Robert Crumb, der
mit seiner gezeichneten Mischung aus Biografie und Adaption “Kafka”
schon einmal auf TM rezensiert wurde, ist wohl einer der prägendsten
Charaktere der jüngeren Comicgeschichte. So erschuf er zum Beispiel
den Kultcharakter “Fritz the Cat”, dem in den 70ern ein
skandalträchtiger und ikonisch verehrter Zeichentrickfilm gewidmet
wurde, und landete mit einigen seiner Comicstrips in Deutschland
sogar auf dem Index. Crumb ist ein Künstler mit Charakter. Seine
persönlichen Obsessionen, Gefühle und Ängste werden mit nahezu
brutaler Ehrlichkeit offengelegt, wobei er oftmals grundlegende
Regeln der Dramaturgie missachtet. In der Comicsammlung “Nausea”
kommen diese und weitere Qualitäten perfekt zum Vorschein. Diese
beherbergt neun verschiedene Geschichten aus der Feder Robert Crumbs,
die nicht nur die Gründe für seinen Status, sondern auch den
Abwechselungsreichtum seines Schaffens demonstrieren.
Die Comicauswahl in
“Nausea” zeigt schon auf den ersten Blick, dass es sich hier um
Beiträge handelt, welche prototypisch für Crumb sind. Viele der
zwischen 1985 und 1999 entstandenen Comics beruhen auf Büchern oder
dem Leben echter Personen, so zum Beispiel “Boswells Londoner
Tagebuch”, “Die religiöse Erleuchtung des Philip K. Dick” und
“Jelly Roll Mortons Voodoo-Fluch”. Was die liste an behandelten
Autoren angeht, so stechen vor allem Richard von Krafft-Ebing
(“Psychopathia Sexualis”) und der Existenzialist Jean-Paul
Sartre, nach dessen Romanumsetzung “Nausea” (“Der Ekel”) der
Band benannt ist, heraus. Doch auch gänzlich autonome Geschichten
wie “Böses Karma” gehören zum Repertoire von “Nausea”.
Mit “Psychopathia
Sexualis” liegt gleich zu Anfang eine der zugleich skurillsten,
explizitesten und interessantesten Geschichten des gesamten
Kompendiums vor. Hier adaptiert Crumb einige der bemerkenswerteren
Fälle aus Krafft-Ebings gleichnamigen (aus heutiger Sicht natürlich
hanebüchenen) Klassiker der Psychoanalyse. Hier profitiert die Story
vor allem von der szenischen und wechselhaften Natur, die natürlich
die perfekte Farbgebung für die Obskurität des zugrundeliegenden
Buches darstellen. Es scheint, als ob Crumb bewusst überschaubare
und scheinbar triviale Geschehnisse auswählt, um – gerade in der
Darstellung von Sexualität - den Fokus rein auf die Leitmotive und
ihre Wirkung zu legen. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel mit
“Die Abenteuer von 'Wichita' – Ratte & Tänzerin”, in der
das abseitige, sexuelle Treiben einiger anthropomorphen Tiergestalten
beschrieben wird. Als vollkommenes Gegenteil fungiert zum Beispiel
“Jelly Roll Mortons Voodoo-Fluch”, in der eine verhältnismäßig
lange Geschichte ganz klassisch von vorne bis hinten erzählt wird.
Das Ergebnis ist eine Art gezeichnetes Gemisch aus Film Noir und
Horror, das sich wohl am ehesten mit den EC Comics (allen voran
natürlich der “Tales from the Crypt” Reihe) der 50er vergleichen
lässt.
Trotz diesen
verschiedenen Herangehensweisen bleibt eines gleich: die zutiefst
persönlichen Themen, die mit einfließen. Robert Crumb ist wohl –
eben wie der Autor Franz Kafka, für den er eine ausgesprochene
Sympathie hegte – am ehesten als obsessiver und katharsischer
Künstler zu verstehen, der sein eigenes Leid und seine eigenen
Faszinationen in seiner Kunst verarbeitet und wohl auch zu einem
gewissen Grad exorziert. Zentral ist hier die Idee des von
Minderwertigkeitskomplexen gebeutelten, sozial mehr oder weniger
dysfunktionalen Indvidiuums. So drängt es sich zum Beispiel auf, den
unansehnlichen und unfähigen Wicht, der die tragende Rolle in “Böses
Karma” spielt, als eine (überzeichnete) Karikatur einiger
Charakterzüge des Zeichners zu interpretieren. Ähnlich verhält es
sich mit den bitteren Existenzialismus-Tiraden in “Nausea”, die
Crumb wie auf den Leib geschnitten zu sein scheinen.
Diese mitunter
absonderliche Passion zeigt sich vor allem in einer Sache:
Sexualität. “Mein Geheimes Leben” und “Die Abenteuer von
'Wichita'” muten wie reine, von widernatürlicher Devianz geprägte
Sexorgien an. Fußfetische, Sado-Maso, Geschlechtsverkehr mit
Prostituierten und vieles mehr zeichnen ein Bild von sexueller
Leidenschaft, die perfekt in das Menschenbild, das Crumb entwirft,
geradezu perfekt zu stützen wissen. Von besonderer Intensität ist
hier die Bilderserie, in der Crumb photorealistische Porträts von
Insassinnen eines Irrenhauses präsentiert. Gerade hier zeigt er sich
von einer offenen und mitunter verletzbaren Seite, die exemplarisch
für die ungeheure emotionale Tragkraft seiner Comics steht. Dies
ist nämlich das definierende Element, das die Comics in “Nausea”
von einer bloßen Ekelshow unterscheidet.
Als Cartoonist ist
Crumbs Können unumstritten. Seine Bilder sind stellenweise in
höchstem Maße realistisch und detailliert, hier und da gewollt
cartoonistisch und oftmals irgendwo zwischen diesen sprichwörtlichen
Stühlen beheimatet. Hier spiegelt sich dieselbe Anpassungsfähigkeit
wider, die man auf der Ebene der Handlung feststellen kann. Neben den
besagten Insassinnen-Porträts, vermögen sich “Nausea” und
“Jelly Roll Mortons Voodoo-Fluch” hier noch einmal besonders
positiv herauszuheben, was die optische Gestaltung angeht. Jedoch hat
man immer das Gefühl, dass Crumb in “Nausea” genau weiß, mit
welchen Mitteln er die jeweilige Welt in all ihren Facetten
erschafft,
Fazit: “Nausea”
ist ein wahrlich beeindruckendes Beispiel für hochgradig
individualistische, durchdachte und abseitige Kunst. Robert Crumb
analysiert existenzielle Themen, legt sein Innerstes offen und tut
dies mit einer immens hohen Dosis an Witz, Charme und Derbheit, ohne
jemals lächerlich zu werden. Auch wenn der Band wie ein bunter
Blumenstrauß voller verschiedener Werke anmutet, vermag man doch
genau zu erkennen, was Crumbs Anliegen ist und weshalb er es in
dieser Form darstellt. Ein anspruchsvoller, kerniger und schlichtweg
wunderschöner Band!
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