Dass jedes Bundesland und jede Region in Deutschland seine eigenen Bräuche, Geschichten, Helden und Bösewichte hat, ist wohl genauso selbstverständlich, wie die jeweiligen Dialekte, die dort gesprochen werden. Dass sich diese lokalen Eigenheiten und Wiedererkennungswerte jedoch nicht nur auf Heiteres beschränken, sondern ebenso die weniger gerne gesehenen Taten und Menschen Spuren in der jeweiligen Region hinterlassen, liegt ebenfalls in der Natur der Sache. Der Kirchschlager Verlag hat sich dieser dunkleren, oft verschwiegenen Form der Regionalgeschichte angenommen und hierzu die beiden Bände „Preussische Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ und „Thüringer Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ veröffentlicht, von denen der zuletzt Genannte als erstes erschienen ist. Wie der Name bereits verrät, werden hier auf jeweils etwas über 200 Seiten Verbrechen vorgestellt, welche sich zwischen dem späten 17. und dem frühen 20. Jahrhundert in den jeweiligen Regionen zugetragen haben und deren Urheber allesamt aufgrund ihrer Taten zum Tode verurteilt wurden.
Die preußische Kriminalchronik enthält
11 und die thüringische 9 Fälle, welche allesamt sehr verschieden
und auf ihre eigene Art einzigartig sind. Wie gewohnt, werden die
besprochenen Täter sehr genau und mit aller Schärfe betrachtet,
sodass man nicht umhinkommt, erneut festzustellen, dass hier wirklich
Fachmänner am Werk waren, die mit der Auswertung historischer
Quellen vertraut sind und offensichtlich einiges an Recherche
betrieben haben, um zu einem möglichst runden und professionellen
Ergebnis zu gelangen. So werden einem eine Vielzahl zeitgenössischer
Dokumente, teilweise sogar von den Tätern selbst verfasst,
präsentiert, was zur Folge hat, dass die (den meisten Lesern wohl)
unbekannten Geschichten automatisch von mehreren Winkeln beleuchtet
und vorgestellt werden und das Resultat automatisch ein sehr rundes
ist (vom Abwechslungsreichtum des Tones ganz zu schweigen). So stammt
zum Beispiel das Kapitel: „Der Lebenslauf des Fleischergesellen
Gurlt“ (hingerichtet 1839) aus der Feder des selbigen, wohingegen
die Geschichte des „Brandstifter(s) Hans Michael Brühl“ den
originalen Wortlaut des Urteils enthält. Wie so oft bei Büchern aus
dem Hause Kirchschlager bieten die Bücher Unterhaltung und sind
dennoch anspruchsvoll genug, um geschichtlich Interessierte nicht zu
enttäuschen und wie so oft ist diese Gratwanderung gelungen.
Die Fälle selbst zeigen – trotz des
weiter oben schon angesprochenen Abwechslungsreichtums –
stellenweise beachtliche Parallelen, welche ihrerseits auch so etwas
wie Täterprofile entwerfen, welche einerseits für ihre Zeit typisch
waren, oder andererseits zeitunabhängig erscheinen. So spielt zum
Beispiel (ebenso wie heutzutage) Habgier eine große Rolle bei vielen
der Fälle, zum Beispiel in „Der Raub- und Kindermörder Bernhard
Stempner“ oder „Valentin Runck und Daniel Stieff – Die
Schloßdiebe zu Berlin“. Hierbei ist vor allem die Geschichte des
vermeintlichen Alchemisten Cajetano besonders interessant. Anders als
zum Beispiel in den ebenfalls von Kirchschlager herausgegebenen
„Historische Serienmörder“ Bänden, geht es bei „Preussische
Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ und „Thüringer
Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ weniger um Trieb- und
Serientäter, als um mehr oder weniger alltägliche Leute mit
ebensolchen Motiven. Hierzu gehören unter anderem auch Trunk- und
Spielsucht, wie man zum Beispiel in solchen Geschichten wie der des
jungen Mannes, der zum Mörder wird, um seine Spielschulden bezahlen
zu können, sehen kann. Bis zu einem gewissen Grad sind die
Schicksale der Mörder stellenweise sogar bewegend und
mitleiderregend.
Die bemerkenswertesten und
interessantesten Charaktere sind jedoch jene, welche durch ihr
kaltblütiges, grausames und verrohtes Wesen auffallen. So ist zum
Beispiel der Gewalttäter in „Gefangennahme, Flucht und Hinrichtung
des Arbeitsmannes Hobus“ eine sehr faszinierende Person, selbiges
gilt auch für Ernst Kühn, ein Chirurg, der hinterlistig ein von ihm
geschwängertes Mädchen ermordet. Weiterhin ist auch der Fall der
Anna Przygodda, die im Buch als „weiblicher Blaubart“ bezeichnet
wird, insofern interessant, dass die wortgetreue Wiedergabe ihrer
Gerichtsverhandlung ihren garstigen Charakter sehr lebhaft in Szene
zu setzen weiß. Ein weiteres, eher für diesen Zeitrahmen
typischeres Delikt stellt der Mordbrand dar, welcher als immer
wiederkehrendes Motiv auftritt und sowohl in der preußischen, als
auch in der thüringischen Kriminalchronik zur Sprache kommt. Die
Niedertracht einiger Aggressoren steht hierbei in Kontrast zu den
Menschen, die durch Schicksalsschläge oder Ähnlichem zum Äußersten
gedrängt wurden. Insofern ist mit Bestimmtheit zu sagen, dass, trotz
gewisser Überschneidungen und Ähnlichkeiten, die Fälle und vor
allem Täter allesamt etwas sehr Individuelles haben, sodass sich der
Leser nie so vorkommt, als würde ständig der gleiche Sachverhalt
neu aufgewärmt. Von historischem Belang sind jedoch nicht nur die
Taten und Verbrecher, sondern auch die Strafmaße, welche jeweils
verhängt wurden. Zwar wird hier im Gegensatz zu „Henker, Blutvogt,
Carnifex“, welches vom selben Verlag herausgegeben wurde, nicht das
Hauptaugenmerk auf die Hinrichtungsarten gelegt, aber dennoch stellt
die Beschreibung jener einen Grundstein des Werkes und einen weiteren
Pluspunkt für Interessierte dar.
An sich sind nur marginale Unterschiede
zwischen den beiden Bänden auszumachen, diese sind jedoch keineswegs
bedeutungslos. So fasst sich die „Thüringer Kriminalchronik
hingerichteter Verbrecher“ in seinen anfänglichen Geschichten eher
kurz, um die beiden abschließenden Fälle „Der Raub- und
Kindermörder Bernhard Stempner“ und „Der Chirurg Ernst Kühn“
etwas weiter auszubreiten, wohingegen die Fälle in der preußische
Kriminalchronik etwas homogener sind, was ihre Länge betrifft. Wenn
es um Bildmaterial geht, hat „Preussische Kriminalchronik
hingerichteter Verbrecher“ jedoch die Nase weit vorne. Dennoch ist
eine klare Empfehlung für beide auszusprechen, sofern man sich für
die Thematik begeistern kann, was sicherlich wenigen schwerfallen
dürfte!
Fazit: Beachtliche, abwechslungsreiche
und detaillierte Chroniken über regionale Straftaten, welche sich
sehr kurzweilig und unterhaltsam gestalten. Wer sich etwas für
Historie, Kriminalistik und die Geschichte der Todesstrafe in
Deutschland interessiert, wird in diesen beiden Bänden auf
Informationen und Personen stoßen, welche man wohl sonst nirgends
kennenlernt. Gerade dies ist einer der vielen Reize von „Preussische
Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ und „Thüringer
Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“.
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