Wenn es um Surrealismus im
Bereich Film geht, gibt es einen Namen, um den es keinen Umweg gibt:
Alejandro Jodorowsky. Seine Filmographie ist vielleicht nicht
sonderlich lang, aber dafür hat sie umso mehr für Furore gesorgt.
Der 1948 geborene Chilene gilt als Visionär im Bereich
Experimentalfilm und zugleich als Meister des Surrealismus. Dies
liegt nicht nur an seinen filmischen Untergrunderfolgen, sondern auch
an seiner Person: Jodorowsky ist bekennender atheistischer Mystiker
und Anhänger der Psychomagie, was die okkultistischen Darstellungen
natürlich um einiges persönlicher und gehaltvoller macht. Viele
Sagen und Mythen über lebensgefährliche Situationen und Drogen
ranken sich um die filmischen Ergüsse des Ausnahmeregisseurs, doch
ausschlaggebend für den Status waren und sind ganz klar die Filme
selbst. Die Filme „Fando y Lis“, „El Topo“ und „Der Heilige
Berg“, welche in der neu erschienenen Jodorowsky Box von
Bildstörung enthalten sind, sind allesamt sehr gute Beispiel für
den grandiosen visuellen Stil des Künstlers.
Fando y Lis – Die Suche
nach Tar
Fando und seine gelähmte
Geliebte Lis sind auf der Suche nach der magischen Stadt Tar, wo sie
auf ein glückliches Leben hoffen. Er schiebt sie durch eine weite
Steinwüste, in der sie mehrere obskure Charaktere treffen und
wahnwitzige Situationen erleben. Doch ihre Beziehung verläuft nicht
problemfrei und je weiter sie gehen, desto mehr offenbart sich die
gestörte Natur ihres Verhältnisses.
Von allen Jodorowsky
Filmen ist „Fando y Lis“ sicherlich der am schwersten
zugängliche. Der in schwarz-weiß gedrehte Film wirft sehr viele
Fragen auf und kann wohl als ein sehr zorniges, frühes Werk gesehen
werden, das von aggressiven Realitätssprüngen und einer
rätselhaften, fast schon soziopathischen Beziehung getragen wird.
Was anfangs wie eine semi-romantische, kernige Verfilmung eines
Salvador Dali Gemäldes wirkt, wird über die Zeit zunehmend
neurotischer und im Endeffekt gefährlicher, was „Fando y Lis“
eine sehr anrüchige und dekadente Note verleiht – im positiven
Sinne.
Das Geschehen dreht sich
um das Pärchen, das den mystischen Ort Tar sucht. Sicherlich ist –
wie so oft bei Jodorowsky – ein transzendentaler Aspekt in dieser
Reise auszumachen, gerade weil das Elend der „echten Welt“ in
diesem Beitrag wohl am direktesten und brutalsten zur Sprache kommt.
So harmonisch die Beziehung der beiden anfangs auch wirken mag, sie
gedeiht in einer Aura von Krankheit, Neurose und Zwietracht. Das Bild
der verkrüppelten, alleine nicht lebensfähigen Lis, die gemeinsam
mit Fando in einer kargen Welt aus Steinen ein idealisiertes Paradies
sucht, wobei beide von Blumen und Bäumen fantasieren, spricht
hierbei Bände.
Jodorowsky liefert zwar
das hohe ästhetische Niveau, das man von ihm gewohnt ist, allerdings
überwiegen bei „Fando y Lis“ die verstörenden Aspekte des
Surrealismus, da die zauberhafte Note von „Der Heilige Berg“ oder
die religiöse Ästhetik von „El Topo“ durch eine gewisse
Brutalität ersetzt wird. So gibt es zum Beispiel eine sehr
verstörende Szene, in der Lis als Kind von fahrendem Zirkusvolk
sexuell missbraucht wird. Weiterhin wird auch der Ödipus-Komplex
(welcher auch bei „El Topo“ eine Rolle spielen wird) durch einen
sehr drastischen und symbolträchtigen Muttermord angesprochen.
Überhaupt ist das Verhältnis, das Fando zu Frauen hat ein Thema,
welches in den komplexen Visionen auf interessante Art aufgegriffen
wird. Vor allem die Szene, in der er von einer Horde Frauen durch die
Wüste gescheucht wird, ist extrem ausdrucksstark, selbiges gilt für
die dargestellt Schändung einer Puppe, der ein Loch in den Schritt
gerammt wird, woraufhin dies mit Blindschleichen gefüllt wird.
Gerade in diesen Szenen zeigt sich die wütende Kraft von „Fando y
Lis“ am besten.
Der Heilige Berg – Ein
surrealer Trip
Ein Dieb erklimmt einen
hohen Turm und trifft dort einen mysteriösen Alchemisten. Dieser
teilt ihm mit, dass er Unsterblichkeit erlangen könne, wenn er einen
Berg auf der Lotus Insel besteigt. In diesem Vorhaben wird er von
sieben Personen begleitet, die allesamt von einem anderen Planeten
stammen und dort zu den einflussreichsten und mächtigsten
Persönlichkeiten gehören, aber dennoch, ebenso wie der Dieb,
sterblich sind. Gemeinsam treten sie die Reise an.
Bei kaum einem Film
erscheint die Phrase: „Man kann es nicht beschreiben, man muss es
mit eigenen Augen sehen“ passender, als bei „Der Heilige Berg“.
Jodorowskys Opus ist ein Feuerwerk voller magischer Symbole, das
durch seine vielfältige Schönheit schon fast ästhetische
Rauschzustände auszulösen vermag. Teils mutet der Film wie ein
biblisches Gleichnis an, teils fühlt man sich an ein buntes und
zugleich böses Märchen erinnert. Mit jeder Minute scheint das
Geschehen um den Dieb tiefgründiger und existenzieller zu werden,
während sich „Der Heilige Berg“ in immer neuen Facetten und
Gleichnissen verliert.
„Der Heilige Berg“
erscheint einem rückblickend als alchemistische Interpretation eines
faustisch anmutenden, allumfassenden Weltbildes. In unzähligen
Wiedergeburts- und Selbstfindungsritualen beschreibt das Werk
menschliche Triebe und Weltzusammenhänge in einem. Hierbei geht
Jodorowsky streng symbolistisch vor. Der Drogenguru-hafte Alchemist
und der messianische Charakter des Diebes bestreiten einen Weg, der
wie die Reinszenierung eines christlichen Schauspiels unter LSD
wirkt. Neben der religiösen Symbolik beherrscht eine
okkult-alchemistische Herangehensweise die obskure Welt von „der
Heilige Berg“. Überall sind kryptische Symbole und Gleichnisse
auszumachen, die in ihrem Zusammenspiel wie eine psychedelische
Neuinterpretation von „Alice im Wunderland“ wirken. Besonders die
Art, in der das Konzept des Individuums immer und immer wieder
hinterfragt wird, stellt einen von vielen Höhepunkten dar.
Auch wenn es sicherlich
nicht menschenmöglich ist, alle der Bilder zu entschlüsseln, so
stellt doch vor allem der Mittelteil mit den Repräsentanten der
jeweiligen Planeten einen sehr direkten und giftigen Diskurs mit der
Welt und den negativ konnotierten, stereotypen Eigenschaften der
„Mächtigen“ dar. Gerade in diesen Szenen wirkt der groteske,
überzeichnete Humor wunder, ohne jedoch den ernsten Grundton
irgendwie zu verfremden.
„Der Heilige Berg“
wirkt wie ein Flickenteppich aus surrealen Szenen und so gut wie jede
ist zum dahinschmelzen. Angefangen bei der anfänglichen Rasur der
beiden Zwillingsfrauen und den deformierten Bewohnern der Stadt, über
die ständige Ästhetisierung von menschlichen Sexualorganen, bis hin
zu solch grandiosen Einfällen wie dem Krötentempel und dem alten
Mann, der einer Tänzerin sein Glasauge schenkt, sind alle Szenen
treffsicher, zutiefst künstlerisch und trotz ihrer Vielfalt homogen.
Jodorowskys Können im Bezug auf Symbolismus ist atemberaubend und
„Der Heilige Berg“ ist der beste Beweis dafür.
El Topo – ein
spiritueller Western
El Topo reitet mit seinem
nackten Sohn Miguel durch die Wüste und findet ein abgelegenes Dorf,
in dem alle Bewohner hingerichtet wurden. Er bringt die Attentäter
inklusive ihres Befehlshabers (dem Colonel) um und lässt seinen Sohn
zurück, um die Liebessklavin des Colonels stattdessen mitzunehmen.
Diese nötigt ihn dazu, die vier Revolverhelden der Wüste
aufzusuchen und sie zu bezwingen. Doch dies ist nur der Anfang seiner
Geschichte.
„El Topo“ ist ein
Phänomen. In das (aus heutiger Sicht eventuell drastisch unpassend
wirkende) Gewand eines Westerns gekleidet, ist „El Topo“ eine
intelligente Abhandlung über die Suche nach Gott und beschreibt
zeitgleich die Verwandlung des Hauptcharakters von einem
Revolverhelden zu einem religiösen Asket. Hierbei muss vor allem die
strikte Zweiteilung des Films beachtet und als gelungen hervorgehoben
werden.
Die erste Hälfte von „El
Topo“ ist mehr oder weniger ein gewalttätiger, befremdlicher
Western. Der Held reitet durch die Wüste, duelliert sich und rettet
eine Frau aus den Krallen einer durchtriebenen Bande. Als er seine
vier Gegner kennenlernt, wird das Geschehen metaphorischer und
verworrener. Er stellt sich zum Beispiel einem Blinden, der über ein
nahezu übermenschliches Reaktionsvermögen verfügt, einem alten
Eremiten, dem Kugeln nichts auszumachen scheinen und einem
philosophischen Charakter, der ein ödipales Verhältnis zu seiner
Mutter zu haben scheint. Als El Topo nach dem Sieg über die Gegner
völlig verzweifelt, beginnt der zweite Teil, in dem er in einem Berg
lebt und dort als Gottheit verehrt wird. Er geht eine Beziehung mit
einer kleinwüchsigen Frau ein, während in einem nahegelegenen Dorf
der religiöse Wahn um sich schlägt.
Im Gegensatz zu „Der
Heilige Berg“, resultiert ein Großteil der Aussagekraft von „El
Topo“ aus der Tatsache, dass das Geschehen über weite Strecken
eher statisch als dynamisch wirkt. Die weite Leere der Wüste und die
langsam voranschreitende Handlung erzeugen ein Gefühl von
Repetition, ohne jedoch an einem Punkt zu verharren. Aus dieser Leere
spricht die verzweifelte Suche des Hauptcharakters nach Gott bzw. dem
Göttlichen und seinem Verlangen nach Transzendenz. Es ist
interessant, wie Jodorowsky den traditionell eher eindimensionalen
Charakter des One-Shot-Action-Heros als runden, im Grunde genommen
tragischen Charakter entwirft, der in einem Umfeld voller Gewalt und
Tod nach Erleuchtung sucht.
Wo „der Heilige Berg“
alchemistisch war, ist „El Topo“ spirituell. Das Werk kann ebenso
als Parabel für das Leben gesehen werden, folgt jedoch einem
stringenteren Muster. Statt kurzer, surrealer Szenen entsteht die
Spiritualität durch konstante Weiterentwicklung, die im asketischen
Leben als Mönch ihren Höhepunkt findet. Dennoch ist „El Topo“
abstrakt und bissig und bietet einige sehr intensive Szenen. Vor
allem die Konfrontationen mit den 4 Großmeistern oder die religiösen
Festspiele in der Stadt haben einen hohen Wiedererkennungswert und
verleihen diesem tiefgründigen Film einen Hauch des diffusen
Zaubers, der „Der Heilige Berg“ zu solch einem Meisterwerk macht.
Fazit: Die drei Filme von
Alejandro Jodorowsky sind eine Wucht – inhaltlich, ästhetisch und
symbolisch. Alle drei tragen unverkennbar die selbe Handschrift,
nehmen sich ähnlichen Themen an und sind dennoch grundverschieden
und vielfältig. Hierbei ist es jedoch quasi unmöglich festzulegen,
welche Werke die „besten“ sind, da jedes eine so eigene Wirkung
auf den Zuschauer hat.
„Fando y Lis“ besticht
durch eine gewisse Garstigkeit, die jedoch immer in ein
ästhetisiertes Gewand gehüllt ist und auf einer so künstlerisch
durchdachten Ebene funktioniert, dass sich ein interessantes
Zusammenspiel aus menschlicher Verzweiflung und abstrakter
Darstellung ergibt. Innerhalb von Jodorowskys Gesamtwerk hat er eine
Ausnahmestellung inne, da die klassischen Stilmittel des Künstlers
hier in ungewohnter Form auftreten. Doch gerade dies macht „Fando y
Lis“ zu einem so beeindruckenden und gelungenen Film, der auf
keinen Fall übersehen werden sollte.
„Der Heilige Berg“ ist
pure Magie. Die ästhetische Vielfalt offenbart sich in jeder Sekunde
dieses grandiosen Werkes, welches wie eine Ode an den Alchemismus,
das Verborgene und die Existenz als solche wirkt. Es ist schwierig
diese erhabenen Bildkompositionen überhaupt als Film zu betrachten,
da „Der Heilige Berg“ eher eine Unmenge von belebten Gemälden zu
gleichen scheint. Wer sich für Symbolismus, Surrealismus und bis zu
einem gewissen Grade wohl auch Okkultismus interessiert, wird in
diesem Film einen der gelungensten, intelligentesten und schönsten
Vertreter dieser Zunft finden.
„El Topo“ könnte als
ruhigeres Gegenstück zu „Der Heilige Berg“ gesehen werden. Der
Film beschreibt eine spirituelle Katharsis und macht hierbei Gebrauch
von einem stellenweise offenen, stellenweise eher diskreten
Symbolismus, der eine ungeheure Tiefe offenbart und in perfektem
Einklang mit der Handlung und den Charakteren steht. Vor allem die
Tatsache, dass „El Topo“ im Grunde genommen ein Western ist,
trägt stark zu der sehr eigenen Identität bei, die der Film
besitzt. Die saftigste Facette ist jedoch zweifelsohne die
Darstellung von spirituellem Verlangen und der Suche nach
Göttlichkeit.
Unzeitgenössisch,
intensiv, charakterstark und anspruchsvoll sind einige Adjektive, die
einem beim Betrachten in den Sinn kommen. Das hohe Maß an Qualität
hat sich über die Jahre gehalten und die märchenhafte,
existenzielle Tiefe wirkt heutzutage wohl noch magischer, als sie es
damals tat. Es steht außer Frage, dass diese drei Filme Jodorowskys
allesamt große Kunstwerke sind, die als Meilensteine gelten, was bei
jedem dieser Filme absolut gerechtfertigt ist.
Zur DVD: Nachdem man
jahrelang zu Importen oder Bootlegs greifen musste, um sich die Filme
in den Schrank stellen zu können, hat Bildstörung nun die
ultimative Veröffentlichung herausgebracht. 2 Blu Rays (El Topo und
Der Heilige Berg), 2 Soundtracks und 2 DVDs, die die Dokumentation
„Die Konstellation Jodorowsky“ und den Film „Fando y Lis“
enthalten, befinden sich in der Box. Die Qualität ist nahezu
atemberaubend und der Preis mehr als fair. Weiterhin gibt es noch
sehr schöne Booklets und Postkarten. Uneingeschränkte Empfehlung.
Unterschreibe ich so.
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