Sonntag, 2. Februar 2014

REVIEW: BLUT AN DEN LIPPEN (Harry Kümel, 1971)





Ein frisch vermähltes Ehepaar ist auf der Durchreise und entschließt sich einige Tage in einem Hotel in Ostende zu verbringen. Dort lernt das junge Paar die exzentrische Gräfin Bathory und ihre Bedienstete kennen. Bathory fängt umgehend an, das Paar für sich zu vereinnahmen und erst langsam wird klar, dass sie keine positiven Absichten hat. Als sich zu diesem bösartigen Einfluss auch noch einige persönliche Probleme hinzugesellen, folgt die unausweichliche Eskalation.



Die Legende von Elizabeth Báthory, welche auch liebevoll „Blutgräfin“ genannt wird, dürfte den meisten ein Begriff sein. Die ungarische Gräfin soll zu Lebzeiten (1560 – 1614) für den Tod von sehr vielen jungen Frauen verantwortlich gewesen sein und ihre Folter sehr ausgiebig zelebriert haben. Der Mythos des Im-Blut-Badens ist reine Fiktion und selbst die Schuld der Dame wurde über die Zeit in Frage gestellt, jedoch ist Bathory, ebenso wie z.B. Vlad Tepes und zu einem geringeren Ausmaß Gilles de Rais, ein gerne verwendetes Sinnbild für das wahrhaftig böse, welches – zumindest in Grundzügen – tatsächlich in der Realität verhaftet ist. Der Regisseur Harry Kümel bezieht sich mit seinem 1971 entstandenen Film „Blut an den Lippen“ (OT: Les Lévres Rouge) lose auf die Legende und vermischt Teile daraus mit einer erotischen Vampirgeschichte, in der auch dramatische Elemente vorhanden sind. Obwohl die Produktion unter keinem guten Stern gestanden zu haben scheint, ist „Blut an den Lippen“ ein Kind seiner Zeit, welches sehr gut gealtert ist und einiges an Charakter mit sich bringt.





Stefan und Valerie haben heimlich geheiratet und sind auf dem Weg zu Stefans Eltern, welche von der Verlobung noch nichts wissen. In Ostende entschließen sie sich, einige Tage in einem Hotel zu verbringen. Als Valerie Stefan verdächtigt, ihre Vermählung absichtlich vor seiner (offenbar spießigen, aristokratischen) Mutter zu verbergen, bahnen sich die ersten Streitigkeiten an. Zeitgleich treffen die Gräfin Elizabeth Bathory und ihre Gehilfin Ilona ein, welche sofort ein Auge auf die frisch Vermählten  werfen. Als Stefan und Valerie am darauffolgenden Tag die Stadt besichtigen, werden sie Zeuge, wie die Polizei eine völlig blutleere, entstellte Leiche birgt. Valerie ist erschüttert zu sehen, wie angetan Stefan vom Anblick des toten Körpers zu sein scheint. Am Abend lernen sich das junge Paar und die Gräfin in der Lobby des Hotels etwas besser kennen und Stefan ist sowohl von ihren Ausführungen, als auch von Bathorys Gehilfin Ilona fasziniert. Die Saat der Zwietracht ist gesät und nachdem Stefan Valerie nach dem Telefonat mit seinen Eltern brutal misshandelt, möchte Valerie türmen, doch Gräfin Bathory möchte dies nicht zulassen. Die Falle schnappt zu.



Wie viele Filme aus den 70ern, wird „Blut an den Lippen“ primär durch die Charaktere getragen. Kümel entwirft ein relativ komplexes, gewollt marodes Beziehungsdreieck, dessen Dynamik den Film ausmacht. Schon in der ersten Szene wird klar, dass die Beziehung zwischen Stefan und Valerie alles andere als harmonisch ist. Während Valerie sehr anhänglich und harmoniebedürftig zu sein scheint, entpuppt sich Stefan nach und nach als tyrannischer, gefühlskalter Mensch, der offen gewalttätige und sadistische Neigungen hat. Die Gegenüberstellung von der schwachen weiblichen Rolle und der grenzübertretenden, männlichen Rolle, erinnert an altbekannte Strickmuster, wird aber durch den schleichenden Aufbau interessant gehalten. Im Mittelpunkt steht natürlich Elizabeth Bathory, welche von Delphine Seyrig in geradezu kongenialer Weise verkörpert wird (es wird angeraten, den Verweis auf die englische Sprachfassung ernst zunehmen). Bathory hat ein vereinnahmendes, symathisches Wesen und wirkt in ihrem offen zu Tage getragenen Dandyismus fast schon wie das weibliche Pendant eines 50er Jahre Gentlemans. Trotz ihres Charmes ist es immer klar, dass von diesem Charakter und dieser Konstellation eine enorme Bedrohung ausgeht, was den Zuschauer in eine „was passiert als nächstes“-Gefühlslage versetzt. Dennoch ist „Blut an den Lippen“ streng genommen viel näher an einem Beziehungsdrama, als am klassischen Horrorfilm. Kümel schafft eine unterbewusste Bedrohung, die so gut wie immer spürbar ist, jedoch ist es von essentieller Wichtigkeit, dass man sich auf die Charaktere einlässt. 



Eines der bestechenden Merkmale von „Blut an den Lippen“ ist die Art, in der er Erotik präsentiert. Sexualität wird stets stilvoll und ästhetisch inszeniert und ist von den wüsten Exploitern von Leuten wie Erwin C. Dietrich und Jess Franco meilenweit entfernt. Die sehr attraktive Bathory wirkt stets anzüglich und tritt offen lüstern auf. Mit ihren teuren Kleidern, ihren vollen, roten Lippen und ihren Haaren wirkt sie wie ein Vamp, der offen seine Verführungskünste zu Tage trägt. Im Gegensatz dazu wirkt Valerie mit ihren kindlichen Gesichtszügen und ihren langen, strohblonden Haaren fast schon bieder und wie die sprichwörtliche Unschuld vom Lande.
Ausgehend hiervon ist es interessant zu sehen, wie Vampirismus in „Blut an den Lippen“ dargestellt wird. Da man traditionelle Dracula-Elemente eher meidet, kann man sagen, dass Kümel einen triebhaften, dominanten Vampirismus entwirft, der auf Unterwerfung beruht. Die blonde Valerie, quasi der Stereotyp der Reinheit, wird von allen Seiten begehrt und umgarnt. Nicht nur ihr brutaler Ehemann übt sexuelle Macht über sie aus, auch Ilona begafft sie beim Duschen, ganz zu schweigen von den offen lesbischen Avancen der Elizabeth Bathory. Eine der raffiniertesten Schlüsselszenen zeigt Bathory und Stefan, wie sie auf lasziv über die Quälereien sprechen, die auf ihrem Heimatschloss in Ungarn begangen wurden und dabei aneinander herumfahren und orgasmisch stöhnen. Unterdrückung, Voyeurismus und Sadismus verleihen dem Vampirismus eine realitätsnahe und subtile Note, vor allem die lesbischen Beziehungen, die sich durch den ganzen Film ziehen und irgendwann die tragende Rolle im Beziehungsdreieck spielen, sind sehr durchdacht und lassen teilweise Erinnerungen an Jean Rollins Filme wach werden. Die erotische Aufladung vieler Szenen dürfte bei einigen unter „typisch 70er“ verbucht werden, was zu gleichen Teilen wahr und unwahr ist. Sicherlich sind viele der Schauwerte von „Blut an den Lippen“ im Kino der 70er verankert, dennoch ist er weitaus „mehr“ als ein Sexploitation Film, denn dafür ist die Inszenierung einfach zu zielgerichtet und durchdacht.



Auch die handwerkliche Seite des Films unterstreicht die sexuelle Komponente sehr gut. Es wird auf sehr gekonnte Weise mit grellen Farben gespielt, so ist die Lady Bathory z.B. immer rot angezogen oder in roten Szenarien zu bewundern, wohingegen das Paar oftmals von einem kalten blau begleitet wird. Diese stilistisch dezente Note mystifiziert das an sich sehr bodenständige Setting und verleiht den Bildern den nötigen Pepp. Auch die Sets und Schauorte sind allesamt sehr schön anzusehen.

Fazit: Exzentrischer, subtiler und erotischer Film, der auf radikal unmoderne Art einen hypersexuellen Vampirismus erschafft und vor allem durch das grandiose Schauspiel von Seyrig getragen wird. In durchdachten Bildern eingefangen und mit der nötigen Ruhe inszeniert, entpuppt sich „Blut an den Lippen“ als interessant verwobenes, multidimensionales Werk, das nicht zuletzt wegen seiner Eigensinnigkeit von Interesse ist. Mit dem nötigen Feingefühl betrachtet, ein wirklich gehaltvolles Erlebnis.

Zur DVD: Bildstörung präsentiert „Blut an den Lippen“ auf DVD und Blu-Ray (die Blu Ray hat ein sehr gutes Bild) mit einer sehr informativen Bonus DVD, welche einige sehr interessante Extras zu bieten hat und einem gewohnt hochwertigen Booklet. Der Schuber ist wie immer flatschenfrei.

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