einer
etwas menschlicheren Seite (was bei dem Thema zunächst etwas
widersprüchlich klingen dürfte). Interessant sind zum Beispiel die
Geschichten von Karoline Möller und Pauline Richter, von denen
letztere den Titel „Die Schreie aus der Hauswand“ trägt und
zusammen mit „Alwine 'Lina' Lindig – Das Lebendig Begrabene Kind“
zu den derbsten des Buches gehört.
Fazit: Originelles und
sehr gut geschriebenes Buch über ein verhältnismäßig
ausgefallenes Thema. „Thüringer Mörderinnen – Frauenschicksale
zwischen Liebe und Schafott“ ist ein voller Erfolg und jedem zu
empfehlen, der sich für derartige Sachgebiete interessiert.
Durchhänger gibt es keine zu verzeichnen und wegen den vielen
makaberen, interessanten Fällen und dem kurzweiligen Schreibstil,
ist das Buch ohne wenn und aber im oberen Drittel seiner Zunft
anzusiedeln.
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