Tom und die
schwangere Evelyn sind ein britisches Ehepaar, das seinen Urlaub in
Spanien verbringt. Obwohl einige Leichen an den nahegelegenen Strand
gespült werden, entschließen sich die beiden, eine Insel unweit
ihres Urlaubsortes aufzusuchen. Zu ihrem Erstaunen stellen sie bei
ihrer Anreise fest, dass diese – mit Ausnahme einiger freu
herumstreunender Kinder – absolut menschenleer ist. Doch als Tom
sieht, wie ein kleines Mädchen einen alten Mann totschlägt, wird
ihnen klar, dass die Kinder der Insel sich zusammengeschlossen und
alle Erwachsenen getötet haben. Nun geraten die beiden selbst ins
Visier der Mörder und ein blutiger Kampf beginnt.
Die 70er waren –
vielleicht sogar noch um einiges mehr als die 80er – eine wahre
Fundgrube für filmische Kuriositäten. Das in der Bevölkerung
aufkeimende Interesse an der Filmkunst, diverse technische
Errungenschaften und gesellschaftliche und soziale Umbrüche
resultierten in einer Vielzahl von Filmen, die noch heute als
bahnbrechend empfunden werden. Gerade im Bereich des Horror- und
Exploitationfilms ist dies der Fall. Obwohl man hier natürlich
zunächst reflexartig an die Vereinigten Staaten denkt, bietet Europa
ebensoviel Interessantes. So zum Beispiel der spanische Film “Ein
Kind zu Töten”. Dieser wurde im Jahre 1976 von Narciso Ibáñez
Serrador geschrieben und verwirklicht und stellt seine zweite und
letzte Regiearbeit dar. “Ein Kind zu töten” - oder wie er im
Original heißt: “¿Quién
puede matar a un niño?” - basiert auf einem Buch von Juan José
Plans und vermochte es, seinerzeit ein großes Maß an Aufsehen zu
erregen und in Deutschland sogar indiziert zu werden.
Was den Aufbau und
die gesamte Herangehensweise angeht, hat man es mit “Ein Kind zu
töten” mit einem waschechten “Klassiker” zu tun, der allen
Konnotationen, welcher der Begriff mit sich bringt, nachkommt. Die
Handlung baut sich langsam auf und Regisseur Serrador führt zunächst
einmal seine Charaktere ein, bevor die eigentliche Gefahr beginnt.
Gerade diese Gemütlichkeit – welche allerdings nicht mit
Langeweile zu verwechseln ist – erinnert stellenweise an frühere
Filme von John Carpenter. Was die Charakterzeichnung angeht, wird
sich Mühe gegeben, die Figuren zu mehr als nur “Kanonenfutter”
zu machen, was gerade im letzten Drittel sehr zur Wirkung beiträgt.
Auch wenn die
Spannungskurve sich die nötige Ruhe nimmt, ist eine konstante
Bedrohung spürbar. Diese äußert sich teilweise unterschwellig
durch die bewusste und sichere Inszenierung von Ruhe oder auch sehr
konkret, zum Beispiel durch das anfängliche Auffinden der Leichen.
Zu den stärksten Szenen des Filmes gehören ganz klar die, in denen
das Paar die Insel betritt und sie durchsucht. Der Zuschauer tappt
ebenso wie die Figuren im Film im Dunkeln und so kann die etablierte
Identifikation gut mit dem aufkeimenden Konflikt interagieren. Im
obengenannten letzten Drittel entlädt sich die aufgebaute Spannung
in eine (für ihr Alter) relativ temporeiche Hetzjagd, welche mehrere
Stadien durchläuft und eine – im positiven Sinne – zermürbende
und wirklich intensive Wirkung entfalten kann. Trotz des
Individualismusses der Thematik kann man “Ein Kind zu töten” im
Grunde genommen als einen verhältnismäßig geradlinigen Horrorfilm,
der aufgrund seines Hintergrundes sehr starke Exploitation-Anleihen
vorzuweisen hat, sehen. Insofern wird sich gerade am Ende relativ
strikt an die gängigen Genrekonventionen gehalten. Dennoch sorgen
das ausgefallene Szenario und die filmischen Qualitäten dafür, dass
“Ein Kind zu töten” nicht wie einer von abertausenden schnell
heruntergekurbelten Filmen dieses Couleurs wirkt.
Der – aus heutiger
Sicht vielleicht nur eingeschränkt nachvollziehbare – moralische
Aufschrei, den “Ein Kind zu töten” damals nach sich zog, ist in
einem relativ einfachen und offensichtlichen Sachverhalt begründet:
die Mörder in “Ein Kind zu töten” sind allesamt Kinder. Obwohl
der Film als solcher, wie bereits erwähnt, über dem Mittelmaß
steht, wäre es natürlich denkbar, dass Serradors Werk primär aus
diesem Grund den Zahn der Zeit so gut überstanden hat und nicht in
der Versenkung verschwunden ist. Dies liegt aber auch daran, dass er
dieses Thema zu handhaben weiß. Eine der interessantesten und
zugleich schwierigsten Stellen ist diesbezüglich die mehrminütige
Anfangssequenz, in der echtes Bildmaterial von vergangenen Kriegen
gezeigt und das Leiden der Kinder bildlich dargestellt wird. Hier
sucht Serrador direkt eine sehr schwer verdauliche und schonungslose
Metaebene, die zwar in dieser Form nicht mehr aufgegriffen wird, aber
als Einstieg sehr gut funktioniert. Auch vermag sie das moralische
Dilemma, das für die Hauptfiguren von großer Bedeutung ist,
einzuführen: Inwiefern ist Gewalt gegen Kinder entschuldbar? Obwohl
die Protagonisten ohne Frage in einer Notwehrsituation sind, tun sie
sich bei dieser Überlegung schwer. Doch auch hierüber hinaus wird
dieses Thema gekonnt umgesetzt. Kraftvoll ist zum Beispiel auch die
Szene, in der das Mädchen den alten Mann erschlägt, da hier der
Kontrast zwischen Unschuld und Gewalt sehr direkt und roh vermittelt
wird. Ebenso verhält es sich mit dem Plottwist, bzw. der Tatsache,
dass Evelyn schwanger ist und somit selbst ein Kind in die Welt
setzen möchte.
Fazit: “Ein Kind
zu töten” ist ein solider Klassiker, der die Luft der 70er atmet
und vor allem für Exploitation-Freunde nicht unlohnenswert ist.
Einige derbe Szenen und die Spannung im letzten Drittel stechen
angenehm hervor und verleihen dem Film den nötigen Charakter.
Nennenswert ist auch der sehr gelungene Soundtrack, welcher der
ansprechenden Veröffentlichung von Bildstörung beiliegt.
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