Montag, 20. Juni 2016

REVIEW: EX DRUMMER (Koen Mortier, 2007)



Dries ist ein Schriftsteller, der eines Tages unverhofft Besuch von drei Männern bekommt. Diese sind nicht nur allesamt behindert, sondern spielen auch zusammen in einer Rockband. Für eben diese wollen sie den Schriftsteller rekrutieren. Er lässt sich aus Neugierde und zwecks Ergötzung an der Erbärmlichkeit seiner neuen Bandkollegen auf das Angebot ein und fängt an, regelmäßig mit ihnen zu proben. Das Ziel ist, bei einem bald anstehenden Bandwettbewerb zu gewinnen. Doch je mehr Zeit er mit den drei Randexistenzen verbringt, umso mehr zeigt sich das wahre Ausmaß des Elends.



Die Anzahl an Werken, die als “Kultfilm” betitelt werden, ist sicherlich um ein Vielfaches größer als die Anzahl an Filmen, die dieses Label wirklich verdient haben. Anders verhält es sich jedoch bei Filmen, bei denen es absolut nicht zur Debatte steht, ob sie das Zeug zum Kultfilm haben, die aber dennoch nie den Sprung in die Öffentlichkeit schaffen und Nischentipps bleiben. “Ex Drummer” von Koen Mortier ist definitiv einer dieser Filme. Als das charaktergetragene, nihilistische Drama anfing, große Erfolge zu feiern (man denke hierbei an die Filme von Gaspar Noé), entstand auch dieser belgische Beitrag. Keineswegs blieb “Ex Drummer” unbeachtet und man könnte sogar von einem gewissen Kultfaktor im Underground- bzw. “alternativen” Filmsektor sprechen, aber dennoch vermochte sich das 2007 veröffentlichte Werk eben nicht zwischen “Football Factory”, “Trainspotting”, “Irreversibel” oder “Ken Park” einzureihen. Eine mehr als bedauerliche Tatsache.




Getragen wird “Ex Drummer” ganz klar von seinen Charakteren. Diese sind ein Sammelsorium an Verwerflichkeit und Entartung, wobei Mortier allerdings so gut wie nie die groteske Überzeichnung sucht, sondern die existenzielle Bodenständigkeit grundlegend beibehält. Insofern bleibt das Personal extrem aber dennoch menschlich, was “Ex Drummer” auch mehr zu einer Art Charakterdrama als einer Satire oder dergleichen macht. Hierbei ist der Schriftsteller Dries gewissermaßen auszuklammern, da er mehr als Erzähler und Identifikationsfigur bei dieser Reise ins Abgründige fungiert. Einer der erinnerungswürdigsten Charaktere ist sicherlich der kahlgeschorene Sänger Koen, der ein bekennender Frauenhasser und -schläger ist. Weiterhin ist Jan, dessen Arm steif geworden ist, seit seine Mutter ihn bei Masturbieren erwischte und der vollkommen abgewrackte, drogensüchtige Ivan Teil der Band.



Aus dieser Dynamik ergeben sich absurde, derbe, tragische und komische Szenen. Der Handlungsaufbau ist eigentlich nur ein sehr loser Platzhalter für die besagten Geschehnisse. So präsentiert “Ex Drummer” neben dem ganz normalen Wahnsinn im Proberaum auch das dysfunktionale Elternhaus Jans (bestehend aus seiner haarlosen Mutter, die eine Affäre mit Koen hat, und seinem geisteskrankem Vater, der Tag und Nacht ans Bett gefesselt ist), Prügeleien, Streitereien, Gruppen- und Schwulensex und eine eindrucksvolle Konzertszene am Ende.



Trotz des kranken Witzes pulsiert viel Galle und Bosheit unter der metaphorischen Oberfläche. Ein Baby, das stirbt, weil es den Drogenvorrat seiner Eltern aufisst, der im Drogenrausch an der Decke herumlaufende Koen, der haarklein auflistet, wie er willkürlich weibliche Sexbekanntschaften misshandelt oder der Roadie, dessen After nach dem Analverkehr mit dem Sänger einer rivalisierenden Band aufreißt, sind allesamt definitiv nicht lustig im klassischen Sinne. Womöglich ist gerade dies der ausschlaggebende Punkt für “Ex Drummer”s überragende Qualität. Mortiers Film ist weder ein durchgehend bedrückender “Lilja-4-ever” noch ein an sich heiterer “Football Factory” - Verschnitt, sondern abwechslungsreicher und runder in seiner Herangehensweise. Ebenso wie seine Charaktere ist auch das Treiben im Kern menschlich und somit vielfältig. Wobei natürlich das Finale sämtlichen Positivismus im Keim erstickt und ein fulminantes Ende zu setzen vermag.



Nicht zuletzt ist “Ex Drummer” auch ein Musikfilm, der in gewissem Maß zumindest eine Interpretation des vielbesungenen “Rock and Roll Lifestyles” bietet. Neben dem omnipräsenten “Mongoloid” von Devo – hier natürlich als Punkrock-Cover – bringen vor allem am Ende einige durchaus gelungene Tracks von Interpreten wie Mogwai, Millionaire und Blutch akustisches Leben ins Geschehen.

Fazit: Koen Mortiers “Ex Drummer” ist krank, kurzweilig, tiefgründig und schlichtweg grandios. Das Drama funktioniert auf erstaunlich vielen Ebenen und stellt einen dieser Filme dar, die man einfach immer und immer wieder sehen und dabei Neues erkunden kann. Bitterster Zynismus, offene Gewalt und Emotion begleiten die Charaktere durch eine unterhaltsame Geschichte durch die Welt des Abschaums. Pflichtfilm!



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