Die
westliche Welt hat sicherlich eine gänzlich eigene Art, in der sie
mit dem Tod umgeht. Als künstlerisches Konzept – jedoch hier nicht
uneingeschränkt geduldet – und in jeglicher Form von religiösem
oder spirituellem Kontext ist er quasi omnipräsent, aber was die
Darstellung echter Todesfälle angeht war und sind die Ansichten
bedeutend anders. Wo lateinamerikanische Zeitschriften beispielsweise
mit großflächigen Darstellungen von Unfallleichen und Mordopfern
nicht geizen (und stellenweise sogar auf dieser Zurschaustellung
aufgebaut sind) bleibt dergleichen hierzulande ein Tabuthema.
Das
Interesse, egal ob in Fetischismus, Ästhetik oder bloßer Neugier
begründet, war jedoch immer schon vorhanden und ist sicherlich als
anthropoligische Universalie anzusehen. Neben den bekannten
Mondofilmen – allen voran natürlich “Mondo Cane” - und der
(zum Großteil gestellten oder mit Nachgestelltem angereicherten)
“Gesichter des Todes” Reihe kursierten vor allem in Japan viele
Videoserien wie “Death File” oder “Death Press”, welche
expliziterer Natur waren und wirkliche Aufnahmen von Autopsien,
Hinrichtungen und Kadavern boten. Die Möglichkeiten, solche VHS hier
in Europa zu beziehen, waren natürlich dermaßen begrenzt, dass sie
wohl eher als düstere Legenden gedient haben als alles andere.
Heutzutage, in Zeiten der weltweiten Vernetzung, hat sich die Lage
natürlich von Grund auf geändert. Immer wieder tauchen Videos und
Bilder von Akten auf, welche so drastisch sind, dass man sie in den
Zeiten des Videos vermutlich nicht einmal für astronomischste
Unsummen hätte erstehen könnten – alles natürlich nur einen
Klick entfernt und praktisch frei zugänglich für jeden, der mit
einem Internetanschluss ausgestattet ist. Ironischerweise haben
physische Real Death Formate trotz (oder gerade wegen) dieses
virtuellen Überangebotes nach wie vor nichts von ihrer negativen
Konnotation verloren.
Eine
interessanter Zwischenbereich im Bereich der Todesdarstellung ist der
Dokumentarfilm. Obwohl auch er immer wieder unter heftiger Kritik
steht, stellt hier schon alleine der Grundcharakter eine gewisse
kulturelle Relevanz her. Zwei der bedeutendsten Beispiele sind
“Orozco – the Embalmer” von Tsurisaki Kiyotaka und “Der Weg
nach Eden” von Robert-Adrian Pejo. Obwohl diese beiden
Dokumentationen oberflächlich betrachtet als zwei Spielarten
desselben Themas anmuten könnten, sind doch bei genauerer Analyse
tiefgreifende Widersprüche zu erkennen, welche ein faszinierendes
Bild der dargestellten Personen, Länder und nicht zuletzt
Todessituationen zeichnen.
Die
Parallelen sind offensichtlich: beide Filme sind dokumentarischen
Stils und stellen je einen Menschen in den Vordergrund, welche
hauptberuflich Umgang mit Leichen pflegen, sprich sie präparieren,
obduzieren oder herrichten. Sowohl “Orozco the Embalmer” als auch
“Der Weg nach Eden” betrachten hauptsächlich zwei größere
Komplexe, zum einen die Gedanken, das Privatleben, das Umfeld und die
Lebensumstände des Hauptcharakters und zum anderen seine Arbeit.
Gerade letzteres dürfte wohl den Großteil des Reizes ausmachen und
der Grund für den Bekanntheitsgrad beider Dokumentationen sein. Und
ja, Graphisches gibt es bei beiden zuhauf: komplette Obduktionen und
Sezierungen toter Körper, manche alt, andere jung, werden in
Großaufnahme und in voller Länge gezeigt. Es wird nirgends
weggeblendet oder eventuell Unansehnliches ausgelassen – alles ist
kristallklar.
“Orozco
the Embalmer” ist ein im Jahre 2000 entstandener Film des
japanischen Filmemachers und Photographen Tsurisaki Kiyotaka. Dieser
hat auch einige exquisite Bildbände veröffentlicht, so zum Beispiel
das relativ weit verbreitete und verhältnismäßig günstig zu
erstehende “Death” und “Requiems de la Morte”, welcher zum
Großteil Bilder von Orozco beinhaltet. Der gleichnamige “Held”
ist ein in Kolumbien lebender älterer Mann, der seit Jahren Leichen
präpariert – und das für einen Hungerlohn.
Im
Gegensatz dazu scheint das Leben von János
Keserü, dem Protagonisten
von “Der Weg nach Eden”, geradezu spießbürgerlich. Der
Chefpathologe aus Budapest hat eine Familie und ein Haus mit Garten –
beiden gegenüber ist er sehr fürsorglich. Genau dieser Kontrast ist
einer der fundamentalsten: János kommt aus einem zivilisierten Land
- der Tod ist Teil einer Kultur, in welcher, zumindest theoretisch,
Menschenwürde ein hohes Gut ist. “Orozco” zeigt jedoch ein Klima
absoluter Menschenverachtung auf, in dem brutalster Realismus und
eisige Kälte herrschen und ein Menschenleben nahezu wertlos ist. Der
Alltag in Kolumbien ist mit Wortem kaum zu beschreiben: Bürger
werden erstochen und verbluten auf offener Straße, Kinder nehmen
Drogen und der Anblick gewaltsam zu Tode gekommener Menschen ist
etwas Alltägliches, Triviales. Westlicher Spiritualismus prallt auf
den grausamen Nihilismus eines Entwicklungslandes. “Orozco the
Embalmer” und “Der Weg nach Eden” zeichnen ein erschreckend
wirklichkeitsgetreues Bild dieser Diskrepanz.
Die
jeweiligen Charaktere verkörpern bis zu einem gewissen Grad diese
unterschiedliche Mentalität: János reflektiert über Moral,
Nächstenliebe und den Wunsch, Leute in Ehren abtreten zu lassen. Ihm
ist es wichtig, diese Prinzipien in seine Arbeit einfließen zu
lassen und sie auf einem gefestigten ethischen Grundgerüst
aufzubauen. Orozco wirkt eher wie ein zynischer Handwerker. Die
Inszenierung passt sich dem nahtlos an. Regisseur Kiyotaka
positioniert in “Orozco the Embalmer” die Kamera lasziv am
Fußende der jungen Frauenleiche. Ihre entblößte Vagina schaut in
die Kamera während Orozco ihre Bauchdecke aufschneidet und grob in
den Innereien herumbohrt. Ein andermal sticht sein Kollege sein
Seziermesser unter die Augenlider eines Leichnams, um die Haut vom
Knochen zu lösen. Nirgends ist ein Gefühl von Erfurcht oder Rührung
auszumachen. Alle diese Szenen tragen sich inmitten schäbigen
Verfalls zu – das perfekte Setting und der perfekte Ausdruck der
herrschenden Stimmung.
“Der
Weg nach Eden” ist hier das genaue Gegenteil. Die Inszenierung
bewegt sich zwischen steriler, medizinischer Sauberkeit und Respekt
vor dem Ableben und den Verbliebenen. Auch wenn die Aufnahmen
prinzipiell ebenso direkt und “schonungslos” sind wie die Bilder
aus Kolumbien, so ist die Aura dennoch eine gänzlich andere. So
überrascht es kaum, dass “Der Weg nach Eden” um einiges mehr
“Film” ist, wohingegen “Orozco the Embalmer” sich lieber in
durchweg dokumentarischem Hyperrealismus suhlt.
“Orozco
the Embalmer” und “Der Weg nach Eden” sind zwei der
relevantesten und anerkanntesten Dokumentationen über den Tod,
welche jemals kommerziell vermarktet wurden. Die unverblümte
Darstellung echter Leichen und Obduktionspraktiken haben für einige
Furore gesorgt, allerdings vermochte die Kredibilität der Werke
ihren Ruf insofern zu retten, dass sie auch außerhalb von Real Death
Enthusiast – Zirkeln beachtet wurden. Dies ist, nicht zuletzt wegen
der Qualität beider Filme, mehr als gerechtfertigt. Unter der
Oberfläche wuchert jedoch mehr als Schocktaktik und Ekelszenerie.
Sowohl János als auch Orozco sind (bzw. waren) echte Menschen, die
einen echten Beruf ausüben (bzw. ausgeübt haben). Auch die Leichen
auf ihren Seziertischen waren echte Menschen und ihr Ableben
hinterlässt echte Lücken. Echt sind auch die Gesellschaften, in
denen János und Orozco leben, und die Stellung, die menschliches
Leben in ihnen einnimmt. Insofern ist es klar, dass der Eindruck, den
“Orozco the Embalmer” und “Der Weg nach Eden” auf den
Zuschauer machen, kein unechter sein kann.
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