Montag, 8. Februar 2016

REVIEW: NAUSEA (Robert Crumb)



Robert Crumb, der mit seiner gezeichneten Mischung aus Biografie und Adaption “Kafka” schon einmal auf TM rezensiert wurde, ist wohl einer der prägendsten Charaktere der jüngeren Comicgeschichte. So erschuf er zum Beispiel den Kultcharakter “Fritz the Cat”, dem in den 70ern ein skandalträchtiger und ikonisch verehrter Zeichentrickfilm gewidmet wurde, und landete mit einigen seiner Comicstrips in Deutschland sogar auf dem Index. Crumb ist ein Künstler mit Charakter. Seine persönlichen Obsessionen, Gefühle und Ängste werden mit nahezu brutaler Ehrlichkeit offengelegt, wobei er oftmals grundlegende Regeln der Dramaturgie missachtet. In der Comicsammlung “Nausea” kommen diese und weitere Qualitäten perfekt zum Vorschein. Diese beherbergt neun verschiedene Geschichten aus der Feder Robert Crumbs, die nicht nur die Gründe für seinen Status, sondern auch den Abwechselungsreichtum seines Schaffens demonstrieren.




Die Comicauswahl in “Nausea” zeigt schon auf den ersten Blick, dass es sich hier um Beiträge handelt, welche prototypisch für Crumb sind. Viele der zwischen 1985 und 1999 entstandenen Comics beruhen auf Büchern oder dem Leben echter Personen, so zum Beispiel “Boswells Londoner Tagebuch”, “Die religiöse Erleuchtung des Philip K. Dick” und “Jelly Roll Mortons Voodoo-Fluch”. Was die liste an behandelten Autoren angeht, so stechen vor allem Richard von Krafft-Ebing (“Psychopathia Sexualis”) und der Existenzialist Jean-Paul Sartre, nach dessen Romanumsetzung “Nausea” (“Der Ekel”) der Band benannt ist, heraus. Doch auch gänzlich autonome Geschichten wie “Böses Karma” gehören zum Repertoire von “Nausea”.



Mit “Psychopathia Sexualis” liegt gleich zu Anfang eine der zugleich skurillsten, explizitesten und interessantesten Geschichten des gesamten Kompendiums vor. Hier adaptiert Crumb einige der bemerkenswerteren Fälle aus Krafft-Ebings gleichnamigen (aus heutiger Sicht natürlich hanebüchenen) Klassiker der Psychoanalyse. Hier profitiert die Story vor allem von der szenischen und wechselhaften Natur, die natürlich die perfekte Farbgebung für die Obskurität des zugrundeliegenden Buches darstellen. Es scheint, als ob Crumb bewusst überschaubare und scheinbar triviale Geschehnisse auswählt, um – gerade in der Darstellung von Sexualität - den Fokus rein auf die Leitmotive und ihre Wirkung zu legen. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel mit “Die Abenteuer von 'Wichita' – Ratte & Tänzerin”, in der das abseitige, sexuelle Treiben einiger anthropomorphen Tiergestalten beschrieben wird. Als vollkommenes Gegenteil fungiert zum Beispiel “Jelly Roll Mortons Voodoo-Fluch”, in der eine verhältnismäßig lange Geschichte ganz klassisch von vorne bis hinten erzählt wird. Das Ergebnis ist eine Art gezeichnetes Gemisch aus Film Noir und Horror, das sich wohl am ehesten mit den EC Comics (allen voran natürlich der “Tales from the Crypt” Reihe) der 50er vergleichen lässt.



Trotz diesen verschiedenen Herangehensweisen bleibt eines gleich: die zutiefst persönlichen Themen, die mit einfließen. Robert Crumb ist wohl – eben wie der Autor Franz Kafka, für den er eine ausgesprochene Sympathie hegte – am ehesten als obsessiver und katharsischer Künstler zu verstehen, der sein eigenes Leid und seine eigenen Faszinationen in seiner Kunst verarbeitet und wohl auch zu einem gewissen Grad exorziert. Zentral ist hier die Idee des von Minderwertigkeitskomplexen gebeutelten, sozial mehr oder weniger dysfunktionalen Indvidiuums. So drängt es sich zum Beispiel auf, den unansehnlichen und unfähigen Wicht, der die tragende Rolle in “Böses Karma” spielt, als eine (überzeichnete) Karikatur einiger Charakterzüge des Zeichners zu interpretieren. Ähnlich verhält es sich mit den bitteren Existenzialismus-Tiraden in “Nausea”, die Crumb wie auf den Leib geschnitten zu sein scheinen.



Diese mitunter absonderliche Passion zeigt sich vor allem in einer Sache: Sexualität. “Mein Geheimes Leben” und “Die Abenteuer von 'Wichita'” muten wie reine, von widernatürlicher Devianz geprägte Sexorgien an. Fußfetische, Sado-Maso, Geschlechtsverkehr mit Prostituierten und vieles mehr zeichnen ein Bild von sexueller Leidenschaft, die perfekt in das Menschenbild, das Crumb entwirft, geradezu perfekt zu stützen wissen. Von besonderer Intensität ist hier die Bilderserie, in der Crumb photorealistische Porträts von Insassinnen eines Irrenhauses präsentiert. Gerade hier zeigt er sich von einer offenen und mitunter verletzbaren Seite, die exemplarisch für die ungeheure emotionale Tragkraft seiner Comics steht. Dies ist nämlich das definierende Element, das die Comics in “Nausea” von einer bloßen Ekelshow unterscheidet.

Als Cartoonist ist Crumbs Können unumstritten. Seine Bilder sind stellenweise in höchstem Maße realistisch und detailliert, hier und da gewollt cartoonistisch und oftmals irgendwo zwischen diesen sprichwörtlichen Stühlen beheimatet. Hier spiegelt sich dieselbe Anpassungsfähigkeit wider, die man auf der Ebene der Handlung feststellen kann. Neben den besagten Insassinnen-Porträts, vermögen sich “Nausea” und “Jelly Roll Mortons Voodoo-Fluch” hier noch einmal besonders positiv herauszuheben, was die optische Gestaltung angeht. Jedoch hat man immer das Gefühl, dass Crumb in “Nausea” genau weiß, mit welchen Mitteln er die jeweilige Welt in all ihren Facetten erschafft,




Fazit: “Nausea” ist ein wahrlich beeindruckendes Beispiel für hochgradig individualistische, durchdachte und abseitige Kunst. Robert Crumb analysiert existenzielle Themen, legt sein Innerstes offen und tut dies mit einer immens hohen Dosis an Witz, Charme und Derbheit, ohne jemals lächerlich zu werden. Auch wenn der Band wie ein bunter Blumenstrauß voller verschiedener Werke anmutet, vermag man doch genau zu erkennen, was Crumbs Anliegen ist und weshalb er es in dieser Form darstellt. Ein anspruchsvoller, kerniger und schlichtweg wunderschöner Band!

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