Mittwoch, 11. September 2013

REVIEW: KAFKA (Graphic Novel; Robert Crumb/David Z. Mairowitz)






Franz Kafka dürfte so ziemlich jedem ein Begriff sein, der sich jemals in seinem Leben mit deutschsprachiger Literatur befasst hat. Zwar sind “Der Prozess“ und andere Werke Kafkas nicht unbedingt beliebt bei Schülern (und oftmals sogar Lehrern), doch sein Status als Visionär und großer Künstler ist unangefochten. Kafkas Roman(fragment)e und Kurzgeschichten sind bizarr, nahezu morbide, düster, kryptisch und surreal. Sein unverkennbarer Schreibstil lässt seine Werke phantastisch und realistisch zugleich erscheinen, ein Stil, den man nur mit einem Wort beschreiben kann: kafkaesk. Zahlreiche surreale Künstler im Bereich Film, bildende Kunst und Musik nahmen sich Kafkas Themen an, oder wurden zumindest von seiner Ästhetik mehr als merklich beeinflusst, doch niemals hat jemand etwas geschaffen, das Kafkas Lebenswerk ebenbürtig wäre oder es sogar übertreffen könnte.





Einer der Gründe für die Qualität und Eigenartigkeit von Kafkas Lebenswerk ist die Art, in der er persönliche Neurosen, Ängste und Erfahrungen in seine Geschichten hat einfließen lassen. Auch wenn Kafkas Werke für sich betrachtet grandios sind, entfalten sie ihre wahre Wirkung erst dann, wenn man die Person Franz Kafka kennt. Die Graphic Novel “Kafka“, die von David Zane Mairowitz geschrieben und von Robert Crumb illustriert wurde, hat es geschafft, Person und Werk auf geniale Weise zu verknüpfen. Halb als Biographie, halb als Adaption seiner bekanntesten Geschichten angelegt, ist “Kafka“ das Beste aus zwei Welten: die biographische Aspekt wurde auf das Wesentliche reduziert und die Geschichten auf ihre aussagekräftigsten Szenen verkürzt.




Es wird direkt klar, dass die Graphic Novel auf eine sehr interessante und pfiffige Art die jeweiligen Themen zu behandeln weiß. Die interessanten Texte und die Illustrationen arbeiten sehr schön zusammen, ohne dass eines der beiden irgendwie untergeht oder die zweite Geige spielt. Die Texte sind sehr aufschlussreich und schwanken zwischen lebendig gestalteten Beschreibungen von Kafkas Privatleben, Erläuterungen der historischen Umstände und dezenten Deutungen. Gerade in Bezug auf Letzteres muss man ein Lob aussprechen. Kafkas Leben und Werk stehen immer im Vordergrund, die Deutungsansätze sind zwar vorhanden, sind aber immer sehr neutral und unaufdringlich. Der Stil der Illustrationen bzw. Comic Strips ist traumhaft. Oftmals vom Design her expressionistisch anmutend (gerade was die Überschriften und Raumgestaltungen angeht), comichaft, aber dennoch sehr düster. Nicht zu realistisch, allerdings mit sehr lebensechten Gesichtern. Perfekt um Kafkas Visionen auf Papier zu bringen.





Anfangs wird sehr stark auf Kafkas Beziehung zu seinem Glauben, dem Judentum, und sein Umfeld eingegangen. Hierbei machen Crumb und Mairowitz nicht den gängigen Fehler und reduzieren Kafka und sein Werk auf sein schwieriges Verhältnis zu seiner Religion. Hervorzuheben ist ganz klar die Form, in der der jüdische Mythos des “Golem“, sowie die Darstellungen der antisemitischen Propaganda, welche zu dieser Zeit betrieben wurde. Gerade in diesen “Zwischenschnitten“ funktioniert der Zeichenstil perfekt und trägt dazu bei, dass diese “Exkursionen“ auch haften bleiben.



Ein weiteres Thema, welches sehr eindringlich geschildert wird, ist Kafkas Beziehung zu seinem Vater Herrmann Kafka. Hierzu wird seine sehr bekannte Kurzgeschichte “Das Urteil“ adaptiert. In dieser sehr persönlichen Geschichte geht es um einen jungen Mann, der seinem Vater die Nachricht seiner Verlobung bringt und daraufhin von ihm als Lügner bezichtigt und zum Tode verurteilt wird. Die Geschichte endet damit, dass der Sohn aus der Wohnung rennt und sich in einem Fluss ertränkt. Es gibt wohl keine Geschichte, die Kafkas Verhältnis zu seinem Vater besser beschreibt. Auf dieses wird in “Kafka“ mehrfach Bezug genommen. Hierbei wird Herrmann oft als verzerrte, bestialische Gestalt dargestellt, wohingegen der verschüchterte Franz geradezu mickrig wirkt. Ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Fakten aus Kafkas Leben, eine seiner Geschichten, in der das jeweilige Thema aufgegriffen wird und aussagekräftige Illustrationen einen Themenkomplex auf kurzweilige Art behandeln und dem Leser näher bringen, ohne jedoch die nötige Tiefe vermissen zu lassen.





Kafkas gestörtes Selbstbild und seine Minderwertigkeitskomplexe kommen vor allem in einer seiner bekanntesten Geschichten sehr stark zur Geltung: “die Verwandlung“. Gregor Samsa wacht morgens auf und hat sich in ein Insekt verwandelt. Nach mehreren Erniedrigungen, stirbt er irgendwann alleine im Hinterzimmer. Diese Geschichte, welche viele Leute als Kafkas Markenzeichen sehen, ist sehr ausführlich nacherzählt und in grandioser Weise in “Kafka“ nachgezeichnet worden. Die groteske Natur dieser Geschichte erstrahlt in den einzelnen Panels in einer Dynamik, welche für Kafka fast schon befremdlich wirkt, gibt den Geist der Geschichte jedoch absolut naturgetreu wieder. Der Text besteht zum Teil aus Zitaten, zum Teil aus Zusammenfassungen, die Bilder tun ihr übriges. Es ist schön zu sehen, wie viel Liebe und Sorgfalt in dem Konzept von “Kafka“ steckt. Gerade bei “die Verwandlung“ merkt man, wie gut das von Crumb und Mairowitz gewählte Format zu Kafkas Vorlage passt. Der Hauptgrund hierfür ist, neben der genialen Storyline, das gelungene Design des Käfers selbst. Alle tierischen, bzw. anthropomorph tierischen, Gestalten aus Kafkas Geschichten (u. A. Josephine, welche nur am Rande kurz auftaucht) sind sehr interessant gezeichnet. Dies ist vor allem bei der Adaption von Kafkas weniger bekannten, aber nicht minder wirkungsvollen Geschichte “Der Bau“ spürbar. In dieser Geschichte huscht ein Tier durch einen klaustrophobischen Irrgarten, den es sich selbst gebaut hat, um sich von der Welt abzuschirmen. Die Parallelen zu Kafka selbst liegen auf der Hand.




Ein weiteres, wichtiges Thema in Kafkas Leben und Werk ist seine Angst vor Autorität. “Die Strafkolonie“ ist ein perfektes Sinnbild dafür: ein Soldat, der (wie so oft bei Kafka) nicht weiß, was er verbrochen hat, soll von einer Maschine eine Satz auf den Rücken gehackt bekommen. K. wohnt soll dieser Zeremonie als Beobachter beiwohnen. Als der ausführende Leutnant aus nicht ganz klaren Gründen sich selbst auf die Maschine binden lässt, wird er von ihr zu Tode gewalzt. In dieser Geschichte sind es vor allem die Gestik der Charaktere und die Maschine  selbst, die die Wirkung ausmachen. Doch auch die Zerquetschung des Offiziers wurde sehr gut umgesetzt und wirkt trotz einiger Comichaftigkeit doch sehr direkt. Ein minimal humoristischer Zug ist ja auch Kafkas Werken keineswegs abzusprechen. Sein Bezug zu Autorität bzw. Bürokratie ist aber wird aber noch deutlicher in den Roman(fragment)en “Das Schloss“ und “Der Prozess“ deutlich, welche natürlich auch ihren Platz in “Kafka“ haben. “Der Prozess“ wurde sehr stark zusammengefasst, jedoch wurden einzelne Passagen sehr ausführlich behandelt. Die Parabel von dem Mann, der vorm Tor des Gesetzes um Einlass gebeten wird, ist in voller Länge auf gelungene Art adaptiert worden, absolut grandios ist jedoch das Ende, in dem K. von den beiden Schergen ermordet wird. Die expressionistische Ader des Zeichenstils verleiht diesem Abschnitt extrem viel Kraft und Ästhetik, wundervoll. Die Herausarbeitung dieser Szenen und die daraus folgende Kürzung des Inhalts ist ein sehr guter Entschluss gewesen, eine getreue Adaption wäre wohl länger geworden, als die gesamte graphische Novelle. Ähnlich wurde bei “Das Schloss“ verfahren, Kafkas wohl stärkstem Roman (in den Augen des Verfassers dieser Rezension). Das ständige Verwirrspiel mit der Bürokratie des Schlosses entfaltet zwar nur im Roman vollends seine zermürbende Wirkung, wurde jedoch gut und verhältnismäßig ausführlich übertragen. Vor allem der im Buch angesprochenen Märchenhaftigkeit des Fragments wurde Tribut gezollt, insofern kann man die (ohnehin unausweichliche) Kürzungen absolut verstehen. 






Ein weiteres, großes Thema ist Kafkas Beziehung zu Frauen und Sexualität. Sein religiös bedingter Selbsthass, seine Neigung zum Kränkeln und die Kränkungen, die er durch seinen Vater erlitten hat, können wohl als Gründe für seine neurotische Einstellung gegenüber Frauen gesehen werden. Natürlich wird der Briefbeziehung zu Felice und der für, seine Verhältnisse freizügigen, Liaison mit Milena viel Platz eingeräumt, beide sind sehr ausführlich und mit Hilfe von Originalzitaten aus Briefen Kafkas aufgearbeitet worden. Auch wenn dieses Thema von einigen Episoden seiner Werke, z.B. dem Dienstmädchen aus “Der Prozess“, unterlegt wird, widmet er sich doch so gut wie ausschließlich dem echten Franz Kafka. Kafkas Siechtum wird auf sehr morbide Art in der Adaption von “Der Hungerkünstler“ aufgegriffen, seine Träume der Weltflucht werden in dem unterschätzten Romanfragment “Der Verschollene“ behandelt. Beide sind, wie gewohnt, sehr gut zusammengefasst und gestaltet worden, vor allem der Hungerkünstler selbst sieht beeindruckend aus. Das Nachwort ist interessant, ausführlich und stellenweise sehr makaber. Nach Kafkas Tod erfahren wir von Problem mit dem NS Regime, dem kommunistischen Russland und seiner Platz in der Gegenwart. Eine sehr gute Art, den Mythos Kafka und sein Wirken zu beschreiben.



Fazit: “Kafka“ ist genial. Teils Biographie, teils Adaption seiner wichtigsten Werke, ist die graphische Novelle kurzweilig, tiefgründig und absolut stilsicher. Das Thema wird stets respektvoll behandelt, eigene Interpretationen werden auf dezente Art eingebracht, ohne jedoch den Lesegenuss zu trüben und die Geschichten Franz Kafkas funktionieren in der Comicform sehr gut. Für Fans des morbiden Tschechen ist diese graphische Novelle fast schon ein Muss, doch auch Leute, welche sich noch nie mit Kafka befasst haben, sollten von diesem mitreißenden Band begeistert sein. Nicht zuletzt wegen den grandiosen Illustrationen.



Reprodukt präsentiert die Novelle im kartonierten Einband in deutscher Übersetzung. In diesem Falle ist die deutsche Übersetzung aufgrund der Zitate allemal dem englischen Original vorzuziehen. Wenn man den Special Interest Charakter des Comics bedenkt, sollte man bei den 17 € Neupreis nicht zwei Mal überlegen.

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