Der
britische Magier Aleister Crowley bleibt für viele, die sich mit
seinem Leben und seinen Ansichten beschäftigen möchten, zunächst
einmal ein Enigma. Die eigens verfassten Werke des sagenumwobenen
Charakters erweisen sich für jene, welche den einfachen Einstieg
suchen, oftmals als zu verwirrend und spezifisch und auf der Suche
nach “Fachliteratur” wird klar, wie viele Arten es gibt, sich ihm
als Okkultist und Individuum zu nähern. Die Bücher “Aleister
Crowley und der verborgene Gott” und “Aleister Crowley und die
westliche Esoterik” zeigen hierbei sehr gut auf, wie sich zwei
verschiedene Ansätze zu einem Ganzen verbinden können, welches die
Sachverhalte in ungeahnter Abrundung präsentiert.
“Aleister
Crowley und die westliche Esoterik” wurde von Henrik Bogdan und
Martin P. Starr herausgegeben und beinhaltet 15 verschiedene
Aufsätze, welche jeweils für sich genommen ein gewisses Thema
behandeln. Die Ausrichtung ist durch und durch wissenschaftlich und
(zumindest weitestgehend) wertfrei gehalten, so wie man es von dem
ursprünglichen Herausgeber – der Universität in Oxford – nicht
anders zu erwarten hätte. Dementsprechend wird akademisch verfahren:
jeder Text verfolgt ein klares Ziel, welches direkt genannt wird,
Fakten werden mit gewissenhaft wirkender Quellenarbeit belegt und
Umstände und Hintergründe werden zu Genüge geschildert (auch in
Fußnoten).
Durch
diesen objektiven Blick werden viele der Themengebiete, mit denen
Crowleys Lehren in Verbindung steht, analytisch und ungetrübt
präsentiert. “Das große Tier als tantrischer Held” befasst sich
zum Beispiel mit Yoga und Tantra, ein weiteres Kapitel geht auf die
Kulte der Yeziden und deren Analogien zu Crowley ein. Weiterhin gibt
es Texte, welche sich modernen Strömungen und Charakteren zuwenden,
mit welchen Crowley vertraut war, oder die von ihm beeinflusst
wurden. Eines der interessantesten Kapitel dreht sich um Rosaleen
Norton und die Korrespondenzen zwischen ihr und Crowley, ein anderes
verfährt ähnlich mit dem Wicca Kult. Eines der vielleicht
überraschendsten Themengebiete, welches “Aleister Crowley und die
westliche Esoterik” behandelt, ist das über Scientology. Doch auch
die biographischen Informationen, welche sich teils indirekt
herauslesen lassen und teilweise direkt übermittelt werden, sind in
höchstem Maße wertvoll. Gerade auf dieser Ebene scheiden sich die
Geister was den bekannten Magus angeht, denn die Kapitel über die
Freimaurerei und das über die ewige Fehde mit A.E. Waite zeigen
Crowley auch als sehr Menschen, dem man egoistische und generell
unsympathische Wesenszüge attestieren könnte. Eines der
intensivsten Kapitel über Crowleys persönliches Leben ist “der
Hexenmeister und sein Lehrling”, in dem ein Ritual, das er in
Ägypten vollzog, eindringlich beschrieben wird.
“Aleister
Crowley und die westliche Esoterik” kann (unter anderem) als
Fundament angesehen werden, welches dem Verständnis von Crowleys
Prinzipien zuträglich sein kann. Obwohl eine solche Abhandlung auch
für diejenigen Leser vorteilhaft ist, welche sich rein mit dem
Phänomen beschäftigen möchten, ist es wohl doch am sinnigsten,
wenn die Informationen als Startpunkt genutzt werden, um die
subjektiveren Aspekte von Crowleys Ansichten zu erkunden. Diesen
Gegenpol bietet das Buch “Aleister Crowley und der verborgene Gott”
des Okkultisten Kenneth Grant, auf dessen Leben und Werk schon in
früheren Rezensionen Bezug genommen wurde.
“Aleister
Crowley und der verborgene Gott” ist – wie alle Schriften Grants
– eine sehr komplexe und gewaltige Abhandlung über okkulte
Ansätze, welche von einem „Insider“ stammen und in diesem Fall
ausschließlich Ideen und Prinzipien anspricht, welche mit Crowley zu
tun haben. Neben den für diesen Bereich “gängigen” Abhandlungen
über die Kundalini und dem Symbolismus von Mond und Sonne – hier
übrigens in sehr detaillierter und tiefgreifender Form dargeboten –
enthält “Aleister Crowley und der verborgene Gott” auch sehr
interessante Gedanken über Numerologie, die menschlichen Obsessionen
und das Prinzip der Scharlach-Frau, welchem ein eigenes Kapitel
gewidmet ist. Es ist klar ersichtlich, wie involviert Grant in
Crowleys Gedankenwelt ist und wie kritisch er gewisse Aspekte mit
eigenen Ideen erweitert. Grants Schrift nimmt direkten Bezug auf
Themen, welche auch in “Aleister Crowley und die westliche
Esoterik” Gegenstand waren, doch stellt die sprichwörtliche andere
Seite der Medaille dar. Es geht bei Grant nicht um die Beschreibung
von Sachverhalten oder gar einen wissenschaftlichen Forschungsdrang,
sondern um die persönliche Auslebung und die Methodik der Anwendung.
So wird bei einer Lektüre von Grant und dem von Bogdan und Starr
herausgegebenen Kompendium der selbe Sachverhalt von zwei
unterschiedlichen Blickwinkeln heraus betrachtet und funktioniert auf
zwei Ebenen harmonisch als größeres Ganzes. Besonders eindrucksvoll
zeigt sich dies in den Bereichen, welche den Tantrismus und die damit
einhergehende Sexualität behandeln und die Idee der Äonen, die in
Thelema eine zentrale Rolle einnehmen. Gerade hier zeigt sich in
„Aleister Crowley und der verborgene Gott“ das, was Grants Bücher
generell so interessant macht: sein Pathos, seine fundierten Ansätze
und die Detailgenauigkeit, in denen er die Ansätze ausbreitet,
wohingegen „Aleister Crowley und die westliche Esoterik“ für das
nötige Hintergrundwissen und die sprichwörtlichen „Hard Facts“
sorgt.
Sowohl
“Aleister Crowley und die westliche Esoterik” als auch “Aleister
Crowley und der verborgene Gott” stellen “Sekundärwerke” zu
dem magischen Leben Aleister Crowleys dar und sind doch absolut
unterschiedlich, was den Tonus und die Zielsetzung angeht. Nach der
Lektüre beider Werke erscheint es einem so, als würde gerade in
diesem Wechsel aus Innen- und Außenansicht der wahre Kern einer
allumfassenden Auseinandersetzung mit diesen Ideen liegen. Beide
Werke sind auf ihre Art anspruchsvoll und gerade deshalb sind sie –
nicht nur in Interaktion – überaus lohnenswert.
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