Sonntag, 30. März 2014

SPECIAL: DIE FILME VON ALEJANDRO JODOROWSKY - FANDO Y LIS, EL TOPO UND DER HEILIGE BERG




Wenn es um Surrealismus im Bereich Film geht, gibt es einen Namen, um den es keinen Umweg gibt: Alejandro Jodorowsky. Seine Filmographie ist vielleicht nicht sonderlich lang, aber dafür hat sie umso mehr für Furore gesorgt. Der 1948 geborene Chilene gilt als Visionär im Bereich Experimentalfilm und zugleich als Meister des Surrealismus. Dies liegt nicht nur an seinen filmischen Untergrunderfolgen, sondern auch an seiner Person: Jodorowsky ist bekennender atheistischer Mystiker und Anhänger der Psychomagie, was die okkultistischen Darstellungen natürlich um einiges persönlicher und gehaltvoller macht. Viele Sagen und Mythen über lebensgefährliche Situationen und Drogen ranken sich um die filmischen Ergüsse des Ausnahmeregisseurs, doch ausschlaggebend für den Status waren und sind ganz klar die Filme selbst. Die Filme „Fando y Lis“, „El Topo“ und „Der Heilige Berg“, welche in der neu erschienenen Jodorowsky Box von Bildstörung enthalten sind, sind allesamt sehr gute Beispiel für den grandiosen visuellen Stil des Künstlers.



Fando y Lis – Die Suche nach Tar



Fando und seine gelähmte Geliebte Lis sind auf der Suche nach der magischen Stadt Tar, wo sie auf ein glückliches Leben hoffen. Er schiebt sie durch eine weite Steinwüste, in der sie mehrere obskure Charaktere treffen und wahnwitzige Situationen erleben. Doch ihre Beziehung verläuft nicht problemfrei und je weiter sie gehen, desto mehr offenbart sich die gestörte Natur ihres Verhältnisses.

Von allen Jodorowsky Filmen ist „Fando y Lis“ sicherlich der am schwersten zugängliche. Der in schwarz-weiß gedrehte Film wirft sehr viele Fragen auf und kann wohl als ein sehr zorniges, frühes Werk gesehen werden, das von aggressiven Realitätssprüngen und einer rätselhaften, fast schon soziopathischen Beziehung getragen wird. Was anfangs wie eine semi-romantische, kernige Verfilmung eines Salvador Dali Gemäldes wirkt, wird über die Zeit zunehmend neurotischer und im Endeffekt gefährlicher, was „Fando y Lis“ eine sehr anrüchige und dekadente Note verleiht – im positiven Sinne.



Das Geschehen dreht sich um das Pärchen, das den mystischen Ort Tar sucht. Sicherlich ist – wie so oft bei Jodorowsky – ein transzendentaler Aspekt in dieser Reise auszumachen, gerade weil das Elend der „echten Welt“ in diesem Beitrag wohl am direktesten und brutalsten zur Sprache kommt. So harmonisch die Beziehung der beiden anfangs auch wirken mag, sie gedeiht in einer Aura von Krankheit, Neurose und Zwietracht. Das Bild der verkrüppelten, alleine nicht lebensfähigen Lis, die gemeinsam mit Fando in einer kargen Welt aus Steinen ein idealisiertes Paradies sucht, wobei beide von Blumen und Bäumen fantasieren, spricht hierbei Bände. 



Jodorowsky liefert zwar das hohe ästhetische Niveau, das man von ihm gewohnt ist, allerdings überwiegen bei „Fando y Lis“ die verstörenden Aspekte des Surrealismus, da die zauberhafte Note von „Der Heilige Berg“ oder die religiöse Ästhetik von „El Topo“ durch eine gewisse Brutalität ersetzt wird. So gibt es zum Beispiel eine sehr verstörende Szene, in der Lis als Kind von fahrendem Zirkusvolk sexuell missbraucht wird. Weiterhin wird auch der Ödipus-Komplex (welcher auch bei „El Topo“ eine Rolle spielen wird) durch einen sehr drastischen und symbolträchtigen Muttermord angesprochen. Überhaupt ist das Verhältnis, das Fando zu Frauen hat ein Thema, welches in den komplexen Visionen auf interessante Art aufgegriffen wird. Vor allem die Szene, in der er von einer Horde Frauen durch die Wüste gescheucht wird, ist extrem ausdrucksstark, selbiges gilt für die dargestellt Schändung einer Puppe, der ein Loch in den Schritt gerammt wird, woraufhin dies mit Blindschleichen gefüllt wird. Gerade in diesen Szenen zeigt sich die wütende Kraft von „Fando y Lis“ am besten.


Der Heilige Berg – Ein surrealer Trip



Ein Dieb erklimmt einen hohen Turm und trifft dort einen mysteriösen Alchemisten. Dieser teilt ihm mit, dass er Unsterblichkeit erlangen könne, wenn er einen Berg auf der Lotus Insel besteigt. In diesem Vorhaben wird er von sieben Personen begleitet, die allesamt von einem anderen Planeten stammen und dort zu den einflussreichsten und mächtigsten Persönlichkeiten gehören, aber dennoch, ebenso wie der Dieb, sterblich sind. Gemeinsam treten sie die Reise an.



Bei kaum einem Film erscheint die Phrase: „Man kann es nicht beschreiben, man muss es mit eigenen Augen sehen“ passender, als bei „Der Heilige Berg“. Jodorowskys Opus ist ein Feuerwerk voller magischer Symbole, das durch seine vielfältige Schönheit schon fast ästhetische Rauschzustände auszulösen vermag. Teils mutet der Film wie ein biblisches Gleichnis an, teils fühlt man sich an ein buntes und zugleich böses Märchen erinnert. Mit jeder Minute scheint das Geschehen um den Dieb tiefgründiger und existenzieller zu werden, während sich „Der Heilige Berg“ in immer neuen Facetten und Gleichnissen verliert.



„Der Heilige Berg“ erscheint einem rückblickend als alchemistische Interpretation eines faustisch anmutenden, allumfassenden Weltbildes. In unzähligen Wiedergeburts- und Selbstfindungsritualen beschreibt das Werk menschliche Triebe und Weltzusammenhänge in einem. Hierbei geht Jodorowsky streng symbolistisch vor. Der Drogenguru-hafte Alchemist und der messianische Charakter des Diebes bestreiten einen Weg, der wie die Reinszenierung eines christlichen Schauspiels unter LSD wirkt. Neben der religiösen Symbolik beherrscht eine okkult-alchemistische Herangehensweise die obskure Welt von „der Heilige Berg“. Überall sind kryptische Symbole und Gleichnisse auszumachen, die in ihrem Zusammenspiel wie eine psychedelische Neuinterpretation von „Alice im Wunderland“ wirken. Besonders die Art, in der das Konzept des Individuums immer und immer wieder hinterfragt wird, stellt einen von vielen Höhepunkten dar.



Auch wenn es sicherlich nicht menschenmöglich ist, alle der Bilder zu entschlüsseln, so stellt doch vor allem der Mittelteil mit den Repräsentanten der jeweiligen Planeten einen sehr direkten und giftigen Diskurs mit der Welt und den negativ konnotierten, stereotypen Eigenschaften der „Mächtigen“ dar. Gerade in diesen Szenen wirkt der groteske, überzeichnete Humor wunder, ohne jedoch den ernsten Grundton irgendwie zu verfremden. 



„Der Heilige Berg“ wirkt wie ein Flickenteppich aus surrealen Szenen und so gut wie jede ist zum dahinschmelzen. Angefangen bei der anfänglichen Rasur der beiden Zwillingsfrauen und den deformierten Bewohnern der Stadt, über die ständige Ästhetisierung von menschlichen Sexualorganen, bis hin zu solch grandiosen Einfällen wie dem Krötentempel und dem alten Mann, der einer Tänzerin sein Glasauge schenkt, sind alle Szenen treffsicher, zutiefst künstlerisch und trotz ihrer Vielfalt homogen. Jodorowskys Können im Bezug auf Symbolismus ist atemberaubend und „Der Heilige Berg“ ist der beste Beweis dafür.


El Topo – ein spiritueller Western



El Topo reitet mit seinem nackten Sohn Miguel durch die Wüste und findet ein abgelegenes Dorf, in dem alle Bewohner hingerichtet wurden. Er bringt die Attentäter inklusive ihres Befehlshabers (dem Colonel) um und lässt seinen Sohn zurück, um die Liebessklavin des Colonels stattdessen mitzunehmen. Diese nötigt ihn dazu, die vier Revolverhelden der Wüste aufzusuchen und sie zu bezwingen. Doch dies ist nur der Anfang seiner Geschichte.



„El Topo“ ist ein Phänomen. In das (aus heutiger Sicht eventuell drastisch unpassend wirkende) Gewand eines Westerns gekleidet, ist „El Topo“ eine intelligente Abhandlung über die Suche nach Gott und beschreibt zeitgleich die Verwandlung des Hauptcharakters von einem Revolverhelden zu einem religiösen Asket. Hierbei muss vor allem die strikte Zweiteilung des Films beachtet und als gelungen hervorgehoben werden.



Die erste Hälfte von „El Topo“ ist mehr oder weniger ein gewalttätiger, befremdlicher Western. Der Held reitet durch die Wüste, duelliert sich und rettet eine Frau aus den Krallen einer durchtriebenen Bande. Als er seine vier Gegner kennenlernt, wird das Geschehen metaphorischer und verworrener. Er stellt sich zum Beispiel einem Blinden, der über ein nahezu übermenschliches Reaktionsvermögen verfügt, einem alten Eremiten, dem Kugeln nichts auszumachen scheinen und einem philosophischen Charakter, der ein ödipales Verhältnis zu seiner Mutter zu haben scheint. Als El Topo nach dem Sieg über die Gegner völlig verzweifelt, beginnt der zweite Teil, in dem er in einem Berg lebt und dort als Gottheit verehrt wird. Er geht eine Beziehung mit einer kleinwüchsigen Frau ein, während in einem nahegelegenen Dorf der religiöse Wahn um sich schlägt.



Im Gegensatz zu „Der Heilige Berg“, resultiert ein Großteil der Aussagekraft von „El Topo“ aus der Tatsache, dass das Geschehen über weite Strecken eher statisch als dynamisch wirkt. Die weite Leere der Wüste und die langsam voranschreitende Handlung erzeugen ein Gefühl von Repetition, ohne jedoch an einem Punkt zu verharren. Aus dieser Leere spricht die verzweifelte Suche des Hauptcharakters nach Gott bzw. dem Göttlichen und seinem Verlangen nach Transzendenz. Es ist interessant, wie Jodorowsky den traditionell eher eindimensionalen Charakter des One-Shot-Action-Heros als runden, im Grunde genommen tragischen Charakter entwirft, der in einem Umfeld voller Gewalt und Tod nach Erleuchtung sucht.




Wo „der Heilige Berg“ alchemistisch war, ist „El Topo“ spirituell. Das Werk kann ebenso als Parabel für das Leben gesehen werden, folgt jedoch einem stringenteren Muster. Statt kurzer, surrealer Szenen entsteht die Spiritualität durch konstante Weiterentwicklung, die im asketischen Leben als Mönch ihren Höhepunkt findet. Dennoch ist „El Topo“ abstrakt und bissig und bietet einige sehr intensive Szenen. Vor allem die Konfrontationen mit den 4 Großmeistern oder die religiösen Festspiele in der Stadt haben einen hohen Wiedererkennungswert und verleihen diesem tiefgründigen Film einen Hauch des diffusen Zaubers, der „Der Heilige Berg“ zu solch einem Meisterwerk macht. 



Fazit: Die drei Filme von Alejandro Jodorowsky sind eine Wucht – inhaltlich, ästhetisch und symbolisch. Alle drei tragen unverkennbar die selbe Handschrift, nehmen sich ähnlichen Themen an und sind dennoch grundverschieden und vielfältig. Hierbei ist es jedoch quasi unmöglich festzulegen, welche Werke die „besten“ sind, da jedes eine so eigene Wirkung auf den Zuschauer hat.
„Fando y Lis“ besticht durch eine gewisse Garstigkeit, die jedoch immer in ein ästhetisiertes Gewand gehüllt ist und auf einer so künstlerisch durchdachten Ebene funktioniert, dass sich ein interessantes Zusammenspiel aus menschlicher Verzweiflung und abstrakter Darstellung ergibt. Innerhalb von Jodorowskys Gesamtwerk hat er eine Ausnahmestellung inne, da die klassischen Stilmittel des Künstlers hier in ungewohnter Form auftreten. Doch gerade dies macht „Fando y Lis“ zu einem so beeindruckenden und gelungenen Film, der auf keinen Fall übersehen werden sollte.
„Der Heilige Berg“ ist pure Magie. Die ästhetische Vielfalt offenbart sich in jeder Sekunde dieses grandiosen Werkes, welches wie eine Ode an den Alchemismus, das Verborgene und die Existenz als solche wirkt. Es ist schwierig diese erhabenen Bildkompositionen überhaupt als Film zu betrachten, da „Der Heilige Berg“ eher eine Unmenge von belebten Gemälden zu gleichen scheint. Wer sich für Symbolismus, Surrealismus und bis zu einem gewissen Grade wohl auch Okkultismus interessiert, wird in diesem Film einen der gelungensten, intelligentesten und schönsten Vertreter dieser Zunft finden.
„El Topo“ könnte als ruhigeres Gegenstück zu „Der Heilige Berg“ gesehen werden. Der Film beschreibt eine spirituelle Katharsis und macht hierbei Gebrauch von einem stellenweise offenen, stellenweise eher diskreten Symbolismus, der eine ungeheure Tiefe offenbart und in perfektem Einklang mit der Handlung und den Charakteren steht. Vor allem die Tatsache, dass „El Topo“ im Grunde genommen ein Western ist, trägt stark zu der sehr eigenen Identität bei, die der Film besitzt. Die saftigste Facette ist jedoch zweifelsohne die Darstellung von spirituellem Verlangen und der Suche nach Göttlichkeit.
Unzeitgenössisch, intensiv, charakterstark und anspruchsvoll sind einige Adjektive, die einem beim Betrachten in den Sinn kommen. Das hohe Maß an Qualität hat sich über die Jahre gehalten und die märchenhafte, existenzielle Tiefe wirkt heutzutage wohl noch magischer, als sie es damals tat. Es steht außer Frage, dass diese drei Filme Jodorowskys allesamt große Kunstwerke sind, die als Meilensteine gelten, was bei jedem dieser Filme absolut gerechtfertigt ist. 



Zur DVD: Nachdem man jahrelang zu Importen oder Bootlegs greifen musste, um sich die Filme in den Schrank stellen zu können, hat Bildstörung nun die ultimative Veröffentlichung herausgebracht. 2 Blu Rays (El Topo und Der Heilige Berg), 2 Soundtracks und 2 DVDs, die die Dokumentation „Die Konstellation Jodorowsky“ und den Film „Fando y Lis“ enthalten, befinden sich in der Box. Die Qualität ist nahezu atemberaubend und der Preis mehr als fair. Weiterhin gibt es noch sehr schöne Booklets und Postkarten. Uneingeschränkte Empfehlung.

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