Freitag, 18. Dezember 2015

SPECIAL: "OROZCO THE EMBALMER" UND "DER WEG NACH EDEN" - GEMEINSAMKEITEN UND KULTURELLE UNTERSCHIEDE







Die westliche Welt hat sicherlich eine gänzlich eigene Art, in der sie mit dem Tod umgeht. Als künstlerisches Konzept – jedoch hier nicht uneingeschränkt geduldet – und in jeglicher Form von religiösem oder spirituellem Kontext ist er quasi omnipräsent, aber was die Darstellung echter Todesfälle angeht war und sind die Ansichten bedeutend anders. Wo lateinamerikanische Zeitschriften beispielsweise mit großflächigen Darstellungen von Unfallleichen und Mordopfern nicht geizen (und stellenweise sogar auf dieser Zurschaustellung aufgebaut sind) bleibt dergleichen hierzulande ein Tabuthema.



Das Interesse, egal ob in Fetischismus, Ästhetik oder bloßer Neugier begründet, war jedoch immer schon vorhanden und ist sicherlich als anthropoligische Universalie anzusehen. Neben den bekannten Mondofilmen – allen voran natürlich “Mondo Cane” - und der (zum Großteil gestellten oder mit Nachgestelltem angereicherten) “Gesichter des Todes” Reihe kursierten vor allem in Japan viele Videoserien wie “Death File” oder “Death Press”, welche expliziterer Natur waren und wirkliche Aufnahmen von Autopsien, Hinrichtungen und Kadavern boten. Die Möglichkeiten, solche VHS hier in Europa zu beziehen, waren natürlich dermaßen begrenzt, dass sie wohl eher als düstere Legenden gedient haben als alles andere. Heutzutage, in Zeiten der weltweiten Vernetzung, hat sich die Lage natürlich von Grund auf geändert. Immer wieder tauchen Videos und Bilder von Akten auf, welche so drastisch sind, dass man sie in den Zeiten des Videos vermutlich nicht einmal für astronomischste Unsummen hätte erstehen könnten – alles natürlich nur einen Klick entfernt und praktisch frei zugänglich für jeden, der mit einem Internetanschluss ausgestattet ist. Ironischerweise haben physische Real Death Formate trotz (oder gerade wegen) dieses virtuellen Überangebotes nach wie vor nichts von ihrer negativen Konnotation verloren.




Eine interessanter Zwischenbereich im Bereich der Todesdarstellung ist der Dokumentarfilm. Obwohl auch er immer wieder unter heftiger Kritik steht, stellt hier schon alleine der Grundcharakter eine gewisse kulturelle Relevanz her. Zwei der bedeutendsten Beispiele sind “Orozco – the Embalmer” von Tsurisaki Kiyotaka und “Der Weg nach Eden” von Robert-Adrian Pejo. Obwohl diese beiden Dokumentationen oberflächlich betrachtet als zwei Spielarten desselben Themas anmuten könnten, sind doch bei genauerer Analyse tiefgreifende Widersprüche zu erkennen, welche ein faszinierendes Bild der dargestellten Personen, Länder und nicht zuletzt Todessituationen zeichnen.




Die Parallelen sind offensichtlich: beide Filme sind dokumentarischen Stils und stellen je einen Menschen in den Vordergrund, welche hauptberuflich Umgang mit Leichen pflegen, sprich sie präparieren, obduzieren oder herrichten. Sowohl “Orozco the Embalmer” als auch “Der Weg nach Eden” betrachten hauptsächlich zwei größere Komplexe, zum einen die Gedanken, das Privatleben, das Umfeld und die Lebensumstände des Hauptcharakters und zum anderen seine Arbeit. Gerade letzteres dürfte wohl den Großteil des Reizes ausmachen und der Grund für den Bekanntheitsgrad beider Dokumentationen sein. Und ja, Graphisches gibt es bei beiden zuhauf: komplette Obduktionen und Sezierungen toter Körper, manche alt, andere jung, werden in Großaufnahme und in voller Länge gezeigt. Es wird nirgends weggeblendet oder eventuell Unansehnliches ausgelassen – alles ist kristallklar.



“Orozco the Embalmer” ist ein im Jahre 2000 entstandener Film des japanischen Filmemachers und Photographen Tsurisaki Kiyotaka. Dieser hat auch einige exquisite Bildbände veröffentlicht, so zum Beispiel das relativ weit verbreitete und verhältnismäßig günstig zu erstehende “Death” und “Requiems de la Morte”, welcher zum Großteil Bilder von Orozco beinhaltet. Der gleichnamige “Held” ist ein in Kolumbien lebender älterer Mann, der seit Jahren Leichen präpariert – und das für einen Hungerlohn.

Im Gegensatz dazu scheint das Leben von János Keserü, dem Protagonisten von “Der Weg nach Eden”, geradezu spießbürgerlich. Der Chefpathologe aus Budapest hat eine Familie und ein Haus mit Garten – beiden gegenüber ist er sehr fürsorglich. Genau dieser Kontrast ist einer der fundamentalsten: János kommt aus einem zivilisierten Land - der Tod ist Teil einer Kultur, in welcher, zumindest theoretisch, Menschenwürde ein hohes Gut ist. “Orozco” zeigt jedoch ein Klima absoluter Menschenverachtung auf, in dem brutalster Realismus und eisige Kälte herrschen und ein Menschenleben nahezu wertlos ist. Der Alltag in Kolumbien ist mit Wortem kaum zu beschreiben: Bürger werden erstochen und verbluten auf offener Straße, Kinder nehmen Drogen und der Anblick gewaltsam zu Tode gekommener Menschen ist etwas Alltägliches, Triviales. Westlicher Spiritualismus prallt auf den grausamen Nihilismus eines Entwicklungslandes. “Orozco the Embalmer” und “Der Weg nach Eden” zeichnen ein erschreckend wirklichkeitsgetreues Bild dieser Diskrepanz.



Die jeweiligen Charaktere verkörpern bis zu einem gewissen Grad diese unterschiedliche Mentalität: János reflektiert über Moral, Nächstenliebe und den Wunsch, Leute in Ehren abtreten zu lassen. Ihm ist es wichtig, diese Prinzipien in seine Arbeit einfließen zu lassen und sie auf einem gefestigten ethischen Grundgerüst aufzubauen. Orozco wirkt eher wie ein zynischer Handwerker. Die Inszenierung passt sich dem nahtlos an. Regisseur Kiyotaka positioniert in “Orozco the Embalmer” die Kamera lasziv am Fußende der jungen Frauenleiche. Ihre entblößte Vagina schaut in die Kamera während Orozco ihre Bauchdecke aufschneidet und grob in den Innereien herumbohrt. Ein andermal sticht sein Kollege sein Seziermesser unter die Augenlider eines Leichnams, um die Haut vom Knochen zu lösen. Nirgends ist ein Gefühl von Erfurcht oder Rührung auszumachen. Alle diese Szenen tragen sich inmitten schäbigen Verfalls zu – das perfekte Setting und der perfekte Ausdruck der herrschenden Stimmung.



“Der Weg nach Eden” ist hier das genaue Gegenteil. Die Inszenierung bewegt sich zwischen steriler, medizinischer Sauberkeit und Respekt vor dem Ableben und den Verbliebenen. Auch wenn die Aufnahmen prinzipiell ebenso direkt und “schonungslos” sind wie die Bilder aus Kolumbien, so ist die Aura dennoch eine gänzlich andere. So überrascht es kaum, dass “Der Weg nach Eden” um einiges mehr “Film” ist, wohingegen “Orozco the Embalmer” sich lieber in durchweg dokumentarischem Hyperrealismus suhlt.



“Orozco the Embalmer” und “Der Weg nach Eden” sind zwei der relevantesten und anerkanntesten Dokumentationen über den Tod, welche jemals kommerziell vermarktet wurden. Die unverblümte Darstellung echter Leichen und Obduktionspraktiken haben für einige Furore gesorgt, allerdings vermochte die Kredibilität der Werke ihren Ruf insofern zu retten, dass sie auch außerhalb von Real Death Enthusiast – Zirkeln beachtet wurden. Dies ist, nicht zuletzt wegen der Qualität beider Filme, mehr als gerechtfertigt. Unter der Oberfläche wuchert jedoch mehr als Schocktaktik und Ekelszenerie. Sowohl János als auch Orozco sind (bzw. waren) echte Menschen, die einen echten Beruf ausüben (bzw. ausgeübt haben). Auch die Leichen auf ihren Seziertischen waren echte Menschen und ihr Ableben hinterlässt echte Lücken. Echt sind auch die Gesellschaften, in denen János und Orozco leben, und die Stellung, die menschliches Leben in ihnen einnimmt. Insofern ist es klar, dass der Eindruck, den “Orozco the Embalmer” und “Der Weg nach Eden” auf den Zuschauer machen, kein unechter sein kann.


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