Dienstag, 26. Januar 2016

REVIEW: EIN KIND ZU TÖTEN (Narciso Ibáñez Serrador, 1976)



Tom und die schwangere Evelyn sind ein britisches Ehepaar, das seinen Urlaub in Spanien verbringt. Obwohl einige Leichen an den nahegelegenen Strand gespült werden, entschließen sich die beiden, eine Insel unweit ihres Urlaubsortes aufzusuchen. Zu ihrem Erstaunen stellen sie bei ihrer Anreise fest, dass diese – mit Ausnahme einiger freu herumstreunender Kinder – absolut menschenleer ist. Doch als Tom sieht, wie ein kleines Mädchen einen alten Mann totschlägt, wird ihnen klar, dass die Kinder der Insel sich zusammengeschlossen und alle Erwachsenen getötet haben. Nun geraten die beiden selbst ins Visier der Mörder und ein blutiger Kampf beginnt.



Die 70er waren – vielleicht sogar noch um einiges mehr als die 80er – eine wahre Fundgrube für filmische Kuriositäten. Das in der Bevölkerung aufkeimende Interesse an der Filmkunst, diverse technische Errungenschaften und gesellschaftliche und soziale Umbrüche resultierten in einer Vielzahl von Filmen, die noch heute als bahnbrechend empfunden werden. Gerade im Bereich des Horror- und Exploitationfilms ist dies der Fall. Obwohl man hier natürlich zunächst reflexartig an die Vereinigten Staaten denkt, bietet Europa ebensoviel Interessantes. So zum Beispiel der spanische Film “Ein Kind zu Töten”. Dieser wurde im Jahre 1976 von Narciso Ibáñez Serrador geschrieben und verwirklicht und stellt seine zweite und letzte Regiearbeit dar. “Ein Kind zu töten” - oder wie er im Original heißt: “¿Quién puede matar a un niño?” - basiert auf einem Buch von Juan José Plans und vermochte es, seinerzeit ein großes Maß an Aufsehen zu erregen und in Deutschland sogar indiziert zu werden.




Was den Aufbau und die gesamte Herangehensweise angeht, hat man es mit “Ein Kind zu töten” mit einem waschechten “Klassiker” zu tun, der allen Konnotationen, welcher der Begriff mit sich bringt, nachkommt. Die Handlung baut sich langsam auf und Regisseur Serrador führt zunächst einmal seine Charaktere ein, bevor die eigentliche Gefahr beginnt. Gerade diese Gemütlichkeit – welche allerdings nicht mit Langeweile zu verwechseln ist – erinnert stellenweise an frühere Filme von John Carpenter. Was die Charakterzeichnung angeht, wird sich Mühe gegeben, die Figuren zu mehr als nur “Kanonenfutter” zu machen, was gerade im letzten Drittel sehr zur Wirkung beiträgt.



Auch wenn die Spannungskurve sich die nötige Ruhe nimmt, ist eine konstante Bedrohung spürbar. Diese äußert sich teilweise unterschwellig durch die bewusste und sichere Inszenierung von Ruhe oder auch sehr konkret, zum Beispiel durch das anfängliche Auffinden der Leichen. Zu den stärksten Szenen des Filmes gehören ganz klar die, in denen das Paar die Insel betritt und sie durchsucht. Der Zuschauer tappt ebenso wie die Figuren im Film im Dunkeln und so kann die etablierte Identifikation gut mit dem aufkeimenden Konflikt interagieren. Im obengenannten letzten Drittel entlädt sich die aufgebaute Spannung in eine (für ihr Alter) relativ temporeiche Hetzjagd, welche mehrere Stadien durchläuft und eine – im positiven Sinne – zermürbende und wirklich intensive Wirkung entfalten kann. Trotz des Individualismusses der Thematik kann man “Ein Kind zu töten” im Grunde genommen als einen verhältnismäßig geradlinigen Horrorfilm, der aufgrund seines Hintergrundes sehr starke Exploitation-Anleihen vorzuweisen hat, sehen. Insofern wird sich gerade am Ende relativ strikt an die gängigen Genrekonventionen gehalten. Dennoch sorgen das ausgefallene Szenario und die filmischen Qualitäten dafür, dass “Ein Kind zu töten” nicht wie einer von abertausenden schnell heruntergekurbelten Filmen dieses Couleurs wirkt.



Der – aus heutiger Sicht vielleicht nur eingeschränkt nachvollziehbare – moralische Aufschrei, den “Ein Kind zu töten” damals nach sich zog, ist in einem relativ einfachen und offensichtlichen Sachverhalt begründet: die Mörder in “Ein Kind zu töten” sind allesamt Kinder. Obwohl der Film als solcher, wie bereits erwähnt, über dem Mittelmaß steht, wäre es natürlich denkbar, dass Serradors Werk primär aus diesem Grund den Zahn der Zeit so gut überstanden hat und nicht in der Versenkung verschwunden ist. Dies liegt aber auch daran, dass er dieses Thema zu handhaben weiß. Eine der interessantesten und zugleich schwierigsten Stellen ist diesbezüglich die mehrminütige Anfangssequenz, in der echtes Bildmaterial von vergangenen Kriegen gezeigt und das Leiden der Kinder bildlich dargestellt wird. Hier sucht Serrador direkt eine sehr schwer verdauliche und schonungslose Metaebene, die zwar in dieser Form nicht mehr aufgegriffen wird, aber als Einstieg sehr gut funktioniert. Auch vermag sie das moralische Dilemma, das für die Hauptfiguren von großer Bedeutung ist, einzuführen: Inwiefern ist Gewalt gegen Kinder entschuldbar? Obwohl die Protagonisten ohne Frage in einer Notwehrsituation sind, tun sie sich bei dieser Überlegung schwer. Doch auch hierüber hinaus wird dieses Thema gekonnt umgesetzt. Kraftvoll ist zum Beispiel auch die Szene, in der das Mädchen den alten Mann erschlägt, da hier der Kontrast zwischen Unschuld und Gewalt sehr direkt und roh vermittelt wird. Ebenso verhält es sich mit dem Plottwist, bzw. der Tatsache, dass Evelyn schwanger ist und somit selbst ein Kind in die Welt setzen möchte.




Fazit: “Ein Kind zu töten” ist ein solider Klassiker, der die Luft der 70er atmet und vor allem für Exploitation-Freunde nicht unlohnenswert ist. Einige derbe Szenen und die Spannung im letzten Drittel stechen angenehm hervor und verleihen dem Film den nötigen Charakter. Nennenswert ist auch der sehr gelungene Soundtrack, welcher der ansprechenden Veröffentlichung von Bildstörung beiliegt.

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