Donnerstag, 16. Oktober 2014

SPECIAL: MORDBRENNER, RÄUBER UND GIFTMÖRDER - DIE PREUSSISCHE UND THÜRINGER KRIMINALCHRONIK HINGERICHTETER VERBRECHER






Dass jedes Bundesland und jede Region in Deutschland seine eigenen Bräuche, Geschichten, Helden und Bösewichte hat, ist wohl genauso selbstverständlich, wie die jeweiligen Dialekte, die dort gesprochen werden. Dass sich diese lokalen Eigenheiten und Wiedererkennungswerte jedoch nicht nur auf Heiteres beschränken, sondern ebenso die weniger gerne gesehenen Taten und Menschen Spuren in der jeweiligen Region hinterlassen, liegt ebenfalls in der Natur der Sache. Der Kirchschlager Verlag hat sich dieser dunkleren, oft verschwiegenen Form der Regionalgeschichte angenommen und hierzu die beiden Bände „Preussische Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ und „Thüringer Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ veröffentlicht, von denen der zuletzt Genannte als erstes erschienen ist. Wie der Name bereits verrät, werden hier auf jeweils etwas über 200 Seiten Verbrechen vorgestellt, welche sich zwischen dem späten 17. und dem frühen 20. Jahrhundert in den jeweiligen Regionen zugetragen haben und deren Urheber allesamt aufgrund ihrer Taten zum Tode verurteilt wurden.

Die preußische Kriminalchronik enthält 11 und die thüringische 9 Fälle, welche allesamt sehr verschieden und auf ihre eigene Art einzigartig sind. Wie gewohnt, werden die besprochenen Täter sehr genau und mit aller Schärfe betrachtet, sodass man nicht umhinkommt, erneut festzustellen, dass hier wirklich Fachmänner am Werk waren, die mit der Auswertung historischer Quellen vertraut sind und offensichtlich einiges an Recherche betrieben haben, um zu einem möglichst runden und professionellen Ergebnis zu gelangen. So werden einem eine Vielzahl zeitgenössischer Dokumente, teilweise sogar von den Tätern selbst verfasst, präsentiert, was zur Folge hat, dass die (den meisten Lesern wohl) unbekannten Geschichten automatisch von mehreren Winkeln beleuchtet und vorgestellt werden und das Resultat automatisch ein sehr rundes ist (vom Abwechslungsreichtum des Tones ganz zu schweigen). So stammt zum Beispiel das Kapitel: „Der Lebenslauf des Fleischergesellen Gurlt“ (hingerichtet 1839) aus der Feder des selbigen, wohingegen die Geschichte des „Brandstifter(s) Hans Michael Brühl“ den originalen Wortlaut des Urteils enthält. Wie so oft bei Büchern aus dem Hause Kirchschlager bieten die Bücher Unterhaltung und sind dennoch anspruchsvoll genug, um geschichtlich Interessierte nicht zu enttäuschen und wie so oft ist diese Gratwanderung gelungen.


Die Fälle selbst zeigen – trotz des weiter oben schon angesprochenen Abwechslungsreichtums – stellenweise beachtliche Parallelen, welche ihrerseits auch so etwas wie Täterprofile entwerfen, welche einerseits für ihre Zeit typisch waren, oder andererseits zeitunabhängig erscheinen. So spielt zum Beispiel (ebenso wie heutzutage) Habgier eine große Rolle bei vielen der Fälle, zum Beispiel in „Der Raub- und Kindermörder Bernhard Stempner“ oder „Valentin Runck und Daniel Stieff – Die Schloßdiebe zu Berlin“. Hierbei ist vor allem die Geschichte des vermeintlichen Alchemisten Cajetano besonders interessant. Anders als zum Beispiel in den ebenfalls von Kirchschlager herausgegebenen „Historische Serienmörder“ Bänden, geht es bei „Preussische Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ und „Thüringer Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ weniger um Trieb- und Serientäter, als um mehr oder weniger alltägliche Leute mit ebensolchen Motiven. Hierzu gehören unter anderem auch Trunk- und Spielsucht, wie man zum Beispiel in solchen Geschichten wie der des jungen Mannes, der zum Mörder wird, um seine Spielschulden bezahlen zu können, sehen kann. Bis zu einem gewissen Grad sind die Schicksale der Mörder stellenweise sogar bewegend und mitleiderregend. 


Die bemerkenswertesten und interessantesten Charaktere sind jedoch jene, welche durch ihr kaltblütiges, grausames und verrohtes Wesen auffallen. So ist zum Beispiel der Gewalttäter in „Gefangennahme, Flucht und Hinrichtung des Arbeitsmannes Hobus“ eine sehr faszinierende Person, selbiges gilt auch für Ernst Kühn, ein Chirurg, der hinterlistig ein von ihm geschwängertes Mädchen ermordet. Weiterhin ist auch der Fall der Anna Przygodda, die im Buch als „weiblicher Blaubart“ bezeichnet wird, insofern interessant, dass die wortgetreue Wiedergabe ihrer Gerichtsverhandlung ihren garstigen Charakter sehr lebhaft in Szene zu setzen weiß. Ein weiteres, eher für diesen Zeitrahmen typischeres Delikt stellt der Mordbrand dar, welcher als immer wiederkehrendes Motiv auftritt und sowohl in der preußischen, als auch in der thüringischen Kriminalchronik zur Sprache kommt. Die Niedertracht einiger Aggressoren steht hierbei in Kontrast zu den Menschen, die durch Schicksalsschläge oder Ähnlichem zum Äußersten gedrängt wurden. Insofern ist mit Bestimmtheit zu sagen, dass, trotz gewisser Überschneidungen und Ähnlichkeiten, die Fälle und vor allem Täter allesamt etwas sehr Individuelles haben, sodass sich der Leser nie so vorkommt, als würde ständig der gleiche Sachverhalt neu aufgewärmt. Von historischem Belang sind jedoch nicht nur die Taten und Verbrecher, sondern auch die Strafmaße, welche jeweils verhängt wurden. Zwar wird hier im Gegensatz zu „Henker, Blutvogt, Carnifex“, welches vom selben Verlag herausgegeben wurde, nicht das Hauptaugenmerk auf die Hinrichtungsarten gelegt, aber dennoch stellt die Beschreibung jener einen Grundstein des Werkes und einen weiteren Pluspunkt für Interessierte dar.

An sich sind nur marginale Unterschiede zwischen den beiden Bänden auszumachen, diese sind jedoch keineswegs bedeutungslos. So fasst sich die „Thüringer Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ in seinen anfänglichen Geschichten eher kurz, um die beiden abschließenden Fälle „Der Raub- und Kindermörder Bernhard Stempner“ und „Der Chirurg Ernst Kühn“ etwas weiter auszubreiten, wohingegen die Fälle in der preußische Kriminalchronik etwas homogener sind, was ihre Länge betrifft. Wenn es um Bildmaterial geht, hat „Preussische Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ jedoch die Nase weit vorne. Dennoch ist eine klare Empfehlung für beide auszusprechen, sofern man sich für die Thematik begeistern kann, was sicherlich wenigen schwerfallen dürfte!

Fazit: Beachtliche, abwechslungsreiche und detaillierte Chroniken über regionale Straftaten, welche sich sehr kurzweilig und unterhaltsam gestalten. Wer sich etwas für Historie, Kriminalistik und die Geschichte der Todesstrafe in Deutschland interessiert, wird in diesen beiden Bänden auf Informationen und Personen stoßen, welche man wohl sonst nirgends kennenlernt. Gerade dies ist einer der vielen Reize von „Preussische Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ und „Thüringer Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“.

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